Gesammelte Werke. Ricarda Huch
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Ricarda Huch

Издательство: Bookwire

Жанр: Философия

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isbn: 4064066388829

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СКАЧАТЬ Ausübung geistlicher Funktionen zu unterlassen, und da er sich weigerte, von den Böhmen angeklagt und vom Papst vorgeladen. Jetzt hielt sich Huß für gefährdet und entfloh; er begriff mit einem Male, da er die Art der Ketzergerichte kannte, was ihm in der Fremde unter Gleichgültigen oder Feinden drohte. Verfolgt und zurückgebracht, wurde er nunmehr als Gefangener und Angeklagter behandelt. Als Siegmund seine Gefangennahme erfuhr, wurde er zornig, ein Beweis, daß er sie als Bruch seines Geleitbriefes auffaßte; aber er bestand nicht darauf, daß er in Freiheit gesetzt würde. Huß hatte sich, als er von Prag abreiste, vom dortigen Erzbischof bestätigen lassen, daß er kein Ketzer sei, und auch Wenzel behauptete und setzte seinen Stolz darein, daß es in Böhmen Ketzereien nicht geben könne. Huß selbst war überzeugt von der Richtigkeit seiner Lehre und erklärte sich bereit, wie alle Verkündiger reformatorischer Lehren taten, wenn man ihn seiner Irrlehre überwiese, diese aufzugeben; aber der Maßstab sollte einzig die Heilige Schrift sein, während für die rechtgläubigen Katholiken außerdem die Tradition, die Kirchenväter, die kanonischen Bücher, die Entscheidung früherer Päpste, der Wille des Papstes in Betracht kamen. So sehr war Huß überzeugt, das Rechte und Gute zu wollen, hatte auch so oft erfahren, welche Macht seine Rede über die Hörer hatte, daß er sich beinah darauf freute, die glänzende Versammlung durch die Macht seiner Gründe und Anschauungen zu gewinnen. Siegmund lag daran, die in Böhmen durch Hussens Lehre entstandenen Wirren zu schlichten, seine Verständigung herbeizuführen; Hussens Verdammung wünschte er nicht. Es läßt sich wohl die Ansicht rechtfertigen, Siegmund habe dem Urteil des Konzilgerichts nicht vorgreifen können, sein Geleitbrief habe also nur Schutz auf der Reise und etwa noch freie Verteidigung auf dem Konzil, nicht aber die Gewähr für straffreien Ausgang des Prozesses bedeuten können; allein Huß hatte das Gefühl, daß ihm Siegmund Schutz und Sicherheit überhaupt während seines Aufenthalts im Reich versprochen habe, und so empfand es auch der Kaiser selbst, der ein viel zu grade und unmittelbar fühlender Mensch war, um sich durch künstliche Rechtskonstruktionen freizusprechen. Allerdings, da er nun einmal lieber Huß preisgeben, als es auf eine Auflösung des Konzils ankommen lassen wollte, war er vielleicht innerlich geneigt, den unbequemen Professor schuldig zu finden. Er wohnte den Verhören bei und verfolgte das Hin und Her der Meinungen aufmerksam. Als der Satz Hussens besprochen wurde, daß einem König, der in Todsünde sei, kein Gehorsam mehr geleistet zu werden brauche, entgegnete er, den Blick des Angeklagten erwidernd: Kein Mensch ist ohne Sünde. Seine ganze Liebenswürdigkeit, seine Stärke und seine Schwäche lagen in diesen Worten: er gehörte nicht zu den strengen Idealisten, die Fehlerlosigkeit von den Menschen verlangen, er wollte nie selbst fehlerlos erscheinen, er verzieh gern anderen, aber auch allzu leicht sich selbst. Sein Bemühen, Huß zu retten, war offensichtlich; erst schob er die Eröffnung des Prozesses hinaus, dann redete er ihm persönlich zu, seine Irrtümer abzuschwören, was er ihm durch die beliebte Wendung mundgerecht zu machen suchte, er brauche ja nicht einzugestehen, daß er geirrt habe, sondern nur zu widerrufen, worin er geirrt haben sollte. Siegmund konnte das ehrlich meinen, da es sich in seinen Augen um theologische Streitfragen handelte, für die er kein wesentliches Interesse hatte, Huß aber, wie nach ihm Hieronymus, war sich bewußt, daß es um grundsätzliche Entscheidungen ging, die mit seiner Person eins waren. Er mußte mit seiner Person für sie eintreten, wie Siegmund seine Person für sein Kaisertum einsetzte.

