Der Weg der verlorenen Träume. Rebecca Michéle
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Название: Der Weg der verlorenen Träume

Автор: Rebecca Michéle

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783958131354

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СКАЧАТЬ war. Mit hängenden Schultern stand Hedwig vor ihr und murmelte: »Die Frau Baronin ist verreist, und der Sohn hatte nicht so viel Geld im Haus.«

      »Die Dombrowskis haben nie Geld im Haus!«, wetterte Fräulein Ballnus. »Nun kann ich wieder zusehen, wie ich zu meinem Geld komme, wenn ich es überhaupt erhalte. Ich hätte größte Lust, dir den Betrag von deinem Lohn abzuziehen. Es war definitiv das letzte Mal, dass ich für die Dombrowski etwas genäht habe, ich muss schließlich auch sehen, wie ich über die Runden komme.«

      »Ich kann am Wochenende noch mal nach Kahlenwald gehen und das Geld holen«, bot Hedwig an, nicht ohne Hintergedanken. Sie hätte dann einen Grund, Albert wiederzusehen. »Vielleicht kommt die Frau Baronin aber wirklich morgen in die Stadt und begleicht ihre Schulden.«

      »Ja, sicher, und in diesem Jahr fallen Weihnachten und Ostern zusammen auf einen Tag«, brummte Erna Ballnus verstimmt.

      Hedwig schämte sich, die Anweisung ihrer Lehrherrin nicht in aller Konsequenz umgesetzt zu haben. Sie hätte das Kleid niemals in Kahlenwald lassen dürfen, hatte sie doch mit eigenen Augen gesehen und von Albert selbst gehört, wie es um die Finanzen der von Dombrowskis bestellt war. Wie ein dummes Mädchen hatte sie sich von seinen freundlichen Worten und seinen warmen Blicken einlullen lassen. Das würde ihr nicht noch einmal passieren.

      »Säume die Manschetten an der blauen Bluse«, wies Erna Ballnus sie nun an, »und keine Sorge, ich ziehe dir den Betrag nicht vom Lohn ab. Das nächste Mal hältst du dich daran, was ich dir auftrage, Hedwig.«

      Sie versprach, es zu tun.

      Gegen sechs Uhr kam Hedwig nach Hause, bereitete das Abendbrot zu und deckte den Tisch. Als alle beisammensaßen, sagte die zwölfjährige Paula unvermittelt: »Hedi ist heute mit einem Pferdeschlitten spazieren gefahren und war in dicke Pelze eingepackt.«

      Der Löffel entglitt Hedwigs Fingern und klirrte auf den Tellerrand. Die Augen des Vaters verengten sich, und er fragte: »Was hat das zu bedeuten, Hedwig? Warst du etwa nicht bei der Arbeit?«

      »Fräulein Ballnus schickte mich, ein Kleid auszuliefern«, antwortete Hedwig und hielt dem bohrenden Blick ihres Vaters stand. Sie hatte nichts Unrechtes getan oder gar etwas zu verbergen. »Der Sohn des Hauses war so freundlich, mich im Schlitten mitzunehmen, da er ohnehin in die Stadt musste.« Das war zwar geschwindelt, klang aber logisch.

      »Wer in aller Welt besitzt in der Gegend einen Pferdeschlitten?«, fragte Auguste Mahnstein. »Wo bist du gewesen, Tochter?«

      »Auf Gut Kahlenwald.«

      »Bei den von Dombrowskis?«

      »Du kennst sie, Vater?«

      Er nickte und antwortete grimmig: »Sie sind zugezogen, ich bin dem Baron ein paar Mal begegnet. Ein grobschlächtiger Mann, na ja, das passt zu seiner Tätigkeit.«

      »Hedi saß aber mit einem jungen Mann im Schlitten«, rief Paula dazwischen

      »Sei doch still«, zischte Hedwig ihr zu, die Schwester aber fuhr triumphierend fort: »Und der sah sehr gut aus.«

      Langsam erhob sich Hermann Mahnstein, stützte die Handflächen auf die Tischplatte, runzelte die buschigen Augenbrauen und sagte missbilligend: »Ich verbiete dir, dich mit Männern herumzutreiben! Du bist noch ein halbes Kind und wirst die Familie nicht in Verruf bringen!«

      »Albert von Dombrowski war nur so freundlich, mich bei der Kälte den weiten Weg nicht zu Fuß zurückgehen zu lassen«, erwiderte Hedwig mit einem trotzigen Unterton. »Es war helllichter Tag, ich habe einen Auftrag meiner Lehrherrin ausgeführt, und Albert ist kein Mann, sondern ein Junge in meinem Alter.«

      »Ach, du nennst ihn schon Albert?« Hermann Mahnstein kam um den Tisch herum und baute sich vor Hedwig auf. »Du wirst dich von diesen Leuten fernhalten, Tochter. Hast du das verstanden?«

