Название: Die bedeutendsten Österreicher
Автор: Isabella Ackerl
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: marixwissen
isbn: 9783843802512
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1925 begegnete sie Dorothy Tiffany Burlingham, die aus der amerikanischen Tiffany-Glas- und Schmuckdynastie stammte. Sie war mit ihren vier Kindern nach Wien in die Praxis von Sigmund Freud gekommen. Dorothy Burlingham war fünf Jahre älter als Anna und seit 1911 verheiratet, lebte jedoch bereits seit Jahren von ihrem Mann getrennt. In ihr fand Anna ihre Lebenspartnerin. Burlingham begann ebenfalls eine Ausbildung als Psychoanalytikerin. Sie und Anna Freud gestalteten ihr Leben gemeinsam, zogen Dorothys Kinder auf und erwarben 1932 als Wochenend- und Sommerhaus ein Bauernhaus in Hochrotherd.
Über den Vater lernte Anna 1921 die um mehr als 30 Jahre ältere Lou Andreas-Salomé kennen, die als Muse berühmter Männer wie Rainer Maria Rilke und Friedrich Nietzsche bereits internationale Bekanntheit genoss. Die Begegnung mit der intellektuell anregenden Lou, die ebenfalls eine analytische Ausbildung hatte, war für Anna prägend. Sigmund Freud bezeichnete Lou Andreas-Salomé als ein Frauenzimmer von gefährlicher Intelligenz.
Bei den Mittwochgesellschaften ihres Vaters traf Anna Freud Muriel Gardiner, Erbin eines Chicagoer Fleischimperiums. Gardiner, die eng mit der Society of Friends verbunden war, verbrachte einige Jahre in Wien. So lange sie konnte, versuchte sie Freunden zu helfen Sie war auch an der Verschickung von Freuds Antiquitätensammlung beteiligt.
Bereits die Berufswahl von Anna Freud verdeutlichte, auf welches tiefenpsychologische Gebiet sich ihre fachlichen Interessen richten würden: die psychische, physische und geistige Entwicklung des Kindes. Stets hatte sie Kinder beobachtet, ihre individuelle Entwicklung verfolgt und vor allem der Kindlichkeit und den verschiedenen Formen ihrer Äußerungen verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet. Die Erziehung war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vom Gegenbild der Erziehungsmethoden des 19. Jahrhundert geprägt, denen man unterstellte, dass sie die kindliche Unschuld durch von außen aufoktroyierte Zwänge zerstört hätten. Die Psychoanalyse wies hier einen anderen, differenzierteren Weg, indem sie von der empirisch bewiesenen Erkenntnis ausging, dass alle Versuche des Kindes, die Erwachsenenwelt kennen zu lernen, ihrerseits einen rücksichtslosen und grausamen Akt darstellten. Aus diesen Erfahrungen bildeten sich zwei Schulen: diejenige von Anna Freud und eine weitere unter der Anhängerschaft von Melanie Klein, mit der Anna in erstaunlicher Direktheit einen Grundsatzstreit austrug. Sie war der Auffassung, dass Melanie Kleins Deutungen das Kind zu sehr überforderten und wollte daher nur neurotisch gestörte Kinder therapieren, während Melanie Klein der Ansicht war, dass jedes Kind einer psychoanalytischen Therapie bedürfe.
Anna Freuds kinderpsychologische Ansätze standen auch im Gegensatz zur Theorie von Alfred Adler (→ siehe dort), der als Individualpsychologe die soziale Komponente in der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen betonte. 1927 veröffentlichte Anna Freud ihre erste große Arbeit, die Einführung in die Technik der Kinderanalyse. Im Auftrag des Jugendamtes der Stadt Wien verfasste sie 1930 eine Einführung in die Psychoanalyse für Pädagogen.
Als die Ärzte Sigmund Freud 1923 Kieferkrebs diagnostizierten, wurde Anna Freud für den Vater unentbehrlich: sie arbeitete für ihn als Sekretärin, als Vertraute und als Pflegerin. Da er bereits Schwierigkeiten mit dem Sprechen hatte und keine Reisen mehr unternehmen wollte, erledigte sie alles für ihn. So verlas sie beim Psychoanalytischen Kongress in Homburg im Jahr 1925 Freuds Beitrag Einige psychische Folgen des anatomischen Geschlechtsunterschieds. 1930 nahm sie für den Vater den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt entgegen. Anna Freud bezog Stärke aus der zunehmenden Hinfälligkeit des Vaters und ihre Auftritte in der Öffentlichkeit wurden immer souveräner.
