Название: Die Unaussprechliche
Автор: Wolf Awert
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Drachenblut
isbn: 9783959591843
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Lufthauch
Lufthauch war nicht nach NA-R zurückgekehrt. Noch nicht. Er lag flach auf dem Bauch, spähte durch Astgewirr und Blätterflattern und hatte alles mit angesehen: die Ankunft des weißen Drachen, wie Kriecher Tama etwas gab, das er nicht erkennen konnte, wie sie lange miteinander redeten, ohne dass sein Ohr auch nur einen einzigen Laut ausmachte, wie Kriecher endlich wieder verschwand, und Tama allein mit dem weißen Drachen zurückblieb. Sein Schmerz, nicht dabei sein zu dürfen, wollte nicht weichen und die Zeit zog sich wie eine Bogensehne bei langem, sorgfältigem Zielen, als er mit ansehen musste, wie Tama die Arme in einer Geste von Freude und Willkommen ausbreitete, zwei unbeholfene Schritte hin zu dem weißen Drachen machte, stolperte und zusammenbrach. Sein Herz tat noch einen harten Doppelschlag, der seinen Kopf vibrieren ließ, und stellte dann seine Arbeit ein. Es schlug erst wieder, als sie mit den Knien auf der Erde aufkam und mit dem Kopf auf dem Drachen landete. Alles in ihm schrie auf, und er wollte losrennen, um zu helfen. Doch das war ihm verboten. Auf keinen Fall aber würde er sich auch nur einen Schritt weiter weg bewegen, bevor nicht mit absoluter Sicherheit feststand, dass es Tama gut ging.
Was war los mit ihr? Lag es an dem, was Kriecher ihr gegeben hatte? Drachen besaßen nichts und hatten deshalb auch nichts zu verschenken. Was also konnte es sein? Er würde mit Tama darüber reden müssen. Nachdem sie wieder aufgewacht war. Wenn sie überhaupt aufwachte. Und Sumpfwasser ging das alles nichts an. Zumindest im Augenblick nicht. Später? Vielleicht. Wahrscheinlich dann aber auch nicht.
Lufthauch verfluchte sich, weil er in diesen bangen Momenten nichts tun konnte, und so drehten sich seine Gedanken im Kreis, jagten einander, spielten Fangen mit blutigem Ernst. Nur der weiße Drache schenkte ihm Trost. So wie der sich um Tama kümmerte, steckte unter dem Schuppenkleid Pando. Es musste Pando sein. Und damit würde Tama in jedem Fall sicher nach NA-R gelangen, wenn nicht etwas wirklich Schlimmes passiert war.
Neben Tamas Wohlbefinden lasteten aber auch noch ganz andere Dinge auf seiner Seele, die er nicht verstand und mit denen er wenig anzufangen wusste. Drachen waren Gestaltwandler, hatte er erfahren, und ihr Oberhaupt, wenn man den alten Drachen so bezeichnen konnte, hatte eine Vorliebe für die jungen Frauen der Elfen, was nicht immer ohne Folgen geblieben war. Und das allein sollte die Wahrheit hinter den Legenden der Elfenhelden sein? Das konnte er sich nicht vorstellen, denn wenn der Alte sein Spielchen immer noch trieb, warum gab es dann heute keine Helden mehr in seinem Volk?
Und das war nicht die einzige Frage, die ihn quälte. Er musste sich eingestehen, dass sein Besuch der Drachenberge ein völliger Fehlschlag geworden war. Was hatte er sich nicht alles davon versprochen gehabt. Klarheit, Einsicht, Wissen und vor allem eine Orientierung für die Richtung, in die er zu gehen hatte. Aber nichts war ihm klarer geworden. Ganz im Gegenteil.
Jetzt sah er, wie Tama sich aufrichtete. Es war wohl nur eine leichte Ohnmacht gewesen. Alles war gut, und er konnte sich endlich zurückziehen. Er schob sich rückwärts über trockene Aststücke, verwelktes Laub und vorwitzige Steinspitzen, die aus dem dünnen Boden herausragten, und verursachte bei keiner Bewegung einen Laut, der das Wehen des Bergwindes übertönte. Es kam vor, dass Lufthauch auf seine Geschicklichkeit als Jäger stolz war. Aber heute war kein solcher Tag, denn sein Kopf war voller Gedanken und sein Herz quoll über von einem Durcheinander unterschiedlichster Sorgen, die sich nicht greifen ließen. Immerhin schlug sein Herz wieder ruhig und kräftig. Er legte die Hand auf die Brust, um sich dieser Tatsache zu vergewissern, und vergaß bereits im nächsten Augenblick, warum er sie dort hingelegt hatte.
Er betrat den Wald der hohen Bäume und hatte keinen Sinn für deren Heiligkeit noch für die Stille oder die Bewegungslosigkeit der Luft. Noch nicht einmal der federnde Boden, dessen Kraft einen Elfen laufen ließ, ohne dass er jemals so etwas wie Ermüdung verspürte, vermochte ihm ein Gefühl zu entlocken. Er sprang in den Sattel der Spinne, befahl der Maschine sich zu sputen und preschte auf dem direkten Weg nach NA-R. Nur für einen Moment hatte er überlegt, Sumpfwasser persönlich aufzusuchen, weil ihn entweder der Mechaniker der Spinne oder Bork von den Wehrhütern melden würde und es wohl ratsam war, dem zuvorzukommen. Doch dann entschloss er sich, alles von NA-R aus zu regeln, was es zu regeln gab. So würde auch Sumpfwasser an seiner Stelle handeln.
