Название: Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme
Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027238149
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Nach drei Wochen musste ich den Fuß nachziehen; noch drei Wochen später konnte ich nur völlig lahm gehen. Der Hauptmann hatte anfangs gemeint, ich verstelle mich; dann wurde er besorgt; darauf musste der Kompaniechirurgus mich untersuchen. Der meinte, es sei das Wachstum; es werde sich schon geben; ich werde sogar. noch größer werden. Aber ich wurde nicht größer; das Bein schwoll mir auf; ich konnte nicht darauf treten; der Regimentsdoktor musste kommen, mich untersuchen. Er machte ein sehr bedenkliches Gesicht. Ich wurde in das Lazarett gebracht, auf einem Streckbett festgeschnallt. Da lag ich, ohne mich rühren zu können, drei Monate. Die Geschwulst in meinem Fuße hörte auf, der Schmerz auch; aber als ich wieder aufstand, war das kranke Bein einen Zoll kürzer als das gesunde; ich war ein Hinkender.
Der Hauptmann fluchte schrecklich.
‘Was ist da zu machen, Doktor?’ fragte er den Regimentsarzt.
‘Den Burschