Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen - August Sperl страница 25

Название: Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen

Автор: August Sperl

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831439

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СКАЧАТЬ zogen die Pferde den breitspurigen Wagen durch den tiefen Sand des Feldwegs. Die Gegend war öde und eben wie eine Tischplatte; Wiesen mit saurem Grase und weitgedehnte Stoppelfelder lagen zu beiden Seiten des Fahrwegs, und ganz draußen am Rande der Landschaft, wo Himmel und Erde zusammenstießen, da schwangen melancholische Windmühlen ihre gespenstigen Arme.

      Anfangs hatten wir fröhlich geplaudert, der Vater und ich. Aber allmählich verstummte unser Gespräch, und es war nichts mehr zu hören, als das eintönige Schnauben der Pferde und das Knirschen und Stöhnen der Räder im Sande.

      Stundenlang fuhren wir. Da traten die Wiesen und Felder zurück, und wir bogen in einen Föhrenwald. Eine Viertelstunde fuhren wir zwischen seinen verkrüppelten Stämmen, dann trat auch er wieder zurück, der Weg wurde fester und lief zwischen fetten Wiesen dahin, die Pferde griffen munter aus, Leute arbeiteten hier und dort, und aus einer Insel von Obstbäumen schauten uns die ersten Hütten eines Dorfes entgegen: wir waren am Ziel unserer Fahrt, und der Wagen hielt vor dem Krug.

      Wir entlohnten den Kutscher und standen nach ein paar Schritten im weiten Gutshofe des Herrensitzes. Langgestreckte, einförmige Gebäude, Ställe, Scheunen und eine stattliche Brennerei schlossen ihn auf drei Seiten ein; kein Mensch war auf dem großen Platze; alles sah aus wie die neue Zeit – bis auf das alte, graue Schloß mit seinem hohen Giebel und seinen moosigen Türmchen, das auf der vierten Seite des Hofes stand, das alte, graue Schloß Ellsdorf, hinter dessen Mauern in stiller Zurückgezogenheit die Letzte des norddeutschen Zweiges unseres Geschlechts wohnte.

      Wir hatten uns angemeldet und noch gestern auf der letzten Station eine freundliche Antwort erhalten. Nun aber hatte sie uns wohl von einem Fenster aus gesehen; denn gerade, als wir dem Diener unsere Karten geben wollten, kam sie selbst, die greise Herrin des Schlosses, streckte uns beide Hände entgegen und lud uns herein in ein trauliches Gemach zu ebener Erde.

      Sympathie! Ein seltsames, zauberhaftes, unerklärtes und unerklärliches Ding. Sie ist da, sie greift ans Herz, und ich bin gefangen. Antipathie – ihre Schwester! Auch sie kommt ungerufen, greift kalt ans Herz, und ich bin zurückgestoßen. Oft wünschte ich mir recht sehnlich das bequeme Mittelding, mit dem es sich so gut durchs Leben gehen läßt, die Gleichgültigkeit. Ich habe sie mir auch schon in manchen Verhältnissen angewöhnt und bin gut dabei gefahren – aber in einem Punkte kann ich sie schlechterdings nimmer erwerben: in meinem Verkehre mit Frauen. Und hier will ich sie auch gar wohl entbehren; denn die Frau kennt ja selbst die Gleichgültigkeit nicht, weil sich in ihr alles auflöst in die zwei großen Gefühle Sympathie und Antipathie. Drum bleibet bei mir und stellet euch ruhig neben mich, ihr Schwestern, wenn ich mit Frauen rede, schlag eine Brücke, Sympathie, baue eine Scheidewand, Antipathie, wenn ich ihnen die Hand reiche, in die Augen sehe und – ihre Stimmen höre, und nach wie vor will ich hier dem ersten Eindrucke folgen, weil ich unzählige Male erkannt habe, daß er der richtige war.

      Auch ihr hatte ich die Hand geküßt, ein paar Sekunden ins Antlitz geschaut, ihre Stimme gehört, und nun wußte ich, daß sie mir sympathisch war, saß ruhig auf dem grünen Polsterstuhle ihr und dem Vater gegenüber, betrachtete schüchtern ihre große, schlanke Gestalt, ihr einfaches, graues Seidenkleid, ihr feines, gütiges und doch so vornehmes Gesicht und ihr weißes Häubchen, und gab mich dem Zauber hin, der über ihr ausgegossen war, dem Zauber, den jedes edle Weib besitzt, mag es nun jung sein und blühend von Antlitz und Gestalt und unerfahren – oder mag es welke Züge haben und graue Haare, eine alte Gestalt und eine Last von Erfahrungen.

