Der Weg der verlorenen Träume. Rebecca Michéle
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Название: Der Weg der verlorenen Träume

Автор: Rebecca Michéle

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783958131354

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      Die Frau nickte. »Wir wohnen in einem Hotel in Konstanz. Gestern haben wir uns Stein am Rhein, Schaffhausen und den Rheinfall angesehen.«

      »Sie sind zum ersten Mal in dieser Gegend? Verzeihen Sie, ich möchte nicht neugierig oder gar aufdringlich wirken«, fügte Dombrowski rasch hinzu.

      Die Frau lachte, die Fältchen um ihre Augen hüpften.

      »Das sind Sie nicht. Wir mögen den Kontakt zu den Einwohnern.«

      »Oh, ich lebe nicht hier, sondern in Rottweil, einer Kleinstadt etwa hundert Kilometer nördlich, an der Autobahn nach Stuttgart gelegen«, erklärte Dombrowski. »Ich bin Mitglied im Schwäbischen Albverein und heute mit dem Bus nach Meersburg gekommen. Allerdings habe ich mich von den anderen abgesondert, manche Momente erlebe ich gern allein.«

      »Das verstehe ich«, erwiderte der Mann und gab Dombrowski das Fernglas zurück. »Ich danke Ihnen, Sie sind sehr freundlich. Ich bin Hans Bruckmann, und das ist meine Frau Ingeborg. Verzeihen Sie, dass wir uns bisher nicht vorgestellt haben. Wir leben in Bacharach am Rhein.«

      »So was habe ich mir gedacht, denn Ihr Dialekt klingt rheinisch.« Werner Dombrowski schmunzelte. »Leider war ich noch nie in dieser Gegend, es soll aber auch eine sehr schöne Landschaft sein.«

      »In der Tat«, bestätigte die Frau, kniff die Augen zusammen und musterte Dombrowski. »Sie sind aber auch kein gebürtiger Schwabe, nicht wahr?«

      Dombrowski schüttelte den Kopf. »Obwohl ich seit über vierzig Jahren in Rottweil lebe, habe ich mir das Schwäbische nie richtig angeeignet. Sie, Frau Bruckmann, sprechen aber auch nicht rheinisch.«

      »Nein, ursprünglich komme ich aus Ostpreußen«, erwiderte Frau Bruckmann. Bei diesem Wort wurde es Werner Dombrowski warm ums Herz. Er lächelte und antwortete leise: »Ich auch.«

      »Das überrascht mich nicht«, sagte die Frau. »Da ist so ein Klang in Ihrer Stimme, den wir Ostpreußen niemals verlieren, gleichgültig, wie lange es her ist, dass wir die Heimat verlassen haben. Aus welcher Gegend Ostpreußens kommen Sie?«

      »Aus Sensburg«, antwortete Dombrowski bereitwillig. »Die Polen nennen es heute Mrągowo.«

      Die zuvor rosigen Wangen der Frau verloren ihre Farbe. »Auch ich wurde in Sensburg geboren und wuchs dort auf, bis wir fortgingen ... fortgehen mussten.«

      »Das gibt es doch nicht!«

      »Wie ist denn Ihr Name?«, fragte Frau Bruckmann.

      »Dombrowski.«

      »Dombrowski?«, wiederholte sie fassungslos, wankte zu der Bank und setzte sich. Ihr Mann eilte an ihre Seite und legte einen Arm um ihre Schultern.

      »Was ist mit dir, Inge? Du bist kalkweiß.«

      Sie beachtete ihren Mann nicht, sondern starrte Dombrowski an.

      »Sind Sie ... sind Sie ... vielleicht mit Hedwig Dombrowski verwandt? Sie hatte eine Schneiderei am Altstädter Markt, aber nein, das kann nicht sein ...«

      »Hedwig Dombrowski ist meine Mutter.« Werner Dombrowskis Stimme klang belegt. Er setzte sich neben Frau Bruckmann und griff nach ihrer Hand. Sie war eiskalt. »Kennen Sie meine Mutter?«

      Die Frau nickte, das Sprechen fiel ihr sichtlich schwer, und ihre Stimme war so leise, dass Dombrowski Mühe hatte, ihre Worte zu verstehen: »Dann sind Sie ... bist du Werner. Der Bruder von Grete.« Tränen schossen in ihre Augen, und auch Dombrowski hatte einen dicken Kloß im Hals.

