Название: Einigkeit und Recht und Freiheit
Автор: Jörg Koch
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783170401860
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»Die Lösung besteht darin, jeden Anlass für Hass zwischen den beiden Völkern abzuschaffen, die Wunde zu schließen, die uns 1815 an unserer Flanke zugefügt wurde, die Spuren einer heftigen Reaktion auszulöschen, Frankreich zurückzugeben, was Gott ihm geschenkt hat: das linke Rheinufer.«
Erst mit der schwungvollen, marschähnlichen Melodie von Carl Wilhelm (1815–1873), Dirigent der Krefelder Liedertafel, und damit erst nach dem Tode des Dichters, erhielt »Die Wacht« eine größere Aufmerksamkeit. Die Komposition entstand 1854 anlässlich der Silberhochzeit von Prinz Wilhelm von Preußen (1797–1888), dem späteren Kaiser Wilhelm I., und Prinzessin Augusta (1811–1890). Im Kaiserreich häufig bei offiziellen Anlässen gespielt, war die »Wacht am Rhein« gleichsam eine Hymne, die in Konkurrenz zu »Heil dir im Siegerkranz« stand. Doch so populär ihre Zeilen waren, so fehlte in ihnen jeglicher Hinweis auf die Hohenzollern, als offizielle Nationalhymne konnte sie daher nicht in Betracht kommen. Der Liedtitel entspricht einem Programm und einem symbolträchtigen Motto in der militärischen Auseinandersetzung mit Frankreich, er kündet von Deutschlands Macht und Stärke. Fünf der sechs Strophen dieses martialischen Vaterlandliedes finden sich auf einem Relief auf der Südseite des 1883 eingeweihten Niederwalddenkmals (Germania) bei Rüdesheim. So wundert es nicht, wenn in den folgenden Jahren rechts des Rheins Reiseandenken, später auch Postkarten oder Löffel vermarktet wurden, auf denen zu lesen war: »Der Rhein – Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze.«
Abb. 2: »Die Wacht am Rhein«, Relief am Niederwald-Denkmal (Germania), Postkarte um 1900.
Nur wenige Monate nach der Reichseinigung wurde dem Komponisten Carl Wilhelm am Ende seines Lebens eine besondere Ehre zuteil. Aufgrund der Bitte bzw. eines Appells des Deutschen Sängerbundes an den Reichskanzler Otto von Bismarck (1815–1898) vom 26. Mai 1871 sollte der Verfasser der »Wacht am Rhein« eine »Ehrenschuld des Gesamtvaterlandes« erhalten (»Das Vaterland darf aber den Tonsetzer eines eminent-nationalen Gesanges, der ganz Deutschland zu der großartigsten Erhebung, zu den herrlichsten Siegen mitentflammt, nicht darben, nicht in Sorgen den kurzen Lebensabend verkümmern lassen.«). Einen Monat später erhielt der Komponist ein Schreiben Bismarcks:2
»Sie haben durch die Komposition von Max Schneckenburgers Gedicht ›Die Wacht am Rhein‹ dem deutschen Volke ein Lied gegeben, welches mit der Geschichte des eben beendeten, großen Krieges untrennbar verwachsen ist. Entstanden zu einer Zeit, wo die deutschen Rheinlande in ähnlicher Weise wie vor einem Jahre von Frankreich bedroht schienen, hat ›Die Wacht am Rhein‹ ein Menschenalter später, als die Drohung sich verwirklichte, in der begeisterten Entschlossenheit, mit welcher unser Volk den ihm aufgedrungenen Kampf aufgenommen und bestanden hat, ihren vollen Anklang gefunden. Ihr Verdienst, Herr Musikdirektor, ist es, unserer letzten großen Erhebung die Volksweise gefunden zu haben, welche daheim, wie im Felde dem nationalen Gemeingefühle zum Ausdruck gedient hat. Ich folge mit Vergnügen einer mir von dem Geschäftsführenden Ausschuss des Deutschen Sängerbundes gewordenen Anregung, indem ich der Anerkennung, welche Ihnen von allen Seiten zu Teil geworden ist, auch dadurch Ausdruck gebe, dass ich Sie bitte, die Summe von Eintausend Talern aus dem Dispositionsfonds des Reichskanzleramtes anzunehmen. Ich hoffe, dass es mir möglich sein wird, Ihnen alljährlich den gleichen Betrag anbieten zu können. Die Reichshauptkasse ist angewiesen, Ihnen die für das laufende Jahr bestimmte Summe alsbald gegen Quittung auszuzahlen.
