Название: Ein Buch für Keinen
Автор: Stefan Gruber
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Афоризмы и цитаты
isbn: 9783347043282
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Die soziale Währung spielt auch eine große Rolle bei der Respektserweisung (sie verleiht Prestige, aber nicht im materiellen Sinne), beim Aushandeln von Friedensabkommen usw. In manchen Stämmen kann die soziale Währung, meist in Notlagen, auch dazu verwendet werden materielle Schuldverhältnisse mit dem Nachbarstamm einzugehen, allerdings wird mit dieser Währung nichts gekauft. Wenn Stamm A beispielsweise Vieh benötigt, kann er bei einem Nachbarstamm B vorsprechen. Kann dieser Vieh entbehren, hinterlegt Stamm A dafür eine definierte Menge der sozialen Währung. Mit der Übergabe dieser »Währung« erkennt Stamm A an, dass er Stamm B das Vieh schuldet. Er kann seine Schuld auch mit etwas Gleichwertigem tilgen, wenn Stamm B es als gleichwertig anerkennt, aber natürlich niemals mit Geld. Die soziale Währung ist nicht umlauffähig. Sie hat auch keinen Marktwert oder eine Kaufkraft. Alles, was diese »Währung« aussagt, ist: Stamm A schuldet mir x Stück Vieh. Hätte Stamm B einen Notizblock, einen Stift und ein Schriftsystem könnte er auch einfach notieren, dass ihm Stamm A Vieh schuldet. Die Übergabe der »Währung« ist damit nichts anderes als eine Buchführung. Geld oder universelle Tauschmittel benutzen Stämme ausschließlich dann, wenn Kontakt zu einem Machtsystem besteht. Wenn Stammesgemeinschaften begreifen, dass sie mit Gold oder Dollarscheinen echte Nahrung außerhalb ihrer Stammesstruktur bekommen, dann werden sie diese Währungen oder Tauschmittel auch verwenden bzw. annehmen. Auch der umgekehrte Fall ist dokumentiert: So wurde die soziale Währung der Indigenen, die sogenannten »Wampum-Gürtel«, nach der Eroberung der Neuen Welt zum nachgefragten Kunsthandwerk durch die Europäer, was so weit ging, dass diese in New England von 1637 bis 1661 zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklärt und in ein fixes Kursverhältnis zum Penny gesetzt wurden. Damit degradierte auch bei den Indigenen die ursprünglich sakral aufgeladene Währung für den sozialen Ausgleich zum profanen Zahlungsmittel für den Erwerb von europäischen Gütern.
Wie wir sehen, hatte das sogenannte Primtivgeld eine rein soziale Funktion – es war eine soziale Buchhaltung, wenn man so will. Man konnte mit diesem »Geld« zu keinem Zeitpunkt etwas erwerben. Das war auch gar nicht möglich, da Stämme eben keine Überschüsse produzieren, die sie an irgendeinem fiktiven Markt hätten feilbieten können. Zwar gab es vereinzelt und meist in einem aufwendig zeremoniellen Rahmen Tauschakte zwischen Stämmen, aber nie mit Geld als Tauschmittel. Ist doch Geld als physisches Gut, ganz im Gegenteil, ein noch relativ junges Phänomen und es entwickelte sich auch nicht auf privater Ebene im Zuge von Tauschakten, sondern war und ist seit jeher ein reines Machtderivat. Erst wenn eine Menschengruppe eine andere Menschengruppe kriegerisch unterwirft und sie zwingt, Überschüsse als Tribut abzuliefern, ist das Geld in der Welt. Zu Beginn der Staatenhistorie wurden die vom Staat abgeforderten Naturalabgaben schriftlich verbucht. Es waren reine Kreditsysteme, in denen, beispielsweise in Mesopotamien, auf Tontafeln dokumentiert wurde, wer dem Tempel wie viel schuldet. Dieses zu erwirtschaftende Surplus ist im ganz konkreten Sinne ein Zins (worauf sich auch die in alten Büchern gebräuchliche Bezeichnung »Zinnß« für die Steuer bezieht), d.h. eine Mehrleistung, die periodisch zu erwirtschaften war. Konnte aber ein Abgabenschuldner