Der Weg der verlorenen Träume. Rebecca Michéle
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Der Weg der verlorenen Träume - Rebecca Michéle страница 7

Название: Der Weg der verlorenen Träume

Автор: Rebecca Michéle

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783958131354

isbn:

СКАЧАТЬ Tätigkeit, der er in Stettin nachgegangen war, aber seine Frau hielt die Nase so hoch, als würden sie mit dem Kaiser persönlich verkehren und regelmäßig bei den adligen Großgrundbesitzern Masurens ein- und ausgehen. Ihre Fleisch- und Wurstwaren kauften die Mahnsteins nicht auf Kahlenwald, da es zu weit außerhalb lag. Auf dem Wochenmarkt bot der Baron seine Waren ebenfalls an, Hedwig hatte dem Stand aber nie Beachtung geschenkt.

      Hedwig schritt zügig aus, um der klirrenden Kälte zu trotzen. Gut Kahlenwald lag zwei Kilometer westlich der Stadt in Richtung des Gielandsees. Nachdem sie die letzten Häuser passiert hatte, begann die lange Allee aus zum Teil mehrere hundert Jahre alten Eichen. Nach einer leichten Biegung nach links bog Hedwig in einen Trampelpfad ein, der unter den Schneemassen kaum zu erkennen war. Erna Ballnus hatte ihr aber genau beschrieben, welchen Weg sie einschlagen musste. Es begann wieder zu schneien, und die dichten, großen Flocken setzten sich auf Hedwigs Mütze. Eine traf ihre Nasenspitze, und Hedwig versuchte, sie mit der Zungenspitze zu fangen. Um sie herum war es totenstill, auf dem Weg gab es keine Wagen- oder Fußspuren, ein Zeichen, dass sie heute wohl die erste Besucherin auf Gut Kahlenwald sein würde. Hedwig passierte ein verfallenes Vorwerk, durch dessen dunkle Fensterhöhlen der Wind wie ein Rudel hungriger Wölfe heulte. Hedwig beschleunigte ihre Schritte, sie wollte diesen Auftrag so schnell wie möglich erledigen. Endlich kam das Haus in Sicht. Es war nahezu quadratisch, hatte drei Stockwerke und ein Krüppelwalmdach, in das Fledermausgauben eingelassen waren. Linker Hand erkannte Hedwig drei langgestreckte niedrige Gebäude mit leeren Fensterhöhlen und eingesunkenen Dächern. Offenbar die früheren Stallungen, dachte sie, und das Gerücht, die von Dombrowski besäßen kein Vermögen, bestätigte sich, denn über dem ganzen Anwesen lag der Hauch der Verwahrlosung.

      An der Eingangstür aus massivem, dunklem Eichenholz zog Hedwig an der altmodischen Klingelschnur. Als sich nach einigen Minuten nichts rührte, zog sie ein zweites, dann ein drittes Mal, dann drehte sie am Knauf, die Tür war jedoch verschlossen. Unwillig runzelte Hedwig die Stirn. Nach dem langen Fußmarsch durch den Schnee hatte sie sich auf eine heiße Tasse Tee oder Gemüsebrühe gefreut. Es war ein ungeschriebenes Gesetz in Masuren, jedem Gast – gleichgültig, mit welcher Mission er kam – aufzuwarten, bevor er seinen Rückweg antrat. Hedwig dachte an die mahnenden Worte ihrer Lehrherrin, auf keinen Fall ohne das Bargeld für die Schneiderarbeit zurückzukehren, und das Päckchen konnte sie ohnehin nicht einfach vor die Tür legen, wo es der Witterung ausgesetzt wäre. Mit einem Seufzer umrundete sie das Haus und stieß an der Rückseite auf eine zweite Tür. Hier gab es keinen Klingelzug. Hedwig drückte auf die Klinke. Sie hatte Glück, diese Tür war nicht abgeschlossen. Dahinter erstreckte sich ein düsterer Gang mit einer niedrigen Decke. Hedwig vermutete, dass es sich um den ehemaligen Dienstboteneingang handelte und der Korridor einst zu den Wirtschaftsräumen geführt hatte.

      »Ist jemand zu Hause?«, rief Hedwig. »Ich habe eine Lieferung aus der Stadt abzugeben.«

      Sie erhielt keine Antwort, das Haus schien verwaist zu sein. Entschlossen trat Hedwig ein. Es würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als das Kleid hier im Trockenen abzulegen. Fräulein Ballnus würde ihr schon nicht den Kopf abreißen, wenn sie erklärte, niemanden angetroffen und das Geld deswegen nicht mitgebracht zu haben. Auf der Suche nach einem geeigneten Platz ging Hedwig zögernd den Korridor entlang. Sie fühlte sich nicht wie ein Eindringling, denn nur wenige Menschen in Masuren verschlossen ihre Häuser. Die Besitztümer anderer wurden respektiert und geachtet, man fürchtete keine Spitzbuben oder gar Diebe. Am Ende des Ganges klangen einzelne musikalische Töne an Hedwigs Ohr. Jemand spielte Klavier, aber kein ganzes Stück, sondern ein paar Töne wurden angeschlagen, dann eine Pause, und das Geklimper begann von vorn. Es musste sich also doch jemand im Hause befinden. Wegen des Klavierspiels war ihr Klingeln wohl nicht gehört worden. Erleichtert atmete sie auf und folgte den Tönen. Hedwig gelangte durch eine Vorhalle in die Eingangshalle, die bis auf einen wackligen Tisch und zwei Stühle unmöbliert war. Die Tapeten an den Wänden waren verblasst, das Muster kaum noch zu erkennen, der Boden aus schwarz-weißen Marmorfliesen zeugte aber von dem einstigen Reichtum der Eigentümer. Die Musik kam aus dem ersten Stock, und Hedwig stieg die steinerne, schmucklose Treppe hinauf. Die Tür zu dem ersten Zimmer auf der rechten Seite war nur angelehnt.