      Noch bevor Huß verbrannt wurde, war Johann XXIII. seiner Würde entsetzt und nach Gottlieben gebracht worden, wo auch Huß gefangengelegen hatte. Durch seine Flucht, mit der das mühevoll beseitigte Schisma wieder auszubrechen drohte, verscherzte er sich alle Sympathien. Man hielt ihm die lange Liste seiner Verbrechen vor, und da er eine gemeine Seele war, erkaufte er sich Sicherheit seiner Person, indem er das Konzil als über dem Papst stehend und was sonst noch von ihm verlangt wurde, anerkannte. Das seltsam Formelhafte des mittelalterlichen Rechtsgefühls fällt erschreckend auf: ein Mann von höchster Rechtlichkeit und Überzeugungstreue, dem nicht die geringste Befleckung seiner Tugend nachzuweisen war, wurde verurteilt und verbrannt; ein anderer, der schwerer Verbrechen angeklagt wurde und sie nicht leugnete, war kurz zuvor zum Papst gewählt, und sein Kaiser hatte seinen Fuß geküßt. Ist es aber zu irgendeiner Zeit anders gewesen? Der im Besitz der Macht ist, hat recht, und wer eine herrschende Macht angreift, hat unrecht. Verschieden ist nur die Bewertung der Verbrechen: Mord ging damals in manchen Fällen unbestraft hin, vielleicht weil überhaupt das Leben dem Tode weniger fern schien als heute. Daß die der Ketzerei Überführten verbrannt wurden, war selbstverständlich. Noch war man allgemein der Ansicht, daß die höchste Autorität, welche über die Verwirklichung der Idee des Guten und Bösen zu wachen berufen ist, an die Kirche gebunden sei, daß mit der Kirche die Grundlage geordneten Lebens zusammenbrechen würde. Grade weil sich die Schwächen der Kirche nicht mehr verbergen ließen, weil sie den Angriffen, die von allen Seiten auf sie eindrangen, so viele Blößen bot, glaubten ihre Anhänger, sie mit allen Mitteln schützen zu müssen. Das Fundament des Staates war noch nicht so fest gemauert, daß man die Funktionen der Kirche auf ihn hätte übertragen können.

      Wie sehr Siegmund das belebende Element des Konzils war, zeigte sich, als er es bald nach der Verdammung Hussens verließ, um nach Paris und London zu gehen und als Haupt des Abendlandes die streitenden Könige von Frankreich und England zu versöhnen. Nach seiner Auffassung war es seine Aufgabe, nicht nur im deutschen, sondern im römischen Reich, das das ganze Abendland umfaßte, den Frieden zu fördern. Wie vorteilhaft für Deutschland die Schwächung Frankreichs durch den englischen Krieg war, bedachte er nicht, noch daß er dem Argwohn Frankreichs, als ob er es mit England halte, doch nicht entging. Vielleicht war er des Konzils sehr überdrüssig. Es war sein Schicksal, daß er, ohne über eine nennenswerte Macht zu verfügen, wirken sollte und wollte und dazu beständig seine Person einsetzen mußte. Vieles gelang ihm; aber nachdem er sich bis aufs äußerste erschöpft hatte, stieß er immer auf eine Grenze der Selbstsucht oder Beschränktheit, die er nicht einrennen konnte. Dann ging er fort, sah Wolken, Ströme und Hügel, sah schöne Frauen und freute sich am Reichtum des Lebens; es war ihm Bedürfnis, Leben einzuatmen, in Lebensluft zu baden, wenn er sich vergebens ausgegeben hatte.

      Nach seiner Rückkehr setzte er alles daran, die Reform der Kirche an Haupt und Gliedern durchzusetzen, bevor der neue Papst gewählt würde, denn er sah voraus, daß die Kirche, sowie sie wieder ein Haupt hätte, sich der Reform erfolgreich widersetzen würde. Unterstützt wurde er dabei von den deutschen und englischen Kardinälen. Der Unterschied des germanischen und romanischen Wesens zeigte sich darin, daß die germanischen Nationen mehr Wert auf die sittliche Besserung der Kirche legten, während es den romanischen um die Beseitigung des Schismas und Minderung der finanziellen Belastung der Länder zu tun war. Siegmund war fest entschlossen, nicht nachzugeben, obwohl er sich dadurch den gefährlichsten Beschuldigungen aussetzte. Als er einmal mit einigen Prälaten im Zorn die Kirche verließ, wo Sitzungen stattfanden, wurde ihnen nachgerufen: »Laßt die Ketzer gehen!« Schmähschriften erschienen, in denen ihm Ketzerei vorgeworfen wurde. Unglücklicherweise starb am 4. September 1417 der Bischof von Salisbury, der seine bewährteste Stütze in der englischen Nation gewesen war; nun er fehlte, gelang es den Kardinälen und den Franzosen, an deren Spitze der berühmte Gerson stand, die Engländer von Siegmund abzuziehen. Wieder einmal war der Augenblick gekommen, wo er den Kampf aufgeben mußte und erbittert und enttäuscht Konstanz verließ. Er ritt den Bodensee entlang durch das Rheintal nach Feldkirch, dann am Wallenstädter See vorbei nach Einsiedeln. Er war damals fast 50 Jahre alt, im Hochsommer des Lebens, blickte zurück auf manchen Sieg und manche Niederlage, auf glänzende Erfolge und kümmerliches Verzichten, und fühlte Kraft in sich zu neuen Taten; nur eine augenblickliche Ermüdung war es, die ihn den kühlen Hauch vom See und den Bergen her wohltuend empfinden ließ. Als er die Urkantone besuchte, erzählte ihm Ital Reding von Schwyz auf seinen Wunsch von den großen Taten der Ahnen; vielleicht von dem ersten Bündnis am See, von der Tyrannei österreichischer Vögte, von der Treue der freien Bauern zu Kaiser und Reich und ihrem Heldenmut. Siegmund hörte das gern; er fühlte sich unter diesen Bergleuten als der echte Kaiser eines freien Volkes.

      Auf die Nachricht, daß der Kardinal-Diakon Otto von Colonna zum Papst gewählt war, eilte Siegmund nach Konstanz zurück. Eine Reihe von Festlichkeiten, die nun stattfanden, leiteten das Ende des Kongresses ein. Zehn Tage nach der Wahl fand um Mitternacht im Münster die Konsekration des Papstes statt, unter freiem Himmel im Bischofshofe die Krönung, woran sich ein СКАЧАТЬ