Название: Waypoint FiftyNine
Автор: Sandra Florean
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783945230503
isbn:
Von Maden und Halunken in Spelunken (von Jasmin Aurel)
Ein einzelner Tropfen Blut lief ihr über das Handgelenk.
Kay zuckte zusammen und bemerkte erst jetzt, dass sie unbewusst ihre Fingernägel brutal in ihren Handballen bohrte. Mit einem Keuchen öffnete sie ihre Hand und betrachtete im bunten Lichtschein der Armaturenanzeigen die blutigen Male in ihrer Haut.
Sie seufzte und sah aus dem Fenster. Shuttles und Raumschiffe unterschiedlichster Größe und Bauart schwebten vor, hinter und über ihr in drei langen Reihen. Der Zubringertunnel war mehr als voll. Sie steckten fest, was im Zeitalter von Leitsystemen, in die sich Bord-KIs einwählen konnten, eigentlich kaum möglich war.
Und doch standen sie hier.
»Benedict, wie lange dauert dieser Stau noch?«
»Diese Gegend ist hartnäckig verstopft um diese Uhrzeit. Scheinbar müssen die Flugbahnen hier wegen dem großen Andrang per Zwang in Bahnen gelenkt werden. Es kam wohl in letzter Zeit zu einigen schweren Zusammenstößen. Ich bitte vielmals um Verzeihung für diese Unannehmlichkeiten, Darling«, schnurrte Benedict, die KI ihrer Spacelimousine, aus den Lautsprechern.
Die meisten KIs waren weiblich, aber es hatte sich sowas von gelohnt, sich die Stimme von Benedict Cumberbatch als Modul einzukaufen. Sein tiefer, britischer Bass kratzte wenigstens nicht wie rostige Nägel an der Innenseite ihres schmerzenden Schädels.
»Halte noch ein wenig durch. Möchtest du, dass ich Musik auflege? Sanfte klassische Klänge, Sweetheart?«
Kay überlegte, während sie ihre zittrigen Finger betrachtete und den blutigen Handballen dann gegen den schwarzen Stoff ihrer Hose presste. »Einverstanden.«
Die klaren Töne eines Klaviers perlten über sie hinweg und Kay rutschte tiefer in die weichen Polster.
»Vielleicht war es doch keine so gute Idee, unter Leute zu gehen.«
»Es war die einzig gute Idee. Du unterhältst dich seit Wochen nur mit mir, das ist nicht gesund, Beautiful.«
Jetzt war es soweit: Sie wurde von ihrer KI bemuttert. Jeder wusste, was das bedeutete: Man war ganz unten angekommen.
»Es wird Zeit, dass du nach deinem Umzug neue Sozialkontakte knüpfst. Mit lebenden Personen wohlgemerkt.«
Auch das entsprach leider der Wahrheit.
»Außerdem seien wir ehrlich, Darling, wenn du dich weiter so hängen lässt, musst du mich verkaufen, weil du dir deinen gewohnten Lebensstandard nicht mehr leisten kannst.«
»Aha, daher weht der Wind«, lachte Kay. »Du hast Angst, bei irgendeinem geleckten Schnösel zu landen.«
»Nun, die Wahrscheinlichkeit, dass ich noch einmal bei einer Space Nekromantin lande und eine derart aufregende Existenz führe wie bei dir, ist statistisch gesehen sehr gering. Das musst du zugeben, my dear.« Benedict ließ die Spacelimousine ein Stück weiter rücken, als der Stau sich bewegte. Dann standen sie wieder.
»Möglicherweise wird es bei mir jetzt aber auch langweilig und öde werden, Benedict. Du weißt, ich habe aufgehört.«
»Sagen wir, du gönnst dir eine Auszeit.«
Auszeit. Das war keine Auszeit.