      »Guten Tag, ist hier jemand?«, rief Hedwig und stieß die Tür ganz auf. Ein junger Mann saß an einem Klavier. Bei Hedwigs Anblick zuckte er zusammen und sprang hastig auf. »Ich wollte Sie nicht erschrecken, verzeihen Sie«, sagte Hedwig. »Ich habe mehrmals geläutet und gerufen.«

      Der Mann kam näher und runzelte nachdenklich die Stirn. »Kennen wir uns nicht?«

      »Nicht, dass ich wüsste«, stieß Hedwig hervor, etwas zu schnell, denn sie hatte den Mann auf den ersten Blick wiedererkannt: Es war der Klavierspieler aus dem Wirtshaus, auf dessen Schoß sie gesessen und der sie umarmt hatte. Ihre Wangen brannten vor Scham. Sie hoffte, er würde die Röte auf die draußen herrschende Kälte zurückführen.

      »Ich könnte wetten, wir sind uns schon mal begegnet. Ein so hübsches Gesicht vergesse ich niemals.« Er deutete eine Verbeugung an, und Hedwig erwiderte: »Fräulein Ballnus, die Schneiderin in der Stadt, schickt mich. Ich habe der Frau Baronin ein Kleid abzuliefern.«

      Sie hielt ihm das Paket hin, er warf aber keinen Blick darauf. Seine haselnussbraunen Augen wanderten über Hedwig, und mit einem Lächeln fragte er: »Und Sie sind?«

      »Fräulein Mahnstein, ich arbeite bei Fräulein Ballnus.«

      »Sie haben bestimmt auch einen Vornamen, Fräulein Mahnstein?«

      »Der Sie nicht zu interessieren hat.« Distanziert musterte sie ihn und fuhr fort: »Sie hatten selbst noch nicht die Freundlichkeit, sich vorzustellen.«

      Er lächelte, legte formvollendet eine Hand in seinen Rücken und verbeugte sich, ein spitzbübisches Lächeln auf den Lippen.

      »Albert von Dombrowski, der Sohn des Hauses. Na ja, sagen wir mal: Das schwarze Schaf der Familie, da ich aber der einzige Sohn bin und meine Eltern mich nicht umtauschen können, haben sie sich mit mir abgefunden.«

      Unwillkürlich musste Hedwig über eine solch entwaffnende Ehrlichkeit lachen. Aus der Nähe und bei Tageslicht betrachtet erkannte sie, dass ihr erster Eindruck sie nicht getäuscht hatte. Auch wenn seine Worte altklug klangen, war er erst sechzehn, maximal siebzehn Jahre alt.

      »Was ist nun mit dem Päckchen?«, sagte sie und wich seinem Blick aus. »Kann ich bitte die gnädige Frau sprechen?«

      Er zuckte mit den Schultern und erwiderte: »Es tut mir leid, meine Eltern sind nach Allenstein gefahren, vor morgen Nachmittag erwarte ich sie nicht zurück. Sie können die Lieferung aber mir überlassen, ich versichere Ihnen, sie meiner Mutter alsbald auszuhändigen.«

      »Ich bekomme sechs Mark, die Rechnung habe ich mitgebracht.«

      »Sechs Mark? So viel Geld habe ich nicht.« Er griff in seine Hosentaschen und drehte sie nach außen. »Bitte, Sie können sich selbst davon überzeugen, Fräulein Mahnstein.«

      »Ich habe Anweisung, das Kleid nur gegen Barzahlung abzuliefern«, beharrte Hedwig, sein Verhalten erschien ihr übertrieben theatralisch, und sie empfand die Situation alles andere als lustig. »Dann war der weite Weg umsonst«, fügte sie mit einem Seufzer hinzu und wandte sich zur Tür.

      Mit einem Schritt war er an ihrer Seite und legte eine Hand auf ihren Arm.

      »Warten Sie, ich denke, meine Mutter möchte das, was immer sie sich hat anfertigen lassen, gern vorliegen haben, wenn sie nach Hause kommt. In den nächsten Tagen wird sie in die Stadt kommen und die ausstehende Summe begleichen.«

      So, wie zweimal zuvor, dachte Hedwig. Eben noch hatte sie daran gedacht, das Kleid irgendwo abzulegen und ohne das Geld zurückzugehen, da jetzt aber jemand СКАЧАТЬ