Aufgang. Jahrbuch für Denken, Dichten, Kunst. Heinrich Beck, Barbara Bräutigam, Christian Dries, Silja Graupe, Anna Grear, Klaus Haack, Rüdiger Haas, Micha
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Aufgang. Jahrbuch für Denken, Dichten, Kunst - Heinrich Beck, Barbara Bräutigam, Christian Dries, Silja Graupe, Anna Grear, Klaus Haack, Rüdiger Haas, Micha страница 7

СКАЧАТЬ

      Lanzl: In einem Orchester kann man kaum darüber diskutieren, welche Interpretation die richtige ist. Sie wird vom Dirigenten vorgegeben. Ich denke aber, dass Karajan sich die Frage, welche Interpretation die angemessene ist, sicherlich gestellt hat. Und in diesem Punkt war er dann bestimmt auch selbstkritisch, wenngleich er sich nach außen hin als Autorität zeigen musste. In der Industrie kann man als Führungskraft mit guten Mitarbeitern durchaus diskutieren und ihnen die Frage stellen, was sie vom eingeschlagenen Weg halten.

      Aufgang: Ich denke beim Führen auch noch an eine andere Persönlichkeit: Steve Jobs, von dem berichtet wird, er führte die straffe Regentschaft auf Kosten seiner Mitmenschen.

      Lanzl: Ich habe gehört er sei ein Genie gewesen, mit dem die Leute zusammengearbeitet haben oder auch nicht. Aber scheinbar gab es auf menschlichem Gebiet genügend Konflikte.

      Aufgang: Steve Jobs hat seine Ziele scheinbar mit aller Härte verfolgt. Das Menschliche war für ihn weniger wichtig. Priorität hatte der Erfolg des Produkts. Sie aber berichten von der Kunst der Menschenführung. Für den menschlichen Menschen steht das Phänomen des Staunens und der Offenheit gegenüber Mitmenschen im Vordergrund. Von hier aus ist der Bogen zum Sich-selbst-Hinterfragen nicht weit. Die Kunst der Menschenführung ist nicht selbstverständlich. Es wird hier sehr viel Missbrauch getrieben. Menschen in Führungspositionen stellen sich oft zu wenig die Frage nach dem richtigen eigenen Handeln.

      Lanzl: Es gibt Dinge, die man lernen kann. Gerade von meinem ersten Vorgesetzten in der privaten Wirtschaft habe ich in dieser Hinsicht sehr viel gelernt, zum Beispiel, dass man sich als Führungskraft hinterfragen muss. Wenn Mitarbeiter nur zehn Prozent weniger Leistung erbringen, weil sie sich über den Chef ärgern, dann wird bei zehn Mitarbeitern eine ganze Stelle verschwendet. Solche Dinge wurden mir von meinem Chef ans Herz gelegt. Er hat mit mir darüber diskutiert, ob ich als Führungskraft richtig handle. Vor allem aber hat er einer Führungskraft zugestanden, auch einmal Fehler zu machen.

      Aufgang: Wir sind alle nicht perfekt, machen alle Fehler. Als Junglehrer macht man viele, aus denen man dann lernt. Heißt sich selbst hinterfragen auch sich Fehler eingestehen können?

      Lanzl: Auf alle Fälle. Ich möchte die Führungskraft sehen, die keine Fehler macht. Sie wäre nicht menschlich. Mittlerweile ist es Standard, sich bei Mitarbeitern zu entschuldigen, wenn man Führungsfehler gemacht hat. Diese Verhaltensweise ist heute nicht nur akzeptiert, sondern erforderlich. So autoritär führen wie in den 50er-Jahren ist nicht mehr möglich. Diesen Führungsstil lässt sich kein Mitarbeiter gefallen. Er sucht sich dann sehr schnell eine andere Firma.

      Aufgang: Kann man sich das als Mitarbeiter leisten?

      Lanzl: Selbstverständlich. Ich würde sogar sagen: wesentlich mehr als früher. Früher war man mit der Firma vielleicht sogar „ein bisschen verheiratet“, aber heute gibt es den familiären Zusammenhalt zwischen Angestellten und der Firma nicht mehr.

      Aufgang: An vielen Schulen haben die Rektoren heute die Qual der Wahl. Sie brauchen ihren Führungsstil oft nicht zu hinterfragen, weil sie bei der Einstellung von Bewerbern meist aus dem Vollen schöpfen können. Wenn jemand die Schule verlässt, wird eben ein anderer eingestellt.

      Lanzl: An einer Schule kann man sich das vielleicht eher erlauben, weil man weniger im Team arbeitet. Im industriellen Unternehmen ist es fast immer auch ein finanzieller Verlust, wenn ein Mitarbeiter die Firma verlässt. Ein neuer Mitarbeiter muss sich erst einarbeiten und mit den Kollegen vernetzen. Es ist auch nicht klar, ob und wie er in die Gesamtkonstellation passt. Das kostet Geld, Zeit und Aufwand, ist also unökonomisch. An der Schule hingegen arbeiten Kollegen eher unabhängig voneinander. In der Industrie versucht man – mit Ausnahmen – Mitarbeiter zu halten.

