Название: Die Unaussprechliche
Автор: Wolf Awert
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Drachenblut
isbn: 9783959591843
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„Gib nicht auf“, flüsterte Tama, streichelte die raue Borke, dankbar dafür, dass es Pando gelungen war, ihre eigenen Probleme im Augenblick ein wenig zurückzudrängen. Nicht, dass er diesen Augenblick absichtlich herbeigeführt hätte. Oder vielleicht doch? „Ach Pando“, seufzte sie. Wie soll ich dich verstehen, wenn du selbst nicht weißt, wer du bist.“
Pando war kaum länger als ein Dutzend Atemzüge verschwunden, und schon fiel Tama das Warten schwer. Dass ihre Gedanken Nachlaufen spielten, hatte sie schon mehrfach erfahren müssen und sich mittlerweile daran gewöhnt. Sie wusste, mit der Zeit würden sie ihre eigene Ordnung finden. Aber jetzt wurde sie aus ihren Gefühlen nicht schlau. Ihr war, als würden diese zu einem anderen Menschen gehören und nicht zu dieser Tama, die sie einmal geglaubt hatte zu sein. Sie hatte sich erst dann verloren, als sie ihr Viertel Elfenblut anzweifelte. Aber machte sie das zu einem Wesen, das wie Pando war? Gleichgültig, was dieser Gestaltwandler vorhatte, sie würde ihm helfen. Das war sie ihm schuldig. Aber … Dieses „Aber“ wurde immer größer. Er als Vater ihrer Kinder? Undenkbar. Unfühlbar. Oder doch nicht. Sie hatte Gefühle, doch die waren noch rätselhafter als alle Überlegungen. Und merkwürdig – einen Ekel gab es nicht, nur eine starke Ablehnung, von der sie nicht wusste, woher sie kam. Kam sie aus den Gedanken oder aus den Gefühlen? Ihre Gefühle … Da war nichts außer Furcht vor etwas, das ungeheuer groß war und fremd. Vor allem fremd. Liebe war doch Vertrauen, Intimität, Nähe und die Sehnsucht, die sofort erwachte, wenn man getrennt voneinander war. Sie würde …
„He“, hörte sie Pando rufen. Nein, Unsinn, sie hörte ihn gar nicht. Ihre Ohren hatten nichts damit zu tun. Er war wie immer direkt in ihren Kopf gesprungen. Nur dass es sich zum ersten Mal so anfühlte wie ein Schwall kalten Wassers auf einen von der Sonne erwärmten Bauch.
„He, Tama, bist du noch da?“
„Ja, glaubst du denn, dass ich dir weglaufe. Was ist denn los? Bisher ging doch jeder deiner Gestaltwandel sehr schnell.“
„Ich habe nicht gewusst, dass ich dich hier treffen würde. Und auch nicht, in welche Richtung uns unser Gespräch führen würde.“
„Jetzt redest du wie ein Junge, der seinen ersten Arbeitstag in der Mine hat. Ich tue dir doch nichts. Was ist aus meiner mutigen Raubkatze geworden?“
„Es ist … Ich konnte mich auf diesen Körper nicht vorbereiten. Und jetzt habe ich keine Kleidung für ihn. Ich habe gerade gemerkt, dass ich nackt sein werde. Oder ich muss mir aus meinem eigenen Körper ein Gewand erschaffen. Ich kann das. Aber welches Kleid würde zu mir passen? Welche Schuhe? Brauche ich einen Hut? Würde ich mich in meiner Kleidung zuhause fühlen? Wahrscheinlich ja, denn es ist mein eigenes Fleisch. Aber was wirst du von mir denken? Ich habe kein Vorbild für einen Körper mit Kleidung. Es fühlt sich an, als würde ich zum zweiten Mal geboren. Wäre es zu viel verlangt, dich zu bitten, dass auch du deine Kleidung ablegst?“
„Jetzt ist es aber gut. Ich denke gar nicht dran.“
„Ich kann dich verstehen. Wer nackt ist, ist verletzlich. Selbst der dünnste Stoffschleier bietet noch einen Schutz. Aber mir wird dieser Schutz fehlen, während du gleichzeitig unter einer Rüstung aus Leder steckst. So weit reicht mein Mut nicht.“
„Das sind aber seltsame Töne für einen Drachen. Du meinst es wirklich ernst, nicht wahr?“
„Wie sagt ihr Menschen dazu? Todernst.“
Tama seufzte. „Manchmal bist du wirklich anstrengend, weißt du das?“ Sie begann, ihre Lederkleidung abzustreifen. Als der erste Windstoß ihre Haut liebkoste, fröstelte sie.
