Immer im Rampenlicht. Bernd R. Hock
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Название: Immer im Rampenlicht

Автор: Bernd R. Hock

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

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isbn: 9783775175111

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СКАЧАТЬ meinen höchsten Respekt.

      Ich hingegen verschlinge Schokolade, und dies meist heimlich. Genieße nicht im Licht, sondern fresse Süßes oft im Dunkeln. Süßigkeiten sind für mich nicht in erster Linie ein gelegentliches Genuss-, sondern eher ein schambehaftetes Suchtmittel und erfüllen unterbewusst Funktionen, die sich mir noch nicht bis ins Detail erschlossen haben, sondern vielmehr irgendwo in der hintersten Ecke vergraben sind. Nur ganz kurz, genau in dem Moment, in dem die Schokomasse meine Mundhöhle ausfüllt, genieße und entspanne ich für einen Augenblick. Danach quält mich sofort mein schlechtes Gewissen wieder – und mein starkes Übergewicht.

      Eine große Rolle spielte Schokolade schon, als ich noch ein Kind war, besonders im Zusammentreffen mit alten Menschen – fast immer mit alten Damen, um präzise zu sein. Die Begegnungen liefen stets nach einem ähnlichen Schema ab: Eine alte Frau sah mich irgendwo in freier Wildbahn, entdeckte meine kurzen Arme, lächelte mich an und kippte fast unmittelbar und meist weinerlich einen Container Mitleid über mir aus. Ich wurde verlegen und unsicher, konnte die Traurigkeit meines Gegenübers nicht einordnen, spürte aber, dass ich sie einfach nur mit meinem Dasein ausgelöst hatte. Dies verunsicherte mich. Was nun? Sollte ich Trost spenden? Die alte Frau streichelte mir dann fast immer ungefragt über den Kopf, bevor ihre Hand in eine Lederhandtasche griff und eine Tafel Schokolade zum Vorschein brachte. Diese wurde mir fast immer mit den gleichen Worten übergeben: »Da, Biewel, hoscht e Schoklaad.« (»Hier, mein Junge, hast du eine Tafel Schokolade.«)

      Ich begriff nicht, was sich da abspielte, bemerkte aber, dass sich im Moment der Schokoladenübergabe ein Happy End ankündigte und sich die Lage deutlich entspannte. Also verinnerlichte ich unbewusst. »Schokolade entspannt! Schokolade heilt! Schokolade macht alles wieder gut!« Meist bekam ich Sarotti, manchmal Alpina und selten Lindt. Sarotti mochte ich nicht, Alpina ging und Lindor von Lindt war das große Los.

      Heute müssen Kinder bis zum 31. Oktober warten, sich übelst verkleiden, sich schreckliche Fratzen ins Gesicht schminken, allen Mut zusammennehmen, an Haustüren klingeln und Menschen mittels sinnfreier Reime zur Herausgabe von Süßigkeiten nötigen. Ich hatte manchmal sogar mehrmals täglich mein ganz persönliches, gruseligsüßes Straßen-Halloween, bekam Saures verpackt in Süßem.

      Einem Kind mit einer offensichtlichen Körperbehinderung gibt man Schokolade. Einem geschwächten Igel gibt man Milch. Einem obdachlosen Bettler am Straßenrand gibt man nichts, der kauft sich sowieso nur Alkohol. Alle drei Thesen sind Bullshit!

      Natürlich wurde ich nicht von Anfang an mit Schokolade ernährt. Als ich meinen holprigen Umzug von der Gebärmutter auf die Bauchdecke meiner Mutter erfolgreich hinter mich gebracht hatte, gab es erst einmal Muttermilch.

      Für meine Ursprungsfamilie, meine Großeltern und besonders für meinen drei Jahre älteren Bruder Rainer war es mehr als eine schwere Herausforderung, als meine Eltern mit mir vom Krankenhaus nach Hause kamen. Da wurde nicht einfach das süße kleine Baby, der knuffige Nachwuchs, heimgebracht. Ich war nicht einfach der neue, der jüngste Hock, ich war auch ein Schock! Doch nach einer gewissen Zeit stellte sich so etwas wie Normalität ein. Wunden der Traurigkeit und Verzweiflung verheilten, Narben auf den Seelen blieben bis zuletzt. Teilweise sind sie heute noch da. Ich glaube, bei uns allen.

      Im Großen und Ganzen entwickelte ich mich gut, wurde akzeptiert und geliebt. Nur der allererste Moment in der Begegnung von mir und anderen Menschen war halt immer anders. Man erschrak zunächst. Man wusste nicht so recht, ob einen nun das hübsche, meist fröhlich lächelnde Kindergesicht erfreuen oder die fehlgebildeten Arme traurig machen sollten. Auch heute noch stört es mich enorm, ängstigt und verunsichert mich, ja macht mich manchmal fast wütend, wenn ich das Gefühl habe, dass Leute bei meinem Anblick erschrecken.

