Immer im Rampenlicht. Bernd R. Hock
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Название: Immer im Rampenlicht

Автор: Bernd R. Hock

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

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isbn: 9783775175111

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СКАЧАТЬ Bezahlen beim Discounter an der Kasse ist unter normalen Umständen ein recht unspektakulärer Moment. Es sei denn, man hat gerade sechzehn Leute hinter sich in der Schlange und einem selbst fällt das Portemonnaie aus der Hand und die Geldmünzen rollen munter auf dem Boden herum. Die Bühne ist bei mir nicht der Augenblick, der Moment, als solcher, sondern es sind die Augen-Blicke, die Augen, die aus der Schlange hinter mir heraus auf mich blicken. Diese Menschen, die mich beobachten, werden rasch zu Publikum. Meinem Publikum!

      Wenn ich gut drauf bin und es mir zum Beispiel auf Anhieb gelingt, mit meinen drei Fingern mein Portemonnaie aus meiner Tasche zu holen, Cent für Cent aus dem Geldbeutel zu fummeln und das Münzgeld der Verkäuferin abgezählt hinzulegen, dann genieße ich den stillen Applaus des Schlangen-Publikums hinter mir in Form von anerkennenden Augen-Blicken: Beeindruckend, wie der das kann. Oft gab und gibt es auch lauten Applaus! Anerkennung! Lob! Ehrliche und tiefe Wertschätzung! Zahlreiche Augenblicke allerdings waren bedrohlich und einige, so erinnere ich mich, hatten nahezu Vernichtungspotenzial.

      Genau vor diesen vernichtenden Blicken, vor diesen Bedrohungen, hat er mich in über fünf Jahrzehnten immer zuverlässig und sicher bewahrt. Keinen einzigen Tag hat er sich freigenommen, nie hat er wegen Krankheit gefehlt. Niemals hat er gestöhnt, dass ihm die Arbeit zu anstrengend sei. Stets hat er dafür gesorgt, dass ich mit meiner Situation leben konnte und in relativer Sicherheit war. So manches Mal hatte ich es ihm zu verdanken, dass ich überlebt habe. Er war immer zur Stelle, höchst effektiv und zu einhundert Prozent verlässlich.

      Dabei kenne ich ihn gar nicht richtig. Genau genommen weiß ich noch nicht allzu lange, dass es ihn überhaupt gibt und was ich ihm alles zu verdanken habe. Und heute sind wir verabredet. Ich will ihn treffen. Will ihn kennenlernen. Nicht um mich zu bedanken. Nicht um mit ihm gemeinsam ein Dienstjubiläum zu feiern. Nein! Ich möchte ihn treffen, um ihn zu feuern! Rausschmeißen will ich ihn! Kündigen! Fristlos! Deshalb habe ich mich auf diesen Weg gemacht, um ihn zu treffen. Von seiner Existenz erfahren habe ich in einer psychotherapeutischen Sitzung.

      Am Anfang kam mir das etwas komisch vor. Ich glaube an Gott! Ich glaube an einen liebenden Gott! Glaube an Jesus Christus, an die Kraft des Evangeliums! Da brauche ich doch nicht noch irgend so einen, so einen … so einen … Wächter. Wächter, ja, so haben wir ihn genannt in dem Therapiegespräch.

      Mir ist mulmig zumute. Ich fühle mich, als würde ich einen kalten dunklen unterirdischen Gang betreten. Irgendwie tue ich das auch, wenn ich mich so ins Erinnern und Reflektieren begebe. Ich mache das immer öfter in letzter Zeit. Versuche, zu rekonstruieren, wo so manche Verhaltensweisen von mir herkommen. Will erkennen und verstehen, in welchen Situationen was, wie und durch wen genau in mich hineingeprägt wurde. Wo Verletzungen entstanden sind und wo ich fast unmerklich verschiedene Schutzmechanismen entwickelt habe, die in diesem inneren Wächter zusammengefasst sind. Ich steige sozusagen hinab in den Keller meines Unterbewusstseins.

      Und das fühlt sich tatsächlich an wie ein dunkler Gang. Kühl ist es auch. Kalt wird mir ums Herz, wenn ich gedanklich zu weit vordringe. Manchmal wage ich es nicht, weiterzudenken, so wie man sich im Dunkeln auf einer Kellertreppe nicht weitertraut. Dann muss ich mich behutsam vortasten in meinen Gedanken. Das fällt mir mitunter ziemlich schwer. Genauso wie es mir im realen Leben schwerfällt, mich mit meinen kurzen Armen in der Dunkelheit irgendwo entlangzutasten.

      Unsicherheit überkommt mich: »Warum habe ich mich auf diesen blöden Weg gemacht?«, rufe ich, um mich nicht ganz im Unterbewusstsein zu verlieren. »Weil es so nicht mehr weitergehen kann, Bernd!«, schießt es mir sofort durch den Kopf.