»Benedict, der letzte Auftrag war … das war … ein Massaker. Ein. Massaker.« Kay betonte jedes einzelne Wort. »Diese Bilder verfolgen mich immer noch. Ich kann nicht mehr schlafen. Ich kann nicht mehr essen. Ich …« Tatsächlich konnte sie nicht einmal in Worte fassen, was sie empfand. Deshalb hatte sie auch noch mit niemandem darüber gesprochen. Nicht dass es irgendjemanden geben würde, der sich für ihr Seelenleben interessieren würde. Das Leben als freischaffende Auftragsnekromantin war zwar gut bezahlt, aber einsam. Sehr einsam.
So einsam, dass sie von Benedict bemuttert wurde.
Dieser schwieg höflich.
Das Klavier klimperte.
Sie standen immer noch im Stau.
»Benedict, gibt es denn noch eine andere Bar, wo wir hinfahren könnten? Bis wir beim Palace of Glass ankommen, habe ich eine Panikattacke.«
»Wenn wir hier rechts aus der Hauptverkehrsader abbiegen, könnten wir in zehn Minuten die große Dimensionsschleuse für Raumschiffe erreichen. So könnten wir relativ schnell den Rand unserer Galaxy erreichen. Dort gibt es eine Weltraumkneipe. Allerdings …« Er zögerte einen vielsagenden Moment lang. »Nun ja, sie ist nicht so hochklassig.«
»Nicht so hochklassig?«
»Von fragwürdiger Reputation.«
»Wovon sprichst du?«
»Eine Spelunke, Darling. Sie heißt Waypoint FiftyNine.«
»Was ist denn das für ein Name für eine Bar?«
»Darüber möchte ich mir keine Meinung anmaßen, Honey.«
Das versprach zumindest unterhaltsam zu werden. Sicherlich spannender als sich die High Society beim Champagnersüffeln anzusehen und sich dabei wie eine Ausgestoßene zu fühlen.
»Bring mich in diese Spelunke, Benedict.«
Kurz vor ihrem Ziel verringerte Benedict plötzlich deutlich die Geschwindigkeit. Kay kämmte sich gerade die Haare, überprüfte ihr Make-up und überlegte, ob es besser wäre eine Augenklappe über ihrem Nekromantenauge zu tragen, als sie bemerkte, dass sie nahezu auf der Stelle schwebten. »Ben, was ist los?«, fragte sie verwirrt.
»Ich habe gerade eine Nachricht der Stations-KI der Kneipe erhalten. Ein defekter Sensor verhindert, dass sich freie Buchten öffnen.«
»Na und? Wenn eine Bucht wie allgemein üblich drei bis fünf Raumschiffe aufnehmen kann, wo liegt dann das Problem? Da wird doch wohl trotzdem genug Parkraum sein.« Kay entschied sich gegen die Augenklappe und deaktivierte mit einer Handbewegung die Bildschirmkamera, die ihr gelegentlich als Schminkspiegel diente. Nun zeigte der Bildschirm die Meldung der Stations-KI an. »Die wollen uns doch nicht etwa erzählen, dass sie sonst keine freien Plätze mehr haben? Wird diese Spelunke derart überrannt von Besuchern? Das kann ich mir kaum vorstellen.«
»Beruhige dich, Darling. Du bist etwas gereizt.«
Kay schnaubte nur als Antwort.
»Tatsächlich verfügt dieses Etablissement ausschließlich über Einzelparkbuchten.«
»Wow. Die sind ja dekadent. Einen solche Luxus bietet uns der Palace of Glass nicht. Wir sollten wirklich weniger lästern.«
»Das Klientel dieser Kneipe wird derartige Maßnahmen verlangen«, meinte Benedict verschnupft. Er mochte den Palace of Glass. Was natürlich an der süßen Service-KI lag, mit der er dort regelmäßig während seiner Updates flirtete.
»Die Stations-KI des Waypoint FiftyNine fragt, ob wir uns ausnahmsweise einen Parkplatz teilen würden. СКАЧАТЬ