Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Dramen & Gedichte (Über 200 Titel in einem Buch). Franz Werfel
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СКАЧАТЬ gleichen dem Armenier nicht, der die Feldfrucht sogleich nach dem Schnitt heimführt, da ihn das Gefahrbewußtsein in seinem Blut dazu antreibt, den Wintervorrat so rasch wie möglich zu bergen. Der Moslem hingegen läßt die Garben tage-, ja wochenlang auf den Feldern liegen, da er vom Wetter nur sehr wenig zu fürchten hat. Als die Heuschrecken im Juli herabfluteten, fanden sie das Getreide teils im Hochstand, teils in lockeren Schnittschwaden auf den Feldern. Sie konnten also in wenigen Tagen die gesamte syrische Ernte auf ihre Weise einbringen, so daß um die Monatsmitte von den kahlgefressenen Äckern kein Halm mehr zu holen war. Mit dieser Ernte aber hatte Dschemal Pascha ungeduldig gerechnet, denn die alten Vorräte waren aufgezehrt, und er sollte nicht nur die gesamte Vierte Armee mit dem syrischen Getreide ernähren, sondern auch noch die Bevölkerung Palästinas und des Libanon sowie den schwankenden Araberstämmen im Ostjordanland durch große Zuwendungen schmeicheln. Die Heuschrecken aber machten den ganzen Verpflegungsplan des laufenden Kriegsjahrs zu Luft. Der Brotpreis schoß in die Höhe. Sofort erließ Dschemal eine Wucherverordnung, die aber keine andre Wirkung hatte, als daß die Bauern und Händler die Annahme von Papiergeld jetzt endgültig verweigerten. Trotz schärfster Gegenmaßnahmen sank das gesunkene türkische Pfund noch tief unter seinen geltenden Wert. In den ersten Augusttagen, da sich der Musa Dagh so glorreich verteidigte, fielen im Libanongebiet schon die ersten Opfer der Hungersnot.

      Dies war die Lage der Dinge, als in Dschemal Paschas Hauptquartier die Konferenz der syrischen Statthalter zusammentrat. In dieser hochmögenden Runde ging es übrigens kaum gelassener zu als in dem Führerrat des Musa Dagh. Die Walis und Mutessarifs konnten nämlich ebensowenig Eisenbahnzüge mit Getreide herbeizaubern wie die Muchtars Hammel und Schafe. Die Rede des Gewaltherrschers aber war kurz und unzugänglich. Bis zu diesem und jenem Tag hat das Vilajet Aleppo soundso viel Korn aufzubringen und an die Heeresintendantur abzuliefern, basta! Die Beamten wurden blaß vor Wut, nicht nur wegen der Zumutungen, sondern mehr noch über den Ton des Paschas, den er sich ihnen gegenüber herausnahm. Nur einer war die Demut und Dienstwilligkeit selbst, freilich hatte er wegen der Schmach des Musa Dagh Grund genug dazu. Das bräunlich aufgedunsene Gesicht des Kaimakams von Antakje hing unablässig begeistert an Dschemals Lippen. Während alle anderen Statthalter jammerten und feilschten, versprach er das Unmögliche. Seine Kasah, die größte im Vilajet, sei von der Heuschreckenplage nicht übermäßig betroffen. Wenn auch nicht Korn und Weizen, so könne er doch Mais in jeder gewünschten Menge zur Verfügung stellen. Er habe in Vorahnung der Kriegsnot die staatlichen Magazine seines Bezirks seit Jahr und Tag mit Proviant gefüllt. Er bitte nur höflichst um die nötigen Transportmittel. Während einer der Verhandlungen kam es so weit, daß Dschemal Pascha den Kaimakam von Antakje als leuchtendes Beispiel hinstellte. Dieser nahm den günstigen Augenblick, den er so weise angestrebt hatte, unverzüglich wahr und bat nach der Sitzung um eine kurze Audienz. Damit verstieß der Kaimakam gegen die Gesetze der Hierarchie, denn sein Vorgesetzter war der Wali von Aleppo. Doch gerade durch diesen Vorstoß hoffte er den alleinherrschsüchtigen Armeegeneral für sich einzunehmen. In Dschemals Zimmer befand sich außer dem Kaimakam nur noch Osman, der barbarisch herausgeputzte Oberste der Leibgarde. Der Landrat von Antakje nahm mit übertriebener Verbeugung die angebotene Zigarette entgegen:

      »Ich wende mich unmittelbar an Eure Exzellenz, weil ich die Großmut Eurer Exzellenz kenne ... Eure Exzellenz werden mein Anliegen schon erraten haben ...«

      Der vierschrötige Dschemal mit seiner schiefen Schulter stellte sich dicht vor den Kaimakam hin, dessen schwere, schlaffe Gestalt ihn hoch überragte. Die dicken Asiatenlippen des Generals durchstießen gehässig den schwarzen Bartrahmen:

