Aufgang. Jahrbuch für Denken, Dichten, Kunst. Heinrich Beck, Barbara Bräutigam, Christian Dries, Silja Graupe, Anna Grear, Klaus Haack, Rüdiger Haas, Micha
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СКАЧАТЬ Haltungen von Bescheidenheit und Sparsamkeit, Askese, Detailliebe und strikter Konsequenz? Dieter Brandes antwortet: „Das Unpersönliche ist durchaus Teil der ALDI-Kultur.“10 Was aber ist das Unpersönliche? Dies wird von Brandes nicht weiter thematisiert. Mit dem Begriff wird ganz selbstverständlich umgegangen, ohne ihn zu hinterfragen. Wir wollen versuchen, dieses Phänomen aufzuhellen.

      3. Das Phänomen des Unpersönlichen

      Die Klärung des Phänomens des Unpersönlichen erfolgt über die Öffnung des Menschen zu sich selbst. Der Schlüssel für ein tieferes Verständnis des Phänomens liegt in der Erhellung der Motive (inneren Beweggründe) des Menschen.

      Zu unterscheiden sind zwei Motivzusammenhänge, zum einen die Ausrichtung des Menschen auf seine ausschließlich ich-orientierten Bedürfnisse und zum anderen die Ausrichtung auf die Wirkkräfte eines über seine eigenen Bedürfnisse hinausgehenden Ganzen (eines Gemeinwesens, welcher Art auch immer). Beide Motivzusammenhänge sind gegenläufig, ergänzen sich aber gegenseitig. Sie konstituieren das Paradoxon Mensch. Diese gegenläufigen Bewegungen sind miteinander verbunden. Die eine Dynamik hat die Orientierung der Verengung, zieht den Menschen nach unten und begrenzt ihn in seinen Möglichkeiten, die andere hat die Orientierung der Weitung und Öffnung, befreit den Menschen aus der Verengung, zieht nach oben und will ihn zur vollendeten Wirklichkeit führen. Das Zusammenspiel beider Richtungen fördert den Wachstumsprozess des Menschen.

      3.1 Die ich-orientierten Bedürfnisse

      Das Kriterium für die Ausrichtung des Motivs auf ein ich-orientiertes Bedürfnis liegt nicht im sichtbaren Tun einer Sache, auch nicht im Erleben des Bedürfnisses an sich, sondern darin, wie stark das verengte, angstbesetzte Ich des Menschen am Erleben beteiligt ist. Beim Phänomen der Bedürfnisorientierung verstehen wir Menschen, deren Tun und Handeln zu stark auf die eigenen Bedürfnisse und Wertvorstellungen ausgerichtet sind. Beobachtungen solcher Art sind unbewusst oft von einer abwertenden Haltung begleitet. Grund dafür ist, dass sich hinter der Maske der Bedürfnisorientierung oft eine egoistische Haltung verbirgt, die der Beobachtende als negativ empfindet. Die negative Reaktion erfolgt aufgrund einer unbewussten Nicht-Akzeptanz dieser Haltung. Doch es ist nicht das Leben der Bedürfnisse, sondern die Orientierung des Menschen auf sich selbst, die ihn verengt und vereinzelt. Solange er diese negative Haltung nicht aufgibt, bleibt er primär in seinem verengenden Ich und sekundär in der Abhängigkeit seiner Bedürfnisse gefangen. Er urteilt über andere negativ und erkennt nicht, dass er seine eigene Lebenshaltung auf den anderen projiziert. Dadurch verdrängt er die eigene existenzielle Problematik, meint frei zu sein, ist es aber nicht. Im Gegenteil: Nach und nach wird er Sklave seiner Begierden und negativen Werthaltungen, obwohl er zunächst im Glauben lebt, mit der Erfüllung seiner Bedürfnisse glücklich und gut zu sein.

      Ursache des Festhaltens an dieser verengenden Lebensform ist die Motivdynamik, die sich der Öffnung und Weitung des Menschen verschließt. Sie möchte Absicherung, führt zum Stillstand und verhindert geistiges Wachstum. Wir bezeichnen sie als das Ego des Menschen. Wird es nicht infrage gestellt, verfestigt es sich durch Wiederholung und Gewöhnung weiter und verwickelt den Menschen in seelisches Leid. Diese Ver-Wicklung ist die Gegenorientierung zu seiner geistigen Ent-Wicklung, die Reibungskraft, die bei der Selbstfindung zu überwinden ist. Je stärker der Mensch von seinem Ego geleitet wird, desto mehr wird er von seinen eigenen Bedürfnissen abhängig sein und in Negationen verfallen. Alles kreist dann nur um ihn und seine Welt, d.h. die ganze Welt und die anderen sollen für seine Bedürfnisse bereitstehen. Hier liegt die Wurzel der Macht verborgen, die in die Tyrannis führt, der Lebensform ohne jegliche Selbsterkenntnis.

