Aufgang. Jahrbuch für Denken, Dichten, Kunst. Heinrich Beck, Barbara Bräutigam, Christian Dries, Silja Graupe, Anna Grear, Klaus Haack, Rüdiger Haas, Micha
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СКАЧАТЬ der Übel, für uns ein Nichts: Solange wir da sind, ist er nicht da, und wenn er da ist, sind wir nicht mehr. Folglich betrifft er weder die Lebenden noch die Gestorbenen, denn wo jene sind, ist er nicht, und diese sind ja überhaupt nicht mehr da.

      Den Knochenmann mit der Sense und dem Stundenglas, gibt es ihn überhaupt? Wenn ja, dann ist es nicht der Tod, sondern mein Tod. Ich beanspruche ihn für mich. Er gehört mir, wie mein Leben. Er kommt aus der Mitte meines Seins, genauso wie der Mittelpunkt meines Universums immer da ist, wo ich bin. Und eigentlich bin ich ja unsterblich, ich werde immer da sein. Keines der Moleküle und Atome meines Leibes, Sternenstaub, wird je vergehen, sie werden da sein, solange die Erde nicht verglüht, aber auch danach, im Universum, nur nicht im geordneten, beseelten Verband. Aber das ist ja nicht so wichtig. Für das Universum.

      Noch ist er nicht hörbar, der Schnitter. Noch lebe ich meist so, als gäbe es ihn nicht, versuche die Gedanken an ihn zu verscheuchen. Doch manchmal kommt doch die Angst in mir hoch, auf der letzten Stufe meiner Lebenstreppe, zurück in die frühe Kindheit, in die Windeln zu müssen. Die Angst meine Selbstständigkeit zu verlieren, abhängig zu sein, die Angst vor Schmerz und Leid und Einsamkeit. Und wäre er dann nicht doch ein gern gesehener Gast?

      Warum fällt mir jetzt gerade „Der Brandner Kaspar und das ewig Leben“ ein? Der 74-jährige Schlosser aus der Erzählung von Franz von Kobell, dem es gelang, mit dem Tod so lange „Kerschgeist“ zu trinken, bis der einen in der Krone hatte, um ihm dann im Kartenspiel noch zusätzliche 18 Jahre Lebenszeit abzuschwindeln.

      Versuchen könnte ich das ja einmal. Der Schnaps sollte auf jeden Fall jederzeit bereitstehen.

      Doch dann beginnt wieder so ein Tag, an dem die Sonne scheint, die Vögel zwitschern. Wenn ich am See sitzen kann – ein Weißbier vor mir – und die Gipfel der Berge sehe, schneebedeckt im Süden, dann flammt der Hoffnungsfunke wieder mächtig auf und der Gevatter ist hinter den Horizont verbannt.

      Aber dann kommt wieder so eine Einladung eines ehemaligen Schulkameraden, sich noch einmal einzufinden in der alten Domstadt an der Donau, in der es die besten Bratwürste der Welt gibt, und ich muss damit fertig werden, dass der eine oder andere meiner Mitläufer, auf unserer Aschenbahn zum Ziel der Reife, aus dem Rennen geschieden ist. Nun ja, der Schnitter mäht, auftragsgemäß, nach seinem besonderen Plan, Halm um Halm. Vielleicht, und es liegt nicht in meiner Hand, geht es mir einmal so, wie dem 94-jährigen Anhalter in dem Liedertext des bairischen Mundartdichters und Professors für Pädagogik Helmut Zöpfl, der auf der Fahrt zu seinem Klassentreffen vom Fahrer des Autos gefragt wird:

      „Wia fui san denn da no da?“

      („Wie viele sind denn noch da?“

      „O“, sagt der, „der Kreis ist klein, die letzten Jahr war ich allein.“)

      Und auf der Rückfahrt werde ich mich fester in meinen Mantel kuscheln, der mir schon zu groß geworden ist, und dann leise mein Abschiedslied vor mich hin summen:

      Wenn meine Freunde alle geh’n,

      hör ich die Stille und ich frier.

      Ingrid Lanzl

      Berufliches Wachstum

      Vorbemerkung

      München, den 21. November 2015, 11.00 Uhr. Der Schriftleiter von Aufgang, Herr Dr. Rüdiger Haas, trifft Frau Dr. Ingrid Lanzl in einem Café in München an der Donnersberger Brücke. Es ist ein Samstag. Das Ambiente ist ruhig und entspannt, die Gesprächsteilnehmer sitzen an einem kleinen Tisch. Beim persönlichen Kennenlernen ist Frau Lanzl überrascht, mit philosophischen Fragen konfrontiert zu werden, und betont, keine Philosophin zu sein. Nach der kurzen Klärung, dass man nicht Philosophie studiert haben müsse, um über Sinnfragen des Lebens sprechen zu können, leitet das Gespräch direkt über zum beruflichen Werdegang von Frau Dr. Lanzl.

      *

      Das Gespräch

      Aufgang: Unser Thema „Facetten des Wachstums“ fragt nach den verschiedenen Wachstumsaspekten. Was uns interessiert, ist Ihr persönliches berufliches Wachstum, die Stationen und persönlichen Erfahrungen, die Sie durchlaufen haben, um Ihre verantwortungsvolle Tätigkeit in der privaten Wirtschaft ausführen zu können. Welche Schulausbildung haben Sie genossen?

      Lanzl: Es für mich schon frühzeitig klar, dass ich aufs Gymnasium gehen würde. In der siebten Klasse konnten wir uns zwischen dem mathematisch-naturwissenschaftlichen und dem neusprachlichen Zweig entscheiden. Da meine Interessen im Bereich Naturwissenschaften lagen, war auch hier die Entscheidung klar.

      Aufgang: Wie ging es nach Ihrem naturwissenschaftlichen Abitur weiter?

      Lanzl: Schon während meiner Schulzeit habe ich mich für Technik interessiert. Bei Wanderungen mit der Familie durfte ich als Kind Wasserkraftwerke besichtigen. Die Nutzung der vorhandenen Wasserkraft und die Möglichkeiten einer effizienten Energiegewinnung haben mich so begeistert, dass ich mir überlegte, so etwas auch einmal machen zu wollen. So entstand mein Berufswunsch: Maschinenbau-Ingenieurin.

      Aufgang: War das damals nicht ungewöhnlich, als Mädchen Maschinenbau studieren zu wollen?

      Lanzl: Meine Begeisterung für Technik und mein Berufswunsch waren für mich überhaupt nicht ungewöhnlich. Es war für mich selbstverständlich, für eine bessere Energieversorgung arbeiten zu wollen. Dass nicht jeder die Vorstellung einer geschlechterunabhängigen Berufswahl teilt, erkannte ich erst, nachdem ich einige negative und aggressiv ablehnende Reaktionen auf meinen Berufswunsch erhalten hatte.

      Davon habe ich mich nicht einschüchtern lassen. Es gibt keinen Grund dafür, ein bestimmtes Fach nicht zu studieren, nur weil man eine Frau ist. СКАЧАТЬ