Jetzt, auf dem Rückweg, beruhigte sich endlich sein Verstand, und er begann, ernsthaft über seine Situation nachzudenken. Er hatte gleich zweimal gegen Sumpfwassers Anweisungen verstoßen. Einmal, weil er sich allein und ohne Auftrag in die Drachenberge begeben hatte, und einmal, weil er unbedingte Tama hatte dabeihaben wollen. Auch sich einer Spinne zu bemächtigen, war unrechtmäßig gewesen und ein schwerwiegender Verstoß gegen alle Dienstvorschriften, denen ein Wehrhüter unterlag. Aber sein erster Schwall Angstschweiß war schon lange abgetrocknet, und so konnte er sich der wichtigsten seiner Fragen widmen: Warum stellte sich Sumpfwasser so hartnäckig gegen seinen Vorschlag, einen Drachen zu besuchen, der allem Anschein nach mit ihm hatte sprechen wollen? Und so war es ja auch tatsächlich gewesen. Dass Kriecher über ihn an Tama herankommen wollte, spielte im Nachhinein keine Rolle. Es hätte auch etwas anderes gewesen sein können. Gut, Sumpfwassers Sorge um Tamalone konnte er verstehen. Sie war besonders, äußerst wertvoll und durfte nicht gefährdet werden. Andererseits war sie freiwillig mitgekommen – na ja, nicht so ganz. Aber sie war die Letzte, die sich nötigen ließ. Und besser, sie ging mit ihm als allein, was sie unzweifelhaft irgendwann getan hätte. Da war er sich sicher.
Die Sorge um ihn, den Sohn und möglichen Nachfolger? Unsinn. Sumpfwasser würde ihn jederzeit opfern, wenn die Umstände es erforderten. Da machte er sich nichts vor. Nein, es musste etwas anderes sein. Denn schließlich ergab es keinen Sinn, ihn wegen seiner Sensibilität für Drachenmagie zu rekrutieren und ihm anschließend einen entsprechenden Einsatz zu verweigern. Wie stolz war er doch auf sich und seine Gabe gewesen. Bevor er Kriecher begegnet war. Der Drache hatte alles verändert. Seine Wangen brannten, als die Erinnerungen an die Demütigung in ihm hochstiegen. Als wenn er gar nicht zählte. Hatte Sumpfwasser vielleicht von vorn herein gewusst, dass Kriechers Interesse nicht ihm, sondern Tama gegolten hatte? Möglich war es. Niemand konnte in den Kopf des Ersten Beraters hineinschauen und niemand kannte seine Geheimnisse, mit denen man einen ganzen Wald hätte füllen können.
Lufthauch seufzte. Meine Gedanken drehen sich im Kreis, und ich drehe mich mit ihnen, dachte er. Und in diesem Augenblick fielen ihm noch ein paar andere Dinge ein, über die er bereits früher gestaunt hatte, ohne zu verstehen, was das bedeutete. Wie Sumpfwasser mit seinen Schwarzvögeln gesprochen hatte. Keiner Elfe war so etwas möglich. War die Amtskette, die er manchmal trug und manchmal nicht, mehr als nur ein Symbol seiner Stellung? Vielleicht in Wirklichkeit ein Artefakt? Aber gab es überhaupt ein Artefakt, das es ermöglichte, mit Drachen, Gestaltwandlern oder gar Tieren zu reden? Wenn, dann hatte er noch nie davon gehört. Vorstellen konnte er sich das auch nur, wenn das Tier ein Gestaltwandler war. Und das führte gleich zur nächsten Frage. Was brachte einen Gestaltwandler dazu, einer Elfe zu dienen, wo doch gerade die Elfen Jagd auf sie machten? Das passte alles vorn und hinten nicht zusammen. Er hätte jemanden gebraucht, der Sumpfwasser gut kannte und auch noch bereit war, über ihn zu reden. Lufthauch schüttelte den Kopf. Das konnte er vergessen.
Es war dunkel geworden. Irgendwann ging jeder Tag einmal zu Ende. Während der Nacht wollte er nicht reiten. Er legte sich unter die Spinne und schlief sofort ein.
Tamalone
Tama hatte als Sitzplatz einen umgestürzten Baumstamm ausgewählt. Irgendwann musste der seinen Halt verloren haben, weil sich aus der Steilwand ein paar Gesteinsblöcke gelöst hatten. Die Steine nahmen die auf ihnen liegende Erde mit sich und ließen die Baumwurzeln hilflos im Wind zurück. Niemand hätte sich gewundert, wenn der ganze Baum Steinen und Erdreich auf ihrem Weg in die Tiefe gefolgt wäre, aber irgendwie, vielleicht in einem letzten Akt von Widerspenstigkeit СКАЧАТЬ