      Aufgang: Über finanzielle Anreize?

      Lanzl: Unter Umständen ja. Man kann mit Geld kaum zusätzlich motivieren, aber man kann demotivieren. Wenn ein Mitarbeiter den Eindruck hat, er verdiene zu wenig, kann das so demotivierend sein, dass er kündigt. Dann muss auch an der Gehaltsschraube gedreht werden.

      Aufgang: Welche anderen Möglichkeiten gibt es, Mitarbeiter zu halten?

      Lanzl: Viele. Alle Mitarbeiter brauchen positives Feedback und Anerkennung. Hier können Vorgesetzte zur Motivation beitragen.

      Wenn jemand unterfordert ist, kann man diesen Mitarbeitern spezielle Projekte übertragen. Es gibt die Möglichkeit einer Beförderung. Manchmal passt auch nur der Arbeitsplatz nicht, wenn es z.B. zu laut ist oder die Beleuchtung nicht stimmt.

      Aufgang: Sie waren sieben Jahre in diesem Unternehmen. Was kam danach?

      Lanzl: Ich war sieben Jahre in der Entwicklung von spezifischen Automobilkomponenten in den Funktionen Entwicklungsspezialist, Projektleiter und Abteilungsleiter. Das war interessant, aber auf Dauer auch etwas eintönig. Auf Basis meiner sehr fundierten Kenntnisse in der Automobilbranche habe ich mir eine Aufgabe gesucht, mit der ich meinen Horizont entscheidend erweitern konnte. Diese Aufgabe habe ich bei einem japanischen Unternehmen im Vertrieb von Automobilkomponenten gefunden.

      Aufgang: Waren Sie öfters in Japan?

      Lanzl: Ich war bis jetzt 15 Mal in Japan.

      Aufgang: Sind Sie mit der Kultur des Landes auch in Kontakt gekommen?

      Lanzl: Natürlich. Es gibt japanische Kollegen und Vorgesetzte, an deren Arbeitsstil man sich kulturell anpassen muss. Es war eine sehr reizvolle, schöne Aufgabe. Vorher war ich bei dem regional verwurzelten Unternehmen tätig und plötzlich fand ich mich in einem internationalen Konzern mit japanischer Führung wieder.

      Aufgang: Was hat Sie an der japanischen Kultur besonders beeindruckt?

      Lanzl: Die langfristige Denkweise.

      Aufgang: Eine vorausschauende, philosophische Denkweise? Was machen die Japaner anders?

      Lanzl: Unser Menschenbild ist mehr individuell ausgerichtet, während in Japan die Gruppe wichtiger ist. Bei uns bringt jeder seine eigenen Ideen ein und möchte diese oft durchsetzen, was natürlich auch eine unserer Stärken ist. Deswegen gelingen uns viele Erfindungen. Ein solches Verhalten finden wir in Japan weniger. Die Menschen sind sehr stark in Gruppen integriert. Aufgrund dieser Gruppendynamik überlegen die Mitarbeiter gemeinsam, welches Ziel sie verfolgen wollen. Entscheidungsprozesse dauern für europäische Maßstäbe sehr lange. Als Europäer braucht man hier viel Geduld. Aber wenn einmal eine Entscheidung vorliegt, ist sie Ergebnis eines Gruppenprozesses, die ein Einzelner dann kaum mehr umdirigieren kann. Dieser Findungsprozess ist langfristig angelegt. Es war für mich faszinierend, mit welcher Geduld, Entschlossenheit und Geschlossenheit eine japanische Firma agiert.

      Aufgang: Ein kultureller Unterschied, Geduld, Geschlossenheit, Gruppenbewusstsein. Der Zen-Buddhismus ist eine seit vielen Jahrhunderten wichtige Tradition in Japan. Das Aufgehen in einem großen Ganzen und geistig-praktisches Handeln sind wichtig. Ein solcher Geist ist in Japan lange Zeit gepflegt worden. Anscheinend ist er trotz der Globalisierung heute immer noch anwesend.

      Lanzl: Trotz der anscheinend globalisierten Welt gibt es immer noch regionale Unterschiede. Es ist sehr spannend in einer wirklich internationalen Umgebung zu arbeiten. Ich habe mich deshalb sehr gefreut, dass mir in diesem Unternehmen eine Beförderung zur Direktorin für Marketing im Bereich Bau und Industrie angeboten wurde. Ich konnte hier meine bisherigen Erfahrungen aus der Entwicklung und dem Vertrieb einbringen. Jetzt war ich dafür verantwortlich, die Produkte zu definieren, die diese Firma in der Zukunft braucht, um erfolgreich zu bleiben. Die technische Beratung und die Kommunikation gehörten ebenfalls zu meiner Aufgabe. Die Stelle war in Brüssel angesiedelt. Ich bin dazu drei Jahre zwischen Brüssel und München СКАЧАТЬ