Aufgang. Jahrbuch für Denken, Dichten, Kunst. Heinrich Beck, Barbara Bräutigam, Christian Dries, Silja Graupe, Anna Grear, Klaus Haack, Rüdiger Haas, Micha
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СКАЧАТЬ Tajima-no-kami war ein großer Meister im Schwertkampf und unterwies den damaligen Shogun Tokugawa Jyemitsu in dieser Kunst. Einer der Leibwächter des Shogun kam eines Tages zu Tajima-no-kami und bat ihn um Unterricht im Fechten. Der Meister sprach: .Soviel ich sehe, scheint ihr selber ein Meisterfechter zu sein. Bitte, teilt mir mit, welcher Schule Ihr angehört, bevor wir in das Verhältnis von Lehrer und Schüler treten.ʻ Der Leibwächter sprach: ‚Zu meiner Beschämung muß ich bekennen, daß ich die Kunst nie erlernt habe.ʻ ‚Wollt Ihr mich verspotten? Ich bin der Lehrer des ehrwürdigen Shogun selber und weiß, mein Auge kann nicht trügen.ʻ ‚Es tut mir leid, wenn ich Eurer Ehre zu nahe trete, aber ich besitze wirklich keine Kenntnisse.ʻ Dieses entschiedene Bestreiten machte den Schwertmeister nachdenklich, und schließlich sagte er: ‚Wenn ihr es sagt, muß es so sein. Aber ganz sicher seid Ihr in irgendeinem Fache Meister, wenn ich auch nicht genau sehe, worin.ʻ ‚Ja, wenn Ihr darauf besteht, will ich Euch folgendes berichten. Es gibt ein Ding, in dem ich mich als vollkommenen Meister ausgeben darf. Als ich noch ein Knabe war, kam mir der Gedanke, als Samurai dürfe ich unter gar keinen Umständen mich vor dem Tode fürchten, und seither habe ich – es sind jetzt einige Jahre – mich fortwährend mit der Frage des Todes herumgeschlagen, und zuletzt hat diese Frage aufgehört, mich zu bekümmern. Ist es vielleicht dies, worauf ihr hinauswollt?ʻ ‚Genau diesʻ, rief Tajima-no-kami, ‚das ist’s, was ich meine. Es freut mich, daß mein Urteil mich nicht betrog. Denn das letzte Geheimnis der Schwertkunst liegt auch darin, vom Gedanken an den Tod erlöst zu sein. Ich habe viele Hunderte meiner Schüler im Hinblick auf dieses Ziel unterwiesen, aber bis jetzt hat keiner von ihnen den höchsten Grad der Schwertkunst erreicht. Ihr selber bedürft keiner technischen Übung mehr, Ihr seid bereits Meister.ʻ13

      Das Beispiel bezeugt, dass die eigentliche unpersönliche Einstellung mit Furchtlosigkeit vor dem Tod verbunden ist. Sie ist selten und bedarf einer längeren geistigen Vorbereitungszeit. Der Grad in dieser Kunst wird nur von wenigen Schülern erreicht. Wird dem Menschen diese Stimmung offenbar, transformiert sich das Phänomen der Anstrengung in Gelassenheit. Ein solcher Gestaltwandel ist verbunden mit einer veränderten Art der menschlichen Wahrnehmung. Auf dieser Stufe handelt der Mensch nicht mehr auf dem Fundament subjektiver Neigungen, sondern aus einer überpersönlichen Kraftquelle, die ihm bei seinen Tätigkeiten eine andere Art der Freude vermittelt.

      Beim Phänomen der Ego-Rückstellung ist die Anstrengung noch dominant. Während die eigentlich unpersönliche Einstellung sehr selten vorkommt, ist das Phänomen der phasenweisen Ego-Rückstellung relativ häufig. Wir treffen es an, wenn Menschen anderen Menschen – aktuell in der sogenannten Willkommenskultur – helfen, bei konzentrierten, genau durchgeführten Arbeitsprozessen, die sich Zeit für das Detail nehmen, bei der Ausübung von Ehrenämtern, bei denen nicht Zeit gespart, sondern geopfert wird, aber auch bei anderen Handlungen, bei denen Anstrengung und ein bestimmtes Maß an Selbstdisziplin verlangt werden, bei Handlungen, die ein gewisses Maß an Rückstellung von Eigennutz und Eigeninteresse beinhalten. Wird auf dieser Stufe unpersönlich gehandelt, ordnet sich der Mensch in einem zeitlich begrenzten Rahmen einer Sache unter, der er dient. Er schränkt während dieser Zeit eigene Bedürfnisse ein und stellt sein Ego hintan.

