Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Dramen & Gedichte (Über 200 Titel in einem Buch). Franz Werfel
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СКАЧАТЬ ich habe die Sache ganz durchgedacht und bin zu Entschlüssen gelangt ...«

      Er schlug mit seiner roten Plebejerhand flach auf den Tisch:

      »Das Reich ist das Opfer von Irrsinnigen und von unfähigen Strebern ...«

      Der Kaimakam wartete mit bestätigender Schwermut des Kommenden. Osman stand in voller Parade an der Tür. Wann schläft dieser Kerl eigentlich, überlegte der Regent von Antiochia. Dschemal Pascha ging auf und ab:

      »Sie haben recht, Kaimakam, die Schande trifft auch mich. Sie muß verschwinden, sie darf nie gewesen sein, verstanden?«

      Der Kaimakam wartete noch immer wortlos. Der kleine General drehte sein haßverzehrtes Bartgesicht zu ihm empor:

      »Zehn Tage haben Sie Zeit, dann muß diese Geschichte vorbei und vergessen sein ... Ich werde Ihnen einen meiner tüchtigsten Herren schicken und alles Nötige ... Sie aber haften mir ... Ich will nichts mehr hören ...«

      Der Kaimakam war klug genug, keinen Laut von sich zu geben. Dschemal Pascha trat zwei Schritte zurück. Jetzt sah er wirklich bucklig aus:

      »Ich will nichts mehr hören von der ganzen Sache ... Wenn, ich aber etwas hören muß, wenn es nicht ganz glatt geht, lasse ich alle Schuldigen füsilieren ... und auch Sie, Kaimakam, werden zum Teufel gehen ...«

      Der sommersprossige Müdir, der in der Villa Bagradian residierte, wurde an diesem Tag zweimal aus seinem Kefschlummer gerissen. Das erstemal war's eine Depesche des Kaimakams, die ihn von dessen bevorstehender Ankunft in Kenntnis setzte. Als aber der Feldwebel der Saptiehs von neuem erschien, um ihn wegen eines bedenklichen Ereignisses aus der kühlen Villa in die unerträgliche Mittagshitze zu holen, da fluchte er auf den lästigen Kerl wild los und hätte ihn am liebsten geschlagen. Auf dem Kirchplatz von Yoghonoluk jedoch beschleunigte er seinen Schritt, denn der Anblick war wirklich recht ungewöhnlich. Vor der Kirche stand eine nicht mit Pferden, sondern mit Eseln bespannte Yayli. Eigentlich aber war's gar keine Yayli, sondern irgendeine altertümliche Karosse mit großen Rädern. In dieser Karosse saß ein alter Herr, der seinem Wesen und seinen Kleidern nach vorzüglich hineinpaßte. Ein dunkelblauer Seidenmantel reichte ihm bis zu den Füßen, die in weichen Ziegenlederschuhen staken. Um den Fez trug der Vornehme das Tarbuschtuch des Frommen geschlungen. Die zarten, fast altfrauenhaften Finger zählten unablässig die Kugeln eines Bernsteinkranzes ab. Der Müdir erkannte in dieser Erscheinung sofort einen patrizischen Alttürken, einen Parteigänger des gegnerischen Lagers, das trotz der Revolution seine Macht nicht völlig eingebüßt hatte. Jetzt erinnerte er sich, dieser Persönlichkeit in Antakje zwei- oder dreimal begegnet zu sein, wo sie von der Bevölkerung ehrfürchtig gegrüßt worden war. Die Yayli stand nicht allein da. Hinter ihr stampfte und scharrte ein Troß hochbepackter Esel. Außer den Treibern sah der Müdir noch zwei ältere Türken mit einem milden, fast verklärten Ausdruck und einen mageren Menschen, der am Wagenschlag lehnte und dessen Gesicht dicht verschleiert war. Der junge Mann aus Salonik legte die Hand an die Stirn, um das Alter höflich zu grüßen. Agha Rifaat Bereket winkte ihn herbei. Der traditionsfeindliche Anhänger Ittihads trat sachte an den Wagen heran und nahm Worte des Alten entgegen:

      »Wir sind auf dem Wege ins armenische Lager. Gib uns Führer mit, Müdir!«

      Der also von oben behandelte Bezirkshauptmann erstarrte:

      »Ins armenische Lager? Seid ihr geisteskrank?«

      Rifaat Bereket kümmerte sich um diese liebenswürdige Frage nicht. Auf dem Rücksitz der Kutsche lag eine ganz neue moderne Aktentasche aus gelbem Rindsleder, die wie ein tatkräftiger Gegensatz zu dem sonst so behäbigen Aufzug wirkte. Die feinen weißen Finger öffneten den Druckverschluß:

      »Ich habe eine Mission an die Armenier.«

      Der Agha reichte dem Rothaarigen seinen Teskeré, der darin zu forschen begann. Als er das Richtige nicht zu finden schien, gebot ihm Bereket ohne jede Ungeduld:

      »Lies die Schrift über dem Stempel.«

      Und wirklich, der Müdir gehorchte mit solcher Bereitwilligkeit, daß er den Text sogar laut zum besten gab:

      »Der Inhaber dieses Passes erhält zu allen armenischen Deportationslagern Zutritt, der ihm von keiner politischen und militärischen Behörde verweigert werden darf.«

      Der junge Mann reichte mit seinen vorbildlich gepflegten Händen das Dokument in den Wagen zurück:

      »Es handelt sich hier um kein Deportationslager, sondern um Aufständische, um Hochverräter, die sich verschanzt und türkisches Blut vergossen haben.«

      »Meine Mission geht an alle Armenier«, erklärte der Agha gemessen, verstaute seinen Teskeré fürsorglich in der funkelnagelneuen Aktentasche eines smarten Kaufmanns und entnahm ihr ein anderes Dokument, dem man schon äußerlich ansah, daß es eine stärkere Beschwörungsformel vorstellte. Es war ein großes, kunstvoll gefaltetes und mit einem komplizierten Stempel versehenes Blatt. Die Augen des Müdirs mußten sich erst an die schnörkelstolze Schönschrift in arabischen Lettern gewöhnen, ehe sie den Namenszug des Scheikh ül Islam entzifferten sowie die Aufforderung, die das geistliche Oberhaupt der Türkei an jeden gläubigen Moslem ergehen ließ, dem rechtmäßigen Vorzeiger dieses Blattes zu Willen und dienstbar zu sein, was immer er auch begehre. – Welchen Einfluß diese Mottenwelt noch immer besitzt, ging es dem Müdir durch den Kopf. Das Scheikh-ül-Islamat war trotz Enver und Talaat eines der mächtigsten Staatsämter. Dieser mittelalterliche Wisch bedeutete einen dienstlichen Befehl, dessen Nichtbefolgung ihm teuer zu stehen kommen konnte. Sein Blick lief die Tragtiere ab, die mit großen Mehlsäcken bepackt waren:

      »Und welche Bestimmung haben diese Säcke?«

      Rifaat Bereket hüllte die Antwort, wie es seine Art war, in ein würdevolles Zwielicht:

      »Sie haben dieselbe Bestimmung, die ich habe.«

      Der Müdir wandte sich mit umständlichen Worten an den Agha, obgleich es ihn ärgerte, daß der alte Türke vor ihm, dem Regierungsvertreter, unbeweglich sitzen blieb, als habe er es mit einem Bedienten des Ancien régime zu tun:

      »Ich weiß nicht, Effendi, ob du dir eine richtige Vorstellung von den Tatsachen machst. Die Armenier dieses Bezirks haben sich den Befehlen der Regierung widersetzt und auf dem Musa Dagh verschanzt. Sie haben es gewagt, dem Militär zu trotzen, sich selbst zu bewaffnen und türkische Soldaten zu töten. Wir sind schon seit vielen, vielen Tagen gezwungen, diese gemeinen Verbrecher zu belagern. Jetzt hungern wir sie aus. Einige Tage noch, und sie werden mürbe sein. Da aber kommst du, Agha, mit deiner Mission und deinen Proviantsäcken und willst den Hochverrätern, den Staatsfeinden, den Feinden deines Padischah Hilfe bringen, damit sie der rechtmäßigen Behörde noch länger Widerstand leisten können?«

      Rifaat Bereket hörte diese lange Rede mit müde gesenktem Haupte an. Nachher erst streifte er den Müdir mit einem kühlen Blick seiner leicht vorgewälzten und umrunzelten Augen:

      »Wart ihr nicht ärgere Feinde eures Padischah als sie? Seid ihr nicht seinen Soldaten mit der Waffe in der Hand entgegengetreten, und zwar als Angreifer? Revolutionäre dürfen sich niemals auf Rechtmäßigkeit berufen.«

      Während er noch sprach, tauchte seine Hand zum drittenmal in die Wundertasche. Es war beinahe wie im Märchen, als er nun den stärksten Zauber hervorzog: ein gerolltes Pergamentblatt, das zuoberst den diamantgeschmückten Turban des Sultans als Signet trug. Der Großherr und Kalif, Mohammed der Fünfte, befahl in dieser Irade all seinen Untertanen, insonderheit den Zivil- und Militärbehörden, daß sie dem Agha Rifaat Bereket aus Antakje bei all seinen СКАЧАТЬ