seine Leistung zum Termin nicht erbringen, musste er sich das Abgabengut beim Tempel leihen, um der Sanktion des Staates zu entgehen. Hierfür wurde eine Schuldurkunde (auf einer Tontafel) ausgestellt, welche die geschuldete Summe dokumentierte. Dieser »Schuldschein« konnte vor Ablauf der Laufzeit vom Gläubiger an einen Dritten gegen einen Abschlag (Disagio) abgetreten (zediert) werden, womit diese Urkunden als Geld zu zirkulieren begannen, deren Schuldinhalt auf eine bestimmte Menge Abgabengut lautete. Bei der Naturalabgabe, die nicht durch Verschuldung emittiert, sondern periodisch abgefordert und schließlich verbraucht bzw. über Mittelsmänner des Palastes an andere Machtzentren im Austausch gegen andere begehrte Waren geliefert wurde, können die Bezeichnungen Zinnß (»Zins 1«) und Geld (Getreide als Abgabengut, ergo »Geld 1«) synonym verwendet werden. Die darauf aufbauenden privaten Schuldbeziehungen können als »Geld 2«1 verstanden werden. Wurden sie zediert, d.h. als Geld verwendet, war ein privater Zins (»Zins 2«) in Form eines Abschlags zu entrichten. Für Martin ist der ursprüngliche Zins – der sich bei ihm aus dem »Zinnß«, d.h. der erzwungenen Abgabe bzw. Steuer an den Staat ergibt – also ein Abschlag (Diskont oder Disagio) auf einen Schuldtitel, der vor Fälligkeit an einen Dritten abgetreten wurde.2 Wir kennen Selbiges vom Wechsel, auf dem ganz genau festgehalten wird, wie viel ein Wechselschuldner im jeweiligen Abgabengut zu leisten hat. Auch hier ist von einem Zins nichts zu entdecken. Erst wenn der Wechsel diskontiert wird, d.h. an einen Dritten oder Vierten weitergegeben wird, um die darauf verbriefte Summe früher zu kassieren als zum Termin, kommt es zum Abschlag, der später der Einfachheit halber auf die geschuldete Summe aufgeschlagen wurde. Ersichtlich ist dieser Abschlag aber teilweise noch heute zwischen Banken und Zentralbanken, wo Schuldtitel diskontiert werden, d.h. die auf dem Schuldtitel verbriefte Summe gegen Abschlag früher als zum Fälligkeitstermin ausbezahlt wird.
Hier sehen wir, dass Geld bereits in seinen Anfängen Schuldverhältnisse dokumentierte. Zu keinem Zeitpunkt war Geld ein Netto-Gut, um Tauschvorgänge zu erleichtern, verbrieft doch Geld als Guthaben, ganz im Gegenteil, erst die Forderung an einen Schuldner als Counterpart, Dienstleistungen zu erbringen bzw. Waren im Überschuss herzustellen, die dann mit Geld gekauft werden können, was wiederum dem Schuldner die Möglichkeit gibt, sich von seiner Schuld zu befreien (zumindest temporär, da es das Wesen von Staatssystemen ist, seine Schäfchen in permanenter Verschuldung zu halten, um Wirtschaftsleistung zu generieren). Wer in vorstaatlicher Zeit oder bei noch heute von der Zivilisation unberührten Stämmen mit einem Goldnugget Waren oder Dienstleistungen kaufen wollte, würde bestenfalls ausgelacht. Niemand würde sich dort für ein funkelndes Stück Metall zum Dienstleister degradieren oder Nahrung abgeben, die dem Stamm dann zur Bedienung der eigenen Urschuld fehlen würde. Nicht nur, dass Gold in den meisten Stämmen bestenfalls ideellen Wert hatte – man muss sich eher die Frage stellen, ob Gold überhaupt jemals so etwas wie einen »intrinsischen Wert« besaß, wie von Gold-Fans und Tausch-Theoretikern gern fabuliert wird, denn selbst im klassischen Goldstandard war Gold kein Wert an sich, sondern eine Recheneinheit, um Schuldverhältnisse zu dokumentieren. Aber wie kam es aus historischer Sicht zu diesem bis heute anhaltenden Mythos, der Edelmetalle umgibt?
Die Verklärung und Vergöttlichung von Gold lässt sich mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auf seine СКАЧАТЬ