      »Es ist eine Schande«, zischte er, »eine ekelhafte Schande!«

      Der Kaimakam neigte mit betonter Zerknirschung das Haupt:

      »Ich wage es, Eurer Exzellenz völlig beizustimmen. Es ist eine Schande! Ich aber habe das Unglück und nicht die Schuld, daß diese Schande gerade meine Kasah trifft.«

      »Keine Schuld? Ihr Zivilisten habt allein die Schuld, wenn wir wegen all dieser infamen Armeniergeschichten den Krieg verlieren und vielleicht ganz zugrunde gehn!«

      Den Kaimakam schien diese Prophezeiung tief zu erschüttern:

      »Es ist ein Unglück, daß nicht Eure Exzellenz die Politik in Stambul leiten!«

      »Es ist ein Unglück, darauf können Sie sich verlassen.«

      »Ich aber bin schließlich nur ein Beamter und habe die Befehle der Regierung gehorsamst entgegenzunehmen.«

      »Entgegenzunehmen? Auszuführen, mein Lieber, auszuführen! Wie viele Wochen dauert dieser Skandal schon? Mit einem Haufen zerlumpter, verhungerter Bettler könnt ihr nicht fertig werden ... Die Erfolge des Herrn Kriegsministers, haha, und des Herrn Innenministers!«

      Der kleine Dschemal trat zu dem Riesen Osman und schlug ihm mit der flachen Hand auf die Brust, daß dieses Waffenmuseum erklirrte:

      »Meine Leute erledigen so etwas in einer halben Stunde ... was?«

      Osman grinste. Doch auch der Kaimakam lächelte süßsauer:

      »Eure Exzellenz haben mit dem Zug an den Suezkanal eine der größten Kriegstaten unserer Geschichte vollbracht ... Ich bitte um Verzeihung, daß ich mir als Zivilist ein Urteil anmaße ... Aber das Größte an diesem Feldzug sind die geringen Verluste, die er Eure Exzellenz gekostet hat.«

      Dschemal Pascha lachte bitter auf:

      »Richtig, Kaimakam! Ich bin nicht so splendid wie Enver.«

      Jetzt machte der Kaimakam seine geschickteste Wendung:

      »Die Aufständischen der sieben Dörfer sind ausgezeichnet bewaffnet. Sie haben sich auf dem unzugänglichen Damlajik verschanzt. Ich bin kein Offizier, Exzellenz, und verstehe nichts davon. Die Saptiehs und die Assistenztruppen aber haben alles getan, was zu machen ist. Ich, als Leiter und Augenzeuge der Operationen, muß jede Verunglimpfung dieser Offiziere und Mannschaften energisch zurückweisen. Ich lehne es aber auch ab, unter den gegebenen Umständen, auch nur ein einziges Menschenleben mehr zu opfern. Eure Exzellenz, als unser größter Feldherr, wissen es viel besser als ich, daß man eine Bergfestung ohne Gebirgsartillerie und Maschinengewehre nicht säubern kann. Mögen die Verfluchten triumphieren! Ich habe das Meine getan!«

      Dschemal Pascha, der seiner auffahrenden Natur in unaufhörlicher Zucht Selbstbeherrschung abtrotzen mußte, konnte seine Stimme nicht bezwingen:

      »Wenden Sie sich an den Kriegsminister«, schrie er. »Ich habe keine Gebirgsartillerie und keine Maschinengewehre. Meine ganze Macht ist eine Redensart. Ich bin der armseligste Heerführer des Reiches. Die Herren in Stambul haben mich bis auf die letzte Patrone ausgeplündert ... Und, überhaupt, das Ganze geht mich nichts an.«

      Der Kaimakam wurde sehr ernst und kreuzte die Arme über seine Brust wie zum Selam:

      »Eure Exzellenz verzeihen, wenn ich zu widersprechen wage. Aber die Sache geht Eure Exzellenz doch ein wenig an ... Nicht nur die politische Behörde macht sich durch diesen Mißerfolg vor der ganzen Welt lächerlich, sondern auch die Truppen der Vierten Armee, die den berühmten Namen Eurer Exzellenz trägt.«

      »Wofür halten Sie mich«, höhnte Dschemal, »so billig ködert man mich nicht.«

      An dem gewaltigen Osman vorbei verließ der Kaimakam das Zimmer des Paschas, dem Anschein nach sehr betreten, im Innern aber nicht hoffnungslos. Die Hoffnung täuschte ihn nicht. Derselbe Osman weckte ihn nach Mitternacht in seinem Quartier und lud ihn unverzüglich zu Dschemal ein. Durch solche überraschende Einladungen zu unmöglicher Stunde liebte es der Diktator Syriens, sich selbst seine Macht und andern seine Originalität zu beweisen. Er empfing den späten Besuch nicht in Uniform, СКАЧАТЬ