      Ja, wenn es doch alle Frauen wüßten, was uns an ihnen so lieb ist! Sie würden sich weniger grämen, wenn die Schönheit ihrer Erscheinung zu verfallen beginnt oder auch wenn andere glänzender sind als sie. Denn sie alle können ja ein Gut erwerben und besitzen, das unabhängig ist von Form und Schönheit, das unendlich höher steht als Form und Schönheit, das viel, viel wahrer ist als Form und Schönheit, das ihr bestes Erbteil, ihre Seele, widerspiegelt – die Anmut. Die Schönheit ist ein Halbes; denn ohne die Anmut ist sie kalt und tot. Aber die Anmut ist ein Ganzes, in sich Abgeschlossenes; denn sie bedarf der Schönheit nicht. Darum freue dich, du schöne Frau, deiner Schönheit, aber im stillen ringe, ringe unablässig nach deiner Krone, der Anmut. Und du minderbegünstigte Schwester der Schönen erwirb dir die Anmut, freue dich, daß die Anmut so hoch über der Schönheit steht wie die Seele über dem Leib, und freue dich, daß du die Anmut in deiner Hand hast – weil du auch Herrin bist über das Dichten und Trachten und Leben und Weben und Sinnen und Fühlen deiner Seele. Nimm die Seele in gute Zucht, ihr Glanz wird aus deinen Augen strahlen, die edlen Menschen werden dich lieben; denn was ist immer und immer die letzte, höchste Sehnsucht der Liebe? Die Seele!

      Ich überließ das Gespräch meinem Vater und schaute verstohlen in der altmodischen Stube umher. Allen Gemächern des Schlosses, hatte unsere Verwandte gesagt, ziehe sie dieses kleine Zimmer vor, habe hier die Geräte, unter denen sie einst als Kind im Elternhause gespielt, um sich versammelt und verbringe nun den Abend ihres Lebens in stillen Erinnerungen an die vergangenen Zeiten. Die alten, meist aus dem vorigen Jahrhundert stammenden Dinge, hier die feingebohnte, geschweifte Kommode, dort die schweren Polstersessel, das Nähtischchen in der Fensternische, das Kerdernwappen auf Glas am Fensterrahmen, die kleine abgegriffene Bibliothek, machten das Zimmer so wohnlich, daß auch ich keinen Augenblick nach den Prachtgemächern des Schlosses Verlangen trug.

      »Hier, hinter Ihnen«, sagte die Dame eben zum Vater, »hängt das Bild meines seligen Bruders.« Da konnte auch ich mit Anstand noch weiter umherschauen und sah mir die Ölgemälde an der Wand an, dort den prächtigen Männerkopf mit den weißen Haaren und den scharfen, blauen Augen, der mich so ernst anblickte, hier jugendfrische Mädchengesichter mit runden Wangen, die mich fröhlich und schalkhaft aus den steifen, ausgeschnittenen Prachtkleidern einer längst versunkenen Zeit anlachten, herzige Mädchen – die Großtanten der alten Frau vor mir auf dem Sofa.

      Der Vater fragte, die Cousine antwortete, immer eifriger wurde das Gespräch, und zuletzt schloß sie einen großen Rokokosekretär auf und kramte aus seinen unergründlichen Schubladen alte Schätze hervor. Nun löste sich auch mir die Zunge zu mancher schüchternen Frage.

      Da waren dicke Stammbücher mit Ledereinbänden und abgegriffenem Goldschnitt, in denen man sich auf ewig Treue geschworen und mit französischen Brocken viel Artiges gesagt hatte. Kecke Soldatensprüche standen auf den vergilbten Blättern neben empfindsamen Schäferweisen, und viel war zu lesen auf welsch von vertu, honneur und fidélité, unter traurige Abschiedsworte hatte ein anderer in der Weinlaune ein nichtsnutziges Sprüchlein hingeschmiert – jetzt stand es da seit hundert Jahren –, wir sahen feste Männerzüge bei zierlicher Frauenhand, alles bunt durcheinander, gleichsam Federzeichnungen aus einer entschwundenen Zeit.

      Dann kamen alte, schöngemalte Stammtafeln mit Wappen und Arabesken, kunstvolle Ketten und Ringe – längst moderten die Finger und Gelenke, die sich stolz mit ihnen geschmückt hatten – und während die Matrone das alles zeigte, erzählte sie ruhig und freundlich von Freud und Leid der Vergangenheit; ich hätte stundenlang schauen und hören mögen.

      »Was ist denn das?« rief da auf einmal der Vater und zeigte auf ein großes Pastellbild in einer verschossenen, blauen Samtkapsel.

      »Auch ein Kerdern«, sagte die Dame leise. »Vielleicht später von ihm. Sehen Sie sich einstweilen das Bild an.« Dabei wandte sie sich ab und begann, die Sachen wieder in die Laden zu legen.

      Es war das Kniestück eines Knaben von hinreißender Schönheit. Er hatte ein goldgesticktes Jagdgewand an, die kleine Rechte umspannte den Griff eines Hirschfängers, mit der Linken hielt er den schwarzen Federhut. Trotzig schaute er aus blauen Augen, der schmale Mund war fest geschlossen, das ungepuderte Haupthaar hing ihm in die eckige, große Stirne und fiel in schwarzen Locken auf die Schultern hernieder.

      Lange besahen wir das Bild. »Sollte man's glauben, daß er zum Geschlechte gehört?« sagte der Vater. »Er sieht so fremd aus!«

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