      Mein Herz schlägt kräftig und schnell. Sehr schnell und unregelmäßig. Schweißperlen drängen auf meiner Stirn von innen nach außen, um sich ihren Weg an den Schläfen hinunter zum Hals zu bahnen. Ich habe Angst! Angst vor dem, was ich vielleicht da in meinem tiefsten Inneren finden werde.

      Plötzlich sehe ich vor meinem inneren Auge ein Licht. Eigentlich ist es nur ein kleiner heller Schimmer. Wirklich nur ein klein wenig Helligkeit und ich weiß, dass ich noch weit abschweifen muss, bis meine Gedanken aus der Dunkelheit heraus dieses Licht berühren können. Soll ich meine innere Reise abbrechen oder mich weiter vorwagen?

      Im Rückspiegel meines Lebens erkenne ich bei genauerem Hinsehen ganz deutlich, dass es mich und die Umstände um mich herum stets positiv verändert hat, wenn ich mich dafür entschieden habe, aus dem Dunkeln heraus ins Licht zu treten. Sichtbar zu werden. Unsichtbar ist nichts für mich. Für die Unsichtbarkeit bin ich nicht gemacht. Unscheinbar ist kein Adjektiv, welches mich zutreffend beschreibt. Daher bin ich lieber öffentlich, offensiv, angreifbar. Obwohl, ich bin mir gar nicht so sicher, ob ich das lieber bin. Aber hatte ich bisher eine Wahl?

      Tatsache ist, dass das Leben am intensivsten wird, wenn man sich aus der Deckung wagt. Im Verborgenen regieren Tristesse und Langeweile. Man spürt nichts, irgendwann nicht einmal mehr sich selbst. Es gibt dann kein Feedback von anderen, mit dem man sich auseinandersetzen müsste. Doch in dem Moment, in dem ich mich aus der Deckung in die Öffentlichkeit wage, prasseln die Reaktionen der anderen auf mich ein wie Hagelkörner in einem heftigen Graupelschauer. Kleine Hagelkörner, die einfach so an mir abtropfen, aber auch größere Brocken, die Dellen verursachen. Zwischendurch gibt es aber auch wohltuende lauwarme Regenschauer der Bewunderung.

      Eine Ausgewogenheit wäre schön. Eine Balance zwischen einem unbeachteten Leben und einzelnen Reaktionen von anderen.

      Oh Mann, ist das alles kompliziert! Ich brauche jetzt erst mal Schokolade! Schokolade und Marzipan!

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      MITLEID, MARZIPAN UND EINE HELDENTAT

      Marzipan und Schokolade waren eigentlich immer genug da. Bis heute.

      War ich als Kind noch auf die »Auslieferung der Ware« durch alte Menschen, die Mitleid mit mir hatten, angewiesen, so erhalte ich meine absolute Lieblingsschokolade Ritter Sport Marzipan heute an jeder Tanke.

      Diese Schokoladentafel in ihrer rot glänzenden Hülle hat durchaus so ihre Tücken. Nicht dass ich etwa Schwierigkeiten hätte, die Leckerei aus der Verpackung zu lösen. Nein, das mit dem Knicken und Aufreißen bekomme ich locker mit zwei Fingern auf meinem Oberschenkel im Auto hin. Sogar angeschnallt. Das Durchbrechen der Schokoladentafel an der Sollbruchstelle verursacht jedoch Schokokrümel, die mir beim Essen unbemerkt überall hinfallen, vorzugsweise in die Brusttasche meines Oberhemdes, wo sie kleine braune Flecken auf dem Stoff erzeugen.

      Ich passe einfach nicht genug auf. Ich esse dieses Zeugs viel zu hastig, fresse es regelrecht. Ach könnte ich Süßigkeiten doch mehr genießen und langsamer, ja achtsamer essen. So wie meine frühere Kommilitonin Anja.

      Wir begannen unseren gemeinsamen Studientag Anfang der Neunzigerjahre nicht selten mit einem Käffchen und einem Schokoriegel. Bei schönem Wetter setzten wir uns vor dem Unigebäude auf die Treppe. Wenn Anja zum ersten Mal an ihrem Kaffee nippte, hatte ich meinen Riegel bereits komplett inhaliert. Kurz bevor wir zu unserer Vorlesung aufbrachen, packte auch Anja ihren Schokoriegel aus, betrachtete ihn und biss genüsslich ein Stückchen ab. Sie kaute lange, bevor sie die Köstlichkeit ihren Hals hinuntergleiten ließ. Die restlichen zwei Drittel wickelte sie wieder in das Papier, verstaute alles in ihrer Tasche und wir beide gingen studieren. In der Mittagspause packte Anja die Schokolade erneut aus, biss wieder ab, genoss und steckte das letzte Drittel abermals in ihre Tasche. Am Ende des Studientages, wenn wir erneut auf der Treppe СКАЧАТЬ