Als wenn Pando das mitbekommen hätte, sagte er zu ihr: „Es ist noch warm genug in der Sonne.“
War es nicht, denn ihr Schweißhemd war feucht geworden. So zog sie dieses auch noch aus, legte ihre Kleidung zu einem Bündel zusammen, das Bündel auf den Baumstamm und setzte sich darauf, wobei sie angestrengt nach vorn schaute. Wo Pando steckte, konnte sie nicht sagen. Sie hoffte, dass er sie nicht beobachtete. Aus den Augenwinkeln bekam sie mit, dass sich ein paar Äste jetzt heftiger bewegten, als noch ein paar Augenblicke zuvor. Ein kleiner Luftwirbel an ihrer rechten Seite ließ sie spüren, wie sich jemand neben sie setzte. Und dann fühlte sie die Hitze eines Körpers. Langsam drehte sie den Kopf und war erstaunt, wie viel Mut sie dazu brauchte. Neben ihr saß eine Frau, etwas älter als sie, aber nicht viel. Das Haar heller als das ihre, aber nicht viel. Die Haut sehr hell. Heller als ihre. Ganz offensichtlich war sie ein Mensch. Graziös, kräftig und zäh gleichermaßen. Eine Kriegerin vielleicht. Sie kam Tama unsagbar vertraut vor, obwohl sie so ein Wesen noch nie zuvor gesehen hatte. Die Haare waren untypisch kurz für eine Frau und nach hinten gebürstet. Die Augen standen eine Spur zu weit auseinander, um schön zu wirken, und der Mund war breit. Zu breit? Nein, das nicht, aber … Und die Augen waren rauchgrau. Weißer Rauch des Friedens. Beinahe durchsichtig. Sie wollte nicht hineinschauen, aus Angst, darin zu versinken. „Und wer bist du jetzt?“, fragte sie.
„Die weiße Tochter der Liebe und Vergebung. Jetzt bin ich meine andere Seite. Als Drache bin ich eine Frau. Als Mensch fühle ich mich wie eine Frau. Ein Mann werde ich erst viel später. Ich weiß zwar immer noch nicht, wer ich bin, aber in dieser Menschenfigur fühle ich mich wohl. Das muss doch etwas bedeuten.“
Obwohl zwischen ihren beiden Körpern noch mehr Platz war, als der Wind brauchte, um hindurchzuwehen, richteten sich Tamas Haare auf, als würden sie Pandos Körper suchen. Sie schaute auf Pandos Arm. Dessen Haut war haarlos wie die eines Kindes. Sie berührte die Haut mit den Fingerspitzen, strich darüber, atmete das Aroma von Wildblüten und Baumharz ein, spürte die Hitze des fremden Körpers, der trotz des Windes zu glühen schien, und sank ganz langsam zur Seite, bis sie mit ihrer Wange irgendwo den ersten Widerstand spürte. Und nun? Was sollte sie ihm sagen? Sie wusste ja noch nicht einmal, ob diese Frau echt oder nur ein weiteres beliebiges Bild war, das Pando ihr von sich zeigte. Oder es gab gar kein echt oder falsch, und alles war Pando. Sie würde noch eine sehr lange Zeit brauchen, in diesem Durcheinander eine Ordnung oder gar einen Sinn sehen. Vielleicht viel länger, als Pando bereit war, zu warten. Aber sie konnte nicht länger warten, musste ihm etwas sagen. Nicht viel, vielleicht nur einen Satz, etwas, das wirklich bedeutungsvoll für ihn war und ihn für seinen Mut belohnte.
„Der Sonnenuntergang, den du für uns ausgesucht hast, ist wirklich wunderschön“, sagte sie endlich und war mit sich und ihrer Antwort zufrieden. Und so träumten sie gemeinsam in den Abend hinein, bis ein beunruhigender Gedanke zu wachsen begann, und den Abendfrieden störte. Tama hatte nur eine Frage. Und sie musste sie stellen.
„Sag mal, Pando, kannst du in dieser Form als Frau ein Kind zeugen, wie ein Mann es tut?“
„Warum fragst du mich das?“
„Weil Merjina von einer Frau ein Kind empfangen hat.“
„Du willst doch nicht andeuten, dass ich …?“
Tama richtete sich auf, drehte sich zu der Frau an ihrer Seite, spürte, wie sich die Hitze von ihrem rechten Arm nun auf der ganzen Vorderseite ausbreitete. Jetzt traute sie sich, diesem Wesen, von dem sie nicht wusste, was es war, in die Augen zu schauen. Sie schienen sich etwas verdunkelt zu haben, aber es waren immer noch graue Augen, jetzt die eines Sees an einem Wolkentag, an dem der Wind sich schlafen gelegt hatte. Sie konnte ganz beruhigt sein. Sie sah die Augen eines Menschen. Nicht golden, nicht silbern, nicht СКАЧАТЬ