      Das Phänomen der phasenweisen Ego-Rückstellung ist ein oft gefordertes Verhalten. Die Welt verlangt in vielen Situationen, unser Ego zurückzunehmen, um das Weltganze zu achten. Die Ethik der natürlichen Welt misst sich an solchen Handlungen, die nach außen hin als „uneigennützig“ gelten. Was „eigennützig“ und „uneigennützig“ ist, klärt die Frage: Wo ist das Ego an der Handlung beteiligt? Wo versteckt sich Eigennutz? Erst wenn der Mensch sein Motiv erkennt, gelangt er auf eine tiefere ethische Ebene. Oft sind die gutgemeinten Handlungen vom Antrieb des Egos manipuliert und bleiben in der persönlichen Handlungsdimension gefangen. Der Mensch im Widerspruch entspricht der ethischen Pflicht nach Vorgabe und kann zumeist nicht differenzieren, wo sein Ego an der Handlung beteiligt ist.

      3. Inwieweit ist der ALDI-Unternehmensgeist unpersönlich?

      Rufen wir uns Dieter Brandes’ Feststellung noch einmal ins Gedächtnis: „Das Unpersönliche ist durchaus Teil der ALDI-Kultur.“ Nach dem bisher Betrachteten kann man Brandes nicht widersprechen, obwohl sein Urteil – differenziert betrachtet – sehr mit Vorsicht zu genießen ist. Die entscheidende Frage ist nämlich: Wo ist der ALDI-Unternehmens-Geist im Spektrum des Unpersönlichen anzusiedeln?

      Wir erinnern uns, dass bei ALDI darauf geachtet werde, dass Mitarbeiter Persönlichkeitskriterien wie Verschwiegenheit, Sparsamkeit, Askese, Detailliebe, Konsequenz oder Selbstdisziplin erfüllen sollten, da für einen wirtschaftlichen Wachstumserfolg psychosoziale Werte von zentraler Bedeutung seien. Wir prüfen diese Vorgaben anhand der Recherchen von Martin Kuhna und der kritischen Ausführungen des ALDI-Managers Eberhard Fedtke. Unter dem Thema „Charakterfragen“ beschreibt Kuhna die herausragenden Wesenszüge der beiden Brüder – Sparsamkeit, Uneitelkeit, Bedürfnislosigkeit, Scheue und Verschwiegenheit – in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit.

      Auch sei das Harzburger Modell der Kompetenz- und Aufgabendelegation in Wirklichkeit ein frei über allem schwebendes, zentrales Machtorgan, in dem der Verwaltungsrat von oben nach unten regiere und der Geschäftsführer nur der verlängerte Arm des Verwaltungsrates sei. Weil Erfolg recht gebe, sei es zwar legitim, Milliarden mit einem autoritären Unternehmenskonzept anzuhäufen. Peinlich sei aber der Selbstbetrug durch Vorgabe des Harzburger Modells. Gibt sich das Motiv der Kompetenz- und Aufgabendelegation nach unten nur den Anschein der Machtabgabe, ist es kein eigentlich unpersönliches, sondern ein auf sich selbst gerichtetes.

      Nicht bestritten wird das Merkmal der Sparsamkeit, wenngleich die Grenze zum Geiz betont wird. Die Albrechts trugen dazu bei, dass sich auch ärmere Leute genügend Lebensmittel leisten können. Durch ihre Strategie lernten die Deutschen, Lebensmittel müssen nicht teuer sein. Die Kehrseite der Medaille sei aber im Ursprung der Lebensmittel-Produktionskette angesiedelt. Bei Niedrigmilchpreisen gerieten Preise allgemein unter Druck und für die Milchbauern werde es immer schwerer, kostendeckend zu arbeiten.