Название: Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme
Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027238149
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Sie gingen zusammen in das Gärtchen, in dem das Haus lag.
Der General suchte dort eine schattige Laube auf, um darin seinen Mittagsschlaf zu halten.
»Pflegst Du auch nach Tische zu schlafen?« fragte der Domherr das Fräulein.
»Nein«, antwortete sie auf die boshafte Frage.
»So huldige mit mir einem weisen Domherrnspruche.«
Sie erwiderte ihm nichts. Sie schien plötzlich böser Laune geworden zu sein. Warum? Wer darf bei Damen nach dem Warum ihrer Laune fragen?
Der Domherr achtete nicht darauf.
»Du fragst mich nicht nach dem weisen Spruche?«
Sie antwortete wieder nicht.
»So höre ihn ohne Frage: Post coenam stabis aut passus mille meabis; das heißt auf Deutsch: Nach der Tafel wirst Du stehen oder langsam tausend Schritte gehen — und es hilft zur Verdauung. Gehen wir die tausend Schritte.«
Das Fräulein setzte sich zur Antwort auf eine Bank, die in der Nähe stand.
Der Domherr setzte sich zu ihr, und dann sprach er zu ihr:
»Gisbertine, wie ist es denn? Macht der Mensch dem Herzen Vorwürfe oder das Herz dem Menschen?«
Das Fräulein antwortete:
»Onkel Florens, überlassen wir das den Menschen und den Herzen, die sich Vorwürfe zu machen haben.«
»Hm, Gisbertine, welcher Mensch hätte sich keine Vorwürfe zu machen?«
»Da hast Du ja selbst Deine Frage beantwortet, Onkel!«
»Ah, der Mensch mache sich selbst die Vorwürfe, meinst Du? Nun, Du kannst Recht haben. Das Gewissen ist es doch am Ende, was dem Menschen die Vorwürfe macht, und das Gewissen ist der Mensch selbst, nämlich der bessere Mensch.«
»So sagt man ja wohl.«
»Gisbertine, in Deinem Briefe, der mich hierher rief, stand, dass Du Dich sehntest, mich wiederzusehen.«
»Ich glaube, so stand darin.«
»Und so schrieb wohl die bessere Gisbertine an mich.«
»Und die schlechtere hast Du hier gefunden?«
»Gisbertine, hast Du mir noch immer nichts zu sagen?«
»Nein!«
»Von Gisbert, von Deinem —«
»Sprich den Namen nicht aus!« fuhr das Fräulein auf, heftig, glühend rot, dann leichenblass in dem schönen Gesichte.
»Ah«, sagte der Domherr. »Ah, darf Dein Herz oder Dein Gewissen den Namen nicht hören?«
Sie zuckte die Achseln, wie verächtlich.
»Ich sagte Dir, dass ich einen Brief aus Namur von ihm hatte«, fuhr der Domherr fort.
»Du sagtest es.«
»Und dass er eine Schlacht erwarte.«
»Ich glaube.«
»Die Schlacht ist im Gange, Gisbertine.«
»Hättest Du Nachrichten über sie?«
»Ja. Erinnerst Du Dich unserer westfälischen Heiden noch, Gisbertine?«
»Der Langeweile erinnert man sich lange.«
»Sie haben auch ihre Unterhaltung, diese Heiden. Man sieht zum Beispiel weit und man hört auch weit auf ihnen. Und mit dem Hören auf ihnen ist es eigen, man hört es tief unten und es ist doch oben. So fuhr ich gestern in der Frühe des Morgens über die Heiden zwischen dem Rhein und dem alten Münster. Da sah ich Menschen, die schon mit dem Aufgange der Sonne zur Arbeit ausgezogen waren. Aber sie arbeiteten nicht, sie lagen mit dem Ohr an der Erde und horchten in die Tiefe hinein. Es waren die Männer, die horchten. Die Frauen standen mit bleichen Gesichtern dabei und drückten die Kinder an die bebenden Herzen.
‚Was habt Ihr da, Ihr Leute?‘ fragte ich.
‚Die Unsrigen schlagen sich mit den Franzosen, Herr!‘
‚Wie?‘
‚Steigen Sie aus, so können Sie es hören.‘
Ich stieg aus, ich legte mich hin wie sie und hörte den Donner der Kanonen, wie er weit hinten in dem fernen Westen aufschlug und unter der Erde fortrollte, dreißig Meilen weit in einer Minute. Und die Heide zitterte unter mir, und mein Herz zitterte mit ihr und den bebenden Frauen. All das grässliche Morden und Jammern und Stöhnen und Beten und Fluchen und Sterben des Schlachtfeldes stand vor mir. Und auch Gisbert ——«
»Onkel, höre auf!« rief Gisbertine.
Sie bebte an seiner Seite; sie war bleich geworden wie die Frauen auf der Heide.
»Ah«, sagte der Domherr noch einmal.
Er hätte das Wort nicht sagen sollen.
Das Fräulein sprang auf, heftig noch. Sie ging auch noch ein paarmal mit hastigen Schritten durch das Gärtchen. Dann kehrte sie langsam und ruhig zu dem Domherrn zurück.
»Onkel Florens, trinkt man hier in Gesellschaft den Nachmittagskaffee?«
»O ja, beim Kurhause.«
»Führst Du mich hin? Der Onkel Steinau trinkt seinen Kaffee allein.«
Der Domherr führte sie zum Kurhause.
»Und Gisbert?« fragte er unterwegs.
»Wir haben ja später Zeit, von ihm zu sprechen.«
Am Kurhause saßen unter schattigen Bäumen einzelne Gruppen der Gesellschaften des Bades an einzelnen Tischen beim Kaffee. Der Domherr führte das Fräulein zu seinen Bekannten. Es war jene Gesellschaft, von der sie ihm bei Tische ihre Skizzen entworfen hatte, die sie also gleichfalls schon kannte, von der sie gekannt war.
Auch der Graf Westernitz war da, der blasse Husarenlieutenant, dem die knappe Uniform so hübsch stand und der so anmutig husten konnte.
In sein Gesicht zog Glück ein, als er das schöne Fräulein sah. Er sprang auf, ihr entgegen.
»Wie glücklich machen Sie uns, mein gnädiges Fräulein!«
»Auch Sie, Herr Graf?«
»Sie fragen!«
Er küsste ihr die Hand.
»Es freut mich«, sagte sie. »Denn ich glaube, Sie sind der einzige vernünftige Mensch hier.«
Der Lieutenant lachte.
»Mein СКАЧАТЬ