Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Dramen & Gedichte (Über 200 Titel in einem Buch)
Автор: Franz Werfel
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075835543
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»Es sind meine Diener und Gehilfen. Hier ihre Pässe! Sieh nach! Alles ist in Ordnung!«
»Und dieser da? Warum geht er verschleiert wie ein Weib?«
»Er hat eine häßliche Krankheit im Gesicht und muß sich vor der Luft schützen. Soll er den Schleier aufheben?«
Der Müdir verzog den Mund und winkte ab. Mehr als eine Stunde war vergangen, ehe sich die Yayli in der Richtung nach Bitias entfernen konnte. Ein Zug Infanterie unter Kommando eines Mülasim marschierte zu Seiten des Wagens. Zwei Packesel mit dem Kaffee, Zucker und Tabak folgten sowie drei Reittiere für den Agha und seine beiden Gehilfen. Als der Weg nicht mehr zu verfehlen war, ließ Rifaat Bereket den Wagen zurück und bat den Mülasim, mit seinen Leuten haltzumachen, damit der Aufzug von den Armeniern nicht mißverstanden werde und kein Kampf entbrenne. Der Offizier war mit diesem Vorschlag zufrieden und lagerte sich samt seinen Soldaten unter Beobachtung aller Vorsichtsmaßregeln im Walde. Die drei Alten ritten weiter, seitlich auf ihren Eseln sitzend, während die beiden Tragtiere ihnen nachgetrieben wurden. Der verschleierte Mann ging nebenher. In der rechten Hand trug er die grüne Fahne des Propheten, in der linken die weiße des Friedens.
Sie saßen einander im Scheichzelt gegenüber. Der Agha hatte diese zeugenlose Unterredung mit Gabriel Bagradian gefordert. Mit verbundenen Augen waren die Türken, wie es bei Parlamentären der Brauch ist, vom Nordsattel auf den Dreizeltplatz geführt worden. Nun hockten die Begleiter des Agha neben den Packeseln, von deren Rücken die Treiber die Säcke und Ballen abluden. Im Umkreis dieser Gruppe vermehrte sich die Menge von Minute zu Minute. Die Armenier aber kamen den Türken nicht nahe, aus einer tiefen Scheu, wie es schien. Jedes Herz klopfte zum Zerspringen. Was bedeutete die Gesandtschaft? Die Rettung? Das Leben?
Agha Rifaat Bereket benahm sich, was bedächtige Würde und Zeitverschwendung anbelangt, nicht anders, als säße er im milden Tagdunkel seines Selamliks. Unaufhörlich wie die Zeit selbst rollten die Bernsteinkugeln des Gebetkranzes durch seine Finger:
»Ich bin gekommen als der Freund deines Großvaters, als der Freund deines Vaters, als der Freund deines Bruders, Gabriel Bagradian, und ich bin gekommen als Freund der Ermeni millet. Du weißt, daß ich meine Arbeit dem Frieden zwischen unsern Völkern gewidmet habe, der nun zerstört ist, für immer ...«
Er brach die litaneiartigen Worte ab. Dann hing sein bekümmerter Blick an dem Gesicht dieses einst so jugendlich gepflegten Europäers. Er hätte die wilden, zusammengeschobenen Züge im krausen Bart nie wiedererkannt. Er versenkte sich eine Weile lang in sich selbst, ehe er wieder anhob:
»Schuld ist hier und dort ... Ich sage das nur, damit sich trotz aller Geschehnisse dein Urteil nicht verwirre und dein Herz nicht verhärte.«
Gabriels Gesicht wurde noch kleiner und grauer:
»Wer dort ist, wo ich bin, der weiß nichts mehr von Schuld. Mich kümmert keine Schuld mehr, kein Recht und keine Rache ...«
Rifaats Hände standen still:
»Du hast deinen Sohn verloren ...«
Bagradian hatte zufällig in seine Tasche gegriffen. Dabei war ihm die griechische Münze in die Hand geraten, die er als Amulett immer bei sich trug. »Dem Unerklärlichen in uns und über uns.« Er hielt sie hoch: »Dein Geschenk hat mir wenig Glück gebracht, Agha. Die Münze mit dem Königskopf hab ich an dem Tag verloren, da ich meinen Sohn verloren habe. Und die andre ...«
»Du kennst deinen letzten Tag noch nicht.«
»Er ist sehr nahe. Und doch kommt er mir viel zu langsam. Oft möchte ich hinuntersteigen zu den Euren, damit nur schon endlich, endlich alles vorbei ist.«
Der Agha sah auf seine leuchtenden Hände herab:
»Du wirst dein Leben nicht erniedrigen, sondern erheben. Ihr Bagradians habt mehr Kräfte als andre Menschen ... Doch alles steht bei Gott.«
Neben Rifaats gekreuzten Beinen lag die gelbe Aktentasche und auf ihr, schon vorbereitet, der Brief Pastor Harutiun Nokhudians an Ter Haigasun:
»Du weißt, Bagradian, daß ich schon seit Monaten unterwegs bin, um für euch zu wirken. Die Ruhe meines Alters hab ich dahingegeben. Und ich werde auch noch bis nach Deïr es Zor mit Gottes Hilfe kommen. Mein erster Weg in Syrien aber war zu dir. Ihr habt Freunde im Ausland und im Innern. Ein deutscher Pastor hat viel Geld für euch gesammelt und ich stehe mit ihm in Verbindung. Fünfzig Sack Weizen habe ich aufgebracht. Es war nicht leicht. Sie haben sie nicht durchgelassen. Ich dachte mir's gleich. Dem Kaimakam aber wird es nicht gelingen, sie zu konfiszieren. Sie werden euren Brüdern in den Lagern zugute kommen ... Diese Säcke aber waren nicht der Grund, warum ich's auf mich genommen habe, den Musa Dagh zu ersteigen ...«
Er händigte Gabriel den Brief Nokhudians aus:
»Auf diesem Blatt erfahrt ihr, was ihr sonst nie erfahren hättet, das Schicksal eurer Landsleute. Zugleich aber möget ihr wissen, daß unser Volk nicht nur aus Ittihad, Talaat, Enver und ihren Knechten besteht. Denn viele haben wie ich ihre Wohnstätten verlassen und reisen nach Osten, um den Verhungernden zu helfen ...«
Gewiß, der Agha Rifaat Bereket war ein wunderbarer Mann, würdig, daß Gabriel im Namen des Volkes vor ihm niedergekniet wäre. Doch all diese umständlich aufgezählten Wohltaten und Strapazen lösten nicht die Bitterkeit in seiner Seele. So groß die Opfer auch waren, der Hinweis auf sie machte ihn ungeduldig:
»Den Verschickten werdet ihr vielleicht helfen, uns nicht ...«
Der Alte blieb unwandelbar gemessen:
»Dir könnte ich wohl helfen. Dies ist auch der wichtigste Grund, warum ich in deinem Zelt hier sitze.«
Und nun floß im eintönigen Paßschritt der Worte ein Rettungsplan von des Agha Lippen, der Gabriels Herz stillstehen ließ. Bagradian habe die fünf Männer der Begleitung draußen gewiß gesehen, so begann Rifaat Bereket. Die beiden СКАЧАТЬ