Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl
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Название: Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen

Автор: August Sperl

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831439

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СКАЧАТЬ träumte Hansjörg Portner und wußte nichts mehr von dem, was um ihn her vorging. Und es war ja doch das Geläute längst verklungen, die Orgel erfüllte und überfüllte den kleinen Raum mit ihrem Jauchzen und Klagen und riß auf ihren Wogen alle die hundert und hundert schrillen und dröhnenden, lispelnden und schreienden, alten und jungen Stimmen empor.

      Was sangen sie denn? Er tastete nach dem alten Buche, das zusammengeklappt vor ihm lag, sah auf die schwarze Tafel und las die Nummer ab:

      »In dieser schweren, betrübten Zeit

       Verleih uns, Herr, Beständigkeit,

       Daß wir dein Wort und Sakrament

       Rein b'halten bis an unser End'!«

      so sangen und schrieen sie, und nachdenklich blickte Hansjörg Portner auf das vergilbte Blatt. »Dein göttlich Wort, das helle Licht, laß ja bei uns auslöschen nicht!« Wie gebannt ruhten seine Blicke auf dieser Strophe, während der Gesang weiter brauste. Auslöschen? Es erschienen ihm auf einmal alle Kirchen im ganzen Fürstentume der Oberpfalz wie kleine Kerzen auf einem großen, dunkeln Felde. Aber nein, das Bild war falsch! Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten, und er bedarf keines Tempels von Menschenhänden gemacht! Form? Was Form! Mag doch die Form zerbrechen! Aber wo wäre denn der Geist, der sich nicht in irgend einer Form offenbarte? Nirgends, Portner! Hansjörg Portner, es sind doch kleine Kerzen auf einem weiten, dunkeln Felde, das Bild ist gut. Und er dachte, wie viele von diesen Kerzen ausgelöscht waren, und wie wenige noch brannten an diesem Tage. Und dann sah er zum Altare vor und auf die sechs flimmernden Lichtlein, und es kam ein großer Zorn über ihn: Heute brannten sie zum letzten Male dort vorne, und heute hatte er zum letzten Male das Recht, zwischen diesen Mauern zu sitzen, und heute über acht Tage würde ein feiner Wohlgeruch den Raum erfüllen, und die Totenschilde seines Geschlechtes würden verschwimmen im bläulichen Dunste des Weihrauches, und er hätte nichts mehr zu suchen über den Grüften seiner Eltern und Voreltern, er, der Patronus dieses Hauses! ›Du irrst, Portner,‹ sagte eine leise Stimme, während die hundert und hundert Stimmen um ihn her sangen und schrieen:

      »Ach Gott, es geht gar übel zu,

       Auf dieser Erd' ist keine Ruh' –«

      ›du irrst, Portner, eine kurze Kniebeuge, und du stehst wieder da auf deinem Grund und Boden als der gnädige Herr Patronus. Du wirst das Knie beugen, wenn es sein muß, du wirst die Zähne aufeinanderbeißen und im Herzen spotten über die Unfreien, die einen Freien zu knechten wähnen, du wirst das Rauchfaß schwenken lassen, und deine Lippen werden gedankenlos den langen Fluch sprechen gegen das, was vergangen sein muß – du brauchst ja den Kopf nicht zu wenden und den andern Spruch nicht zu lesen auf der Grabplatte deiner Eltern – nein, du brauchst das nicht!‹ –

      Hansjörg Portner mußte aber nun gerade doch sehen, ob er von seinem Sitze aus den Spruch zu lesen vermöchte! Jawohl, da stand es klar und scharf: ›Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten.‹ – Thorheit, er würde auch Glauben halten und als ein starker Mann hinausgehen und den Ewigen anbeten im Frühlingssturme und im Winterfroste, den Ewigen in den flimmernden Sternen und im wogenden Korne, aufrecht, hocherhobenen Hauptes! – Aufrecht, Hansjörg, mit der Lüge im Herzen?

      Es war nun ganz stille zwischen den Mauern, und auf der Kanzel stand der Prädikant und sprach mit seiner dünnen Stimme. Hansjörg merkte nicht auf seine Worte, aber er wandte die Augen nicht von seinem schmalen Gesichte, und es durchzuckte ihn auf einmal der Gedanke: ›Der muß nun als der erste daran glauben!‹ Und dieser Gedanke ließ ihn nicht mehr frei. Er hatte den Mann da droben in seinem weißen Chorhemdlein nie sonderlich beachtet – er, der stolze Portner, den armen, ängstlichen Menschen, der selbst noch jung und vor sechs Jahren erst nach Theuern gekommen war. Doch jetzt summte es in Portners Ohren immer stärker und stärker: ›Der muß nun als der erste daran glauben!‹ – Vierzehn Tage waren ihm gesetzt, Portner wußte es wohl, vierzehn Tage Frist. Und nun suchten seine Augen den Pfarrstuhl gegenüber, und seine Blicke trafen auf ein bleiches, kränkliches Weib und auf ein Häuflein lieblicher Kinder. ›Die müssen nun als die ersten daran glauben!‹ summte es in ihm, und er rückte unmerklich auf seinem Sitze. Es war ihm unbehaglich auf dem weichen, wappengeschmückten Polsterlein, er, der Starke, saß so gut, und da drüben saßen die Schwachen so hart und saßen zum letzten Male, und da droben stand der Aengstliche, der sonst nie zu widersprechen wagte. Hansjörg Portner mußte die Augen wieder zur Kanzel erheben. Wie mochte ihm nur zu Mute sein, dem da droben, der morgen schon als Emigrant im Dorf umhergehen würde? Furchtbar – nicht? Wie einem, der vor einem Abgrunde zurückschauert – nicht? Aber nein: Dieses Antlitz sah nicht aus, als ob eine furchtsame Seele dahinter wohnte, nein, ganz und gar nicht! Und was sprach er nur? Portner ward aufmerksam.