      3.2 Die über die eigenen Bedürfnisse hinausgehende, auf ein Ganzes gerichtete Motivdynamik

      Das Phänomen, einem Ganzen (Gemeinwesen) unter Zurückstellung eigener Bedürfnisse dienen zu können, zeigt, dass es phasenweise möglich ist, Arbeiten und Dienste nicht verengt ich-orientiert auszuführen.

      Die Rückstellung eigener Bedürfnisse zugunsten des Engagements für andere Menschen oder einer transzendentalen Welt hat als Handlungsgrundlage das Motiv der Unter- und Einordnung des eigenen verengenden Ichs (Ego) im hierarchischen Prozess. Diese Handlungsweise zielt auf den Dienst am Ganzen, wenn der Mensch lernt, sein Ego schrittweise loszulassen, um sein Ich zu öffnen. Sie beschreibt den eigentlichen Freiheitsprozess des Menschen zu sich selbst. Er findet bei allen Zen-Künsten Anwendung, die auf die Erfahrung des ursprünglichen Wesens vorbereiten wollen. Wer sich diesem Prozess schon einmal unterzogen hat, weiß, dass er anstrengend ist, wie alles Lernen, das am Anfang steht. Beim Phänomen der Anstrengung geht es darum, das Ego zurückzustellen. Dieser schwierige Prozess wird auch als Annäherungsprozess an das Ziel der Selbstlosigkeit bezeichnet. Hier muss der Widerstand der gegenläufigen Dynamik der verengenden Ich-Orientierung immer wieder überwunden werden. Streng ist jemand, der bei der Durchführung seiner Arbeit bestimmte Tätigkeiten (seien sie „gut“ oder „schlecht“) konsequent bis zum Ende durchhält und sich von keiner anderen Person oder anderen Umständen ablenken lässt. Strenge erfordert Konzentration: ein Gerichtetsein auf das Wesentliche und Wichtige unter bewusster Vernachlässigung von Unwichtigem und Nebensächlichen. Es stößt in die Tiefe vor, wenn der Mensch sich über sein kleines Ego hinaus zum gegenläufigen Selbst-Befreiungsprozess öffnet.

      3.3 Das Spektrum der unpersönlichen Einstellung

      Von einer unpersönlichen Einstellung sprechen wir, wenn die Primärmotivation einer Handlung nicht auf die verengende Ich-Orientierung des Menschen ausgerichtet ist, sondern sich auf ein überindividuelles, fürsorgendes Ganzes richtet, dem der Mensch dienen kann.

      Als Paradoxon ist der Mensch eine Mischung aus persönlichen und unpersönlichen Handlungsweisen. Dieser Spektrumsbereich reicht von der extremen Ich- und Bedürfnisorientierung bis zum vollkommen überdauernden unpersönlichen Leben. Unser Verhalten bewegt sich meist in einem Zwischenbereich, gemäß unserer Entwicklung auf je verschiedenen Entwicklungsstufen. Die Schwierigkeit besteht darin, auszumachen, wo wir im Spektrum individuell stehen, da sehr schwer zu erkennen ist, wann, wo und vor allem in welchem Ausprägungsgrad unser Ego am Tun unserer Handlungen beteiligt ist. Das in der Bhagavadgita richtig verstandene Nicht-Handeln meint kein Nicht-Handeln schlechthin (das es nie geben kann, da alles Leben immer Handeln ist), sondern ein Handeln ohne Ego-Beteiligung.

      Die eigentliche unpersönliche Einstellung beginnt, wenn der Mensch eine relativ überdauernde, stabile positive, d.h. angstreduzierte Stimmung erreicht hat. Kennzeichen dieser Stimmung ist eine abgesenkte manifeste Angst, die aus einem vorherigen Zustand von relativ hoher manifester Angst hervorgeht. Der Hervorgang erfolgt über eine Transformationserfahrung, die der Mensch nicht willentlich erreichen kann. Sie ist Kern und Schlüssel СКАЧАТЬ