      Thomas Gottschalk moderierte 151-mal die Samstagabendshow Wetten, dass …?. In 357 Folgen spielte Larry Hagman den Bösewicht J.R. Ewing in der US-amerikanischen Serie Dallas. Seit über fünfzig Jahren betrete ich täglich, ja manchmal mehrmals täglich die Bühne der Ermutigung, wenn Menschen im Kontakt mit mir erschrocken und verunsichert sind, und spiele mein Einpersonenstück »Der fröhliche Bernd!«. Während dieses Einakters verliert mein Gegenüber seine Hemmung und nimmt nach kurzer Zeit mein äußerliches Anderssein nicht mehr wahr. Für meine Hemmungen und unklaren Gefühle gab und gibt es Schokolade. Schokolade und Marzipan!

      Mein erstes Marzipan wurde mir mit knapp vier Jahren von meinen Eltern geschenkt. Irgendwie war es wohl als Trost gedacht, denn hinter mir lag eine der schlimmsten Wochen meines Lebens. Was sich in dieser Woche zugetragen hatte, war wohl auch für meine Eltern, besonders für meine Mutter, sehr belastend. Ich erinnere mich noch sehr genau an diese Situation. Eine blaue Strumpfhose trug ich damals und mein Gesicht war tränenüberströmt. In meiner großen Not schrie ich unbändig, als das Gitter hochgefahren wurde, unwiderruflich einrastete und ich Hilfe suchend meine kleinen Hände hindurchsteckte. Geholfen hat mir dies alles nichts!

      Geholfen aber haben die vier kleinen Marzipanschweinchen, die ich eine Woche später bekam. Sie lagen in einem kleinen, mit künstlichem Stroh ausgepolsterten Körbchen und waren zusammen mit einem vierblättrigen Kleeblatt und einem kleinen Schornsteinfeger aus Plastik in Klarsichtfolie verpackt. Ein »Mitbringsel«, das Geschenk meiner Eltern, die ich zuvor eine Woche nicht hatte sehen dürfen. Eine ganze Woche!

      Man hatte meiner Mutter und meinem Vater geraten, mich stationär in einer Klinik behandeln zu lassen. Unter anderem sollten die Beweglichkeit und der Einsatz meiner Füße und Zehen überprüft und trainiert werden.

      So brachten mich meine Eltern also eines Tages in dieses Krankenhaus. Bekleidet mit einem Unterhemd und der bereits erwähnten Strumpfhose wurde ich in ein vergittertes Bettchen gelegt. Als das letzte noch offene Seitengitter hochgeschoben wurde, verstand ich die Welt nicht mehr. Ich registrierte, dass Mama und Papa sich nun von mir verabschiedeten, aber ich wusste überhaupt nicht, warum, und vor allen Dingen wusste ich nicht, für wie lange. Würde ich meine Eltern jemals wiedersehen? Ich hatte panische Angst!

      Am Ende waren meine Mutter, eine Krankenschwester und ich alleine in diesem Raum und ich schrie um mein Leben. Ich streckte meine kleinen Ärmchen zwischen den weißen Gitterstäben hindurch, bei denen an zahlreichen Stellen der Lack abgeplatzt war und das nackte, kalte Metall so blank lag wie meine Nerven und bestimmt auch die meiner Mutter. Ich streckte mich Hilfe suchend nach Mama aus. »Mama, Arm!« Meine kleine Kinderseele konnte es nicht fassen, dass nun tatsächlich geschah, was nicht geschehen durfte: Meine Mutter musste das Zimmer verlassen und tat dies auch. Gefühlt habe ich noch Stunden jämmerlich geschrien und literweise Tränen vergossen, bis ich irgendwann total erschöpft einschlief.

      Von der Notwendigkeit einer sicheren Bindungsentwicklung zwischen Kind und Eltern, von lebenswichtiger Feinfühligkeit, von Integration oder gar Inklusion wusste und hielt man damals ungefähr so viel wie von Mülltrennung oder einem Verbot betäubungsloser Ferkelkastration.

      Die nächste Möglichkeit, meine Eltern wiederzusehen, die nächste Besuchszeit, war exakt eine Woche später um 15 Uhr. An das, was in der Zwischenzeit mit mir so alles gemacht wurde, habe ich nur brüchige und überwiegend unangenehme Erinnerungen.

      Wir waren recht viele Kinder, alle mit einer ähnlichen Behinderung. Die meisten waren älter als ich und die Ursache ihrer Körperbehinderung waren fast ausnahmslos die Nebenwirkungen des Medikamentes Contergan mit dem Wirkstoff Thalidomid. Contergan war von 1958 bis 1961 ein beliebtes rezeptfreies Beruhigungs- und Schlafmittel, welches auch die morgendliche Übelkeit bei Schwangeren linderte. Als ernst zunehmende Vermutungen aufkamen, dass Thalidomid in der frühen Schwangerschaft Schädigungen in der Wachstumsentwicklung der Föten hervorruft, wurde das Medikament 1961 zunächst rezeptpflichtig und anschließend vom Markt genommen.

      Die Ursache meiner Behinderung ist jedoch bis heute ungeklärt. Contergan hat meine Mutter niemals eingenommen.

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