      »Ja, es ist zum letztenmal, ihr Lieben, und ihr erwartet nun wohl, daß ich mich zürnend wenden werde gegen unsre Widersacher. Nein, ihr Lieben, das werde ich nicht thun. Aber nicht deswegen, weil jedes meiner Worte binnen wenigen Stunden in Amberg an den gehörigen Ort getragen wird, sondern deswegen, weil zürnende Worte und Segensprüche nicht aus einem und demselben Munde quellen dürfen. Und segnen möchte ich euch alle zum Abschiede. Ich möchte euch aber auch etwas hinterlassen zum Geschenke, und das ist der Spruch, der auf des seligen Herrn und seiner lieben Hausfrau Grabstein zu lesen ist und allezeit zu lesen sein wird: ›Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten.‹«

      Hansjörg Portner hatte bis hierher dem kleinen Manne fest ins Antlitz gesehen. Jetzt aber wurden seine Blicke unsicher, und endlich senkte er die Lider. Der Prädikant fuhr fort:

      »Möge das einst jeder unter uns am Ende seines Lebens von sich sagen können; dann wird er in Frieden einschlafen dürfen, und läge er auch auf einem glühenden Roste. Was ist denn das Ganze, das uns allen seit langer Zeit so viel Unruhe macht? Ein schweres Schicksal. Es giebt zweierlei Schicksale: Menschenschicksale, die kommen müssen als Folge einer Verschuldung – und diese sind die schwersten; Gottesschicksale, deren Absicht wir nur ahnen können – und diese sind leicht, wenn wir sie mit den richtigen Augen ansehen. Betet, daß ihr unschuldig leiden dürfet – soweit ein armes Menschenkind von Unschuld sprechen kann!«

      Hansjörg Portners Gedanken glitten wieder ab, und das Stimmlein des Prädikanten klang wie aus der Ferne an sein Ohr. Der Mann da droben hatte freilich keine andre Wahl, er mußte gehen; sonst hätte er sich selber ins Gesicht geschlagen. – Wie? Er mußte gehen? Hatte man ihm nicht eine gute Versorgung angeboten, wenn er sich zum Abfall entschlösse? Ja, Portner wußte das genau. Wenn er nun doch bliebe? Er hatte acht Kinder! Portner machte ein bitteres Gesicht: in solchem Falle würde er ihn verachten. Aber gleich zuckte er zusammen. Verachten? Das war ein hartes Wort. – Ja, der Pfaffe, der seiner eignen Lehre um äußerer Wohlfahrt willen den Fluch gab, war ihm verächtlich. – Und der andre, der Edelmann, der um äußerer Wohlfahrt willen mit seinem Gewissen paktierte –? Hansjörg Portner sah mit einem Ruck zur Kanzel empor und scheuchte die lästigen Gedanken von sich. Und nun hörte er auch wieder, was der Mann da droben sprach:

      »Ja, wir sind alle schwer verschuldet und können's niemals bezahlen, was wir schuldig sind. Aber ängstet euch nicht, es ist ein Brief vorhanden, in dem uns Gott, der Menschen Gläubiger, die Schuld erläßt. Wir dürfen nur hingehen und um den Brief bitten; jedem wird er gegeben. Und wo ist er denn zu holen, dieser Brief? Im Evangelium. Und wie lautet er?

      »›Ich, der ewige, barmherzige Gott und Vater, urkunde und bekenne hiermit, daß, nachdem ihr armen Menschen mir eine große und unabgeglichene Summa seid schuldig worden, weswegen ihr in den Schuldturm hättet sollen geworfen werden, so habe ich mich euer erbarmt und meinen lieben Sohn euch armen Sündern zu gut in die Welt gesandt, der für alle eure Schulden gebüßt und bezahlt hat, indem er am Kreuz eines verfluchten Todes gestorben. Solches sehe ich in Gnaden an und will euch hiermit von eurer Schuld frei, quitt und ledig gesprochen haben, wenn ihr euch leiten СКАЧАТЬ