Der Reichskanzler – Bismarck«
Den geschichtlichen Hintergrund – die »Rheinkrise« von 1840 zwischen Frankreich und dem Deutschen Bund, hier nur kurz angerissen – muss man kennen, um die Bedeutung dieser Lieder zu verstehen. In demselben Kontext nämlich entstand das »Lied der Deutschen« von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798–1874).
Verbreitung fanden diese nationalistisch-patriotischen Lieder zunächst vor allem über Kommersliederbücher der Burschen-, Studenten- und Turnerschaften, schon bald gehörten sie zum Repertoire von Männerchören. Nicht immer war der Originaltext abgedruckt, die Bearbeiter und Komponisten erlaubten sich gelegentlich Variationen. »Die Wacht am Rhein« war Gegenstand des Musik- und Deutschunterrichts, an altsprachlichen Gymnasien wurde sie sogar ins Lateinische, Altgriechische und Hebräische übersetzt.3 Das Lied war allgegenwärtig, im häuslichen Umfeld und in Kneipen und bei vielen anderen Anlässen wurde es gesungen, es erklang aus Spieldosen und Musikautomaten und bei Volksfesten aus der Drehorgel. Sogar Wirtshäuser und Hotels gaben sich diesen Namen. Das Lied wurde so oft geträllert und geleiert, dass es manchmal schon nicht mehr zu hören war. Der Widerwille gegenüber der Omnipräsenz äußerte sich auch in parodistischen Umdichtungen, z. B.:4
Die Wacht am Rhein,
das ist der Titel des Liedes,
das im Schwange geht.
Es ist ein ganz probates Mittel
für einen, der sonst nichts versteht.
Darum, bei Mond und Sonnenschein
sing ich nur stets die Wacht am Rhein,
die Wi-Wa-Wacht am Rhein, die Wacht am Rhein.
Eine weitere Neuschöpfung in drei Strophen erschien unter dem Titel »Die Freiheitswacht«:5
Es geht durchs Land ein Schrei der Not:
Des Volkes Freiheit ist bedroht.
Viel dunkle Raben fliegen schon
und krächzen laut: Reaktion!
D’rum deutsches Volk, sei auf der Hut,
schirm’ fest und treu dein höchstes Gut,
d’rum deutsches Volk, mein Volk, sei auf der Hut,
schirm’ fest und treu, ja treu dein höchstes Gut …
Lieder dienen der Identifikation, der Verständigung, der Gemeinschaftsbildung, mit ihnen grenzt man sich von anderen ab. Diese Funktion übernahmen im Ersten Weltkrieg das »Lied der Deutschen«, ebenso die »Wacht am Rhein«, wie folgende Aussagen belegen. Danach allerdings, mit dem Ende des Kaiserreichs, hatte die »Wacht« weitgehend ausgedient.
Aus dem Vorwort zum Liederbuch »Unsere Feldgrauen. Marsch- und Lagerlieder«, 1914:6
»Mit dem ersten Tag der Mobilmachung war ›Die Wacht am Rhein‹ wieder mit einem Male in aller Munde. Unter ihren trotzigen, siegesgewissen Klängen sind unsere Krieger blumengeschmückt aus der Heimat ins Feld gezogen; in dröhnendem Takte sind sie mit diesem stolzen Sang in die feindlichen Städte eingezogen […]. Wie sich unsere Feldgrauen da draußen mit einem munteren Sang über die harten Anstrengungen der Märsche hinweghalfen, sich die kurzen Stunden der Rast am Lagerfeuer verschönern, so wollen СКАЧАТЬ