      Hedwig nickte. Sie kannte ihren Vater gut genug, um an seinem Gebaren zu erkennen, wann es besser war, keine Widerworte zu geben. Da sagte ihre Mutter mit ihrer leisen, zarten Stimme: »Hermann, schimpf nicht mit ihr. Nach diesem Krieg können wir froh sein, wenn es noch junge Männer gibt, die alle Gliedmaßen besitzen und nicht blind, taub oder sonst was sind. Hedwig wird immerhin bald sechzehn, und ...«

      »Viel zu jung, um sich mit Männern zu verabreden«, schnitt Hermann seiner Frau das Wort ab. »Meinen Standpunkt habe ich wohl deutlich klargemacht. Wen Hedwig einmal zum Mann nimmt, bestimme immer noch ich, und jetzt möchte ich in Ruhe mein Abendbrot essen.«

      »Meine Güte, ich habe nicht vor, Albert von Dombrowski zu heiraten!«, rief Hedwig aufgebracht. »Macht doch bitte kein Drama aus einer gerade mal zwanzig Minuten dauernde Schlittenfahrt! Vater, ich weiß, was sich gehört, und werde euch keine Schande bereiten.«

      Der Blick, mit dem ihr Vater sie bedachte, sagte Hedwig, dass er sich dessen keineswegs sicher war.

      Zwei Tage später berichtete Erna Ballnus, die Baronin von Dombrowski habe sie am Abend des Vortages aufgesucht und die ausstehende Rechnung auf Heller und Pfennig beglichen.

      »Das hat mich überrascht, aber vielleicht war ich in meinem Urteil zu voreilig«, bemerkte die Schneiderin nachdenklich. »Die Frau Baronin drückte ihr Bedauern aus, nicht persönlich anwesend gewesen zu sein, um das Kleid in Empfang zu nehmen und die Rechnung sofort zu bezahlen.«

      »Das freut mich«, erwiderte Hedwig, gleichzeitig empfand sie auch ein wenig Bedauern, denn nun hatte sie keinen Grund mehr, Gut Kahlenwald aufzusuchen. Obwohl Hedwig sich sagte, dass der junge Dombrowski sie nichts anginge und seine Worte nur so dahingesagt waren – wahrscheinlich verhielt er sich allen einigermaßen hübschen Mädchen gegenüber ähnlich –, ließ sie am Sonntag beim Gottesdienst ihren Blick über die Leute schweifen in der Hoffnung, ihn in der Kirche zu entdecken. Vom Gut Kahlenwald suchte aber keiner das Gotteshaus auf, und Hedwig fragte sich, ob die von Dombrowskis entweder nicht gläubig waren oder zu der Minderheit der Katholiken gehörten, die die Messe in einer anderen Kirche besuchten.

      Die Evangelische Pfarrkirche war von außen ein schmuckloser Bau aus dem frühen 18. Jahrhundert, der graue Stein aber hatte den verheerenden Stadtbrand im Jahr 1822 beinahe unbeschädigt überstanden. Unmittelbar nachdem der preußische König der Reformation anhing, wurde auch Masuren lutherisch. Die katholische St.-Adalbert-Kirche aus roten Backsteinen befand sich nur ein kurzes Stück östlich die Straße hinunter und war erst vor rund fünfzig Jahren erbaut worden. Bei den Messen war sie meistens halb leer, während in der Pfarrkirche die Menschen oft keinen Sitzplatz mehr bekamen und den Gottesdienst stehend verfolgen mussten. Im Haus Mahnstein wurde Religion groß geschrieben. Auguste Mahnstein war eine zutiefst gläubige Frau und erwartete dasselbe von ihren Kindern. Hedwig betete jeden Abend für ihre Familie. In den letzten Tagen hatte sich in ihr Gebet die Bitte eingeschlichen, Jesus Christus möge auch auf Albert von Dombrowski ein wachsames Auge haben und seinen Wunsch, Musiker zu werden, alsbald erfüllen.

      Hedwig stürzte sich in die Weihnachtsvorbereitungen, auch in der Schneiderwerkstatt fand sie kaum Gelegenheit, um Luft zu holen. Wer es sich leisten konnte, ließ sich zum Christfest neue Kleider anfertigen, dementsprechend voll war das Auftragsbuch von Erna Ballnus. Zwei Tage vor dem Heiligen Abend betrat eine untersetzte, kräftige Frau die Schneiderstube. Hedwig war allein, Fräulein Ballnus weilte bei einer Kundin in der Stadt, um Maß zu nehmen.

      »Guten Tag, kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte Hedwig die ihr unbekannte Dame, denn dass sie eine Dame war, verriet ihr hochmütiger Gesichtsausdruck.

      Die engstehenden Augen der Frau irrten suchend durch das Zimmer.

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