      »Margarethe ist meine Schwester, ja, und früher nannten wir sie Grete.«

      Auf Frau Bruckmanns Gesicht spiegelte sich Ungläubigkeit.

      »Ich bin Inge ... Ingeborg ... Bantlin, die Freundin von Grete. Wir ... du, Werner, Grete und ich haben früher im See gebadet, im Winter sind wir mit dem Schlitten den Kilimandscharo hinuntergesaust, wir sagten auch Tivoli zu dem Hügel. In den Ferien war immer ein Cousin von euch aus Königsberg da, ich glaube, sein Name war Gustav.«

      Die Erinnerung holte Werner Dombrowski mit einer Wucht ein, als würde die Erde unter seinen Füßen beben. Jetzt erkannte er Inge Bantlin auch.

      Ihr Gesicht war zwar von Falten durchzogen, das Haar ergraut, ihre Augen hatten sich aber nicht verändert. Es hatte mal eine Zeit gegeben, da war er ein wenig in die Freundin seiner Schwester verliebt gewesen, aber Inge hatte in ihm nie mehr als einen guten Kameraden gesehen. Und dann war ohnehin alles vorbei ...

      »Grete ...«, flüsterte Inge Bruckmann, eine bange Frage im Blick.

      Wie in Zeitlupe nickte Werner Dombrowski. »Sie lebt ebenfalls in Rottweil, in der Nähe von Mutter und mir.«

      Ingeborg Bruckmann sprang so schnell auf, als wäre sie ein Teenager.

      »Ich wähnte euch tot! Viele Jahre habe ich nach Grete und ihrer Familie gesucht, es gab aber keinen Anhaltspunkt, dass ihr es geschafft habt. In den letzten Jahren konnte ich elf Mädchen aus unserer Schule finden, mit Grete sind wir nun dreizehn. Wir treffen uns einmal im Jahr, immer in einer anderen Stadt, wo heute eine von uns wohnt.«

      Werner Dombrowski stand auf.

      »Sind Sie ... seid ihr mit dem Auto hier?« Inge nickte, und er fuhr fort: »Sollen wir nach Rottweil fahren? Ich melde mich bei meiner Gruppe ab.«

      »Das wäre wunderbar!«

      Nun strömten Tränen über Inge Bruckmanns Wangen. Ihr Mann legte stützend seinen Arm um ihre Hüfte, und gemeinsam gingen sie zu ihrem Wagen, den sie in der Nähe des Aussichtspunktes geparkt hatten.

      Knappe neunzig Minuten später hielt Hans Bruckmann vor einem Mehrfamilienhaus mit blumengeschmückten Balkonen in einer ruhigen Rottweiler Wohngegend.

      »Ich spreche zuerst mit ihr«, sagte Werner Dombrowski. »Meine Schwester hat Herzprobleme, ich muss sie langsam vorbereiten.«

      Grete öffnete die Tür, erstaunt runzelte sie die Stirn.

      »Werner? Was willst du hier?«

      Es kam selten vor, dass Werner seine Schwester besuchte. Dombrowski schob sie in die Wohnung und sagte: »Ich glaube, du solltest dich setzen.«

      »Ist etwas mit Mutter?«, fragte Grete erschrocken.

      Ihre und Werners Mutter war bereits einundneunzig, gesund zwar, in diesem Alter wusste man jedoch nie.

      »Mutter geht es gut«, antwortete Werner, »aber unten vor dem Haus stehen Inge und ihr Mann, sie möchten dich besuchen.«

      »Inge?«

      »Ingeborg Bruckmann, früher hieß sie Bantlin.«

      Grete taumelte, griff Halt suchend nach einer Stuhllehne und ließ sich auf diesen fallen.

      »Du machst Scherze, Werner!«

      Er schüttelte den Kopf und sagte ernst: »Wir trafen uns zufällig in Meersburg. Zuerst konnte ich es auch nicht fassen, es gibt aber keinen Zweifel. Soll ich sie heraufbringen oder regt dich das zu sehr auf? Brauchst du deine Tabletten?«

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