Die politische Entwicklung in Österreich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland erfüllte die Mitglieder der Psychoanalytischen Vereinigung und sowohl Vater als auch Tochter Freud mit Sorge. Deutlich war spürbar, dass nicht nur die persönliche Lebenssituation des Einzelnen einer stetig zunehmenden Bedrohung unterlag, sondern auch die psychoanalytische Theorie immer mehr von der Politik bedroht erschien. Die letzte Sitzung der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung fand am 13. März 1938 statt. Bei dieser Sitzung wurde beschlossen, dass angesichts der Erfahrung in Deutschland, jeder, dem es nur irgend möglich war, aus Österreich fliehen sollte. Zahlreiche ausländische Kollegen wie der Amerikaner Walter C. Langer oder die französische Prinzessin Marie Bonaparte bemühten sich, Sigmund Freud aus Österreich herauszuhelfen bzw. ein britisches Visum zu erhalten.
Unmittelbar nach dem Anschluss Österreichs wurde Anna Freud zur Gestapo zitiert und konnte sie erst Stunden später verlassen. Was dort tatsächlich passierte, bleibt ungeklärt. Der Hausarzt der Familie, der um die Bedrohung der Freuds wusste, hatte Anna für den Fall, dass sie bei der Gestapo gefoltert werden sollte, Veronal gegeben. Anfang Juni 1938 konnten Sigmund Freund, seine Frau, Anna Freud und auch Dr. Schur, der Arzt der Familie, Österreich schließlich verlassen. Auch Dorothy Burlingham wählte das britische Exil. Die Exilanten reisten über Paris, wo sie von Marie Bonaparte erwartet wurden, nach London. Im September bezogen sie ein Haus in Hampstead, in dem Freud ein Jahr später verstarb. Unmittelbar nach ihrem Eintreffen in London wurden Vater und Tochter in die Britische Psychoanalytische Vereinigung aufgenommen. Nach dem Tod des Vaters wurde Anna Freud zur Testamentsvollstreckerin des Vaters.
1940 gründete Anna Freud das Kriegskinderheim Hampstead Nurseries, um für ihr Gastland Großbritannien in der schweren Kriegssituation einen Beitrag zu leisten. In dieser Kinderkolonie wurden etwa 80 Kriegswaisen betreut. Nach dem Krieg kümmerte sich Anna zunächst um Waisenkinder aus dem KZ Theresienstadt. 1947 wurde daraus ein Ausbildungszentrum für Kinderanalyse. In diese Institutionen brachte Anna ihre gesamten Kenntnisse und all ihre Energie ein. Von London aus baute sie die Psychoanalytische Vereinigung wieder auf und knüpfte an alle alten Kontakte an, um die Lehren des Vaters weltweit zu verbreiten. 1965 wurde Anna Freud mit dem Titel Commander of the Order of the British Empire ausgezeichnet. Sie unternahm zahlreiche Vortragsreisen und beteiligte sich an internationalen Kongressen. Vor allem in den USA gibt es viele bedingungslose Anhänger des Freudschen Denkgebäudes.
Obgleich sie einen großartigen und wesentlichen Beitrag zur Kinderanalyse leistete, hatte Anna Freud selbst keine Kinder. Der Vater war und blieb die dominierende Persönlichkeit in ihrem Leben. An eine Eheschließung hatte sie nie gedacht. Anna Freuds Leben beherrschten ein Mann, ihr Vater und eine Reihe von Frauen, darunter ältere Vorbilder wie Lou Andreas-Salomé und Marie Bonaparte, ihre Lebenspartnerin Dorothy Burlingham, sowie die engen Freundinnen und Fachkolleginnen Jeanne Lampl-de Groot und Marianne Rie-Kris. Nach Österreich kehrte sie erst im Jahr 1971 anlässlich der Teilnahme am 27. Psychoanalytischen Kongress in Wien zurück. Sie hielt dort einen Vortrag in englischer Sprache.
Anna Freud, die sich bis zu ihrem Lebensende für ihre Kinderklinik einsetzte, starb, nachdem sie im Frühjahr 1982 einen Schlaganfall erlitten hatte, am 9. Oktober desselben Jahres in London. Sie hatte wesentliche Charakterzüge ihres Vaters geerbt: wie er war sie sehr genau, sehr pünktlich und sorgfältig. Im Umgang mit Menschen generell distanziert, ließen beide nur wenige Menschen nahe an sich heran. Am Anfang ihrer Karriere und solange der Vater lebte, stand sie immer in seinem Schatten, was wohl daran liegen mochte, dass sie nicht akademisch ausgebildet, sondern nur beim Vater in die Lehre gegangen war. Sie verhielt sich daher in allen Gremien äußerst scheu und zurückhaltend. So ambivalent der Vater seine emotionalen Stimmungen lebte, so konstant erscheint dagegen die Tochter in ihrer Lebensführung: Weder war sie eitel wie ihr Vater, noch besaß sie sein Savoir vivre, war im Gegenteil äußerst asketisch und auch nicht fähig, wie er ihr Leben in der Spannweite zwischen intensivster Arbeit und exzessiver Freizeit zu leben. Ihr Arbeitsdrang kam nie zur Ruhe, sie soll sogar beim Zuhören geradezu manisch mit Stricken beschäftigt gewesen sein. Schon in Hochrotherd und später im englischen Walberswick pflegte sie ihren Garten leidenschaftlich. Sie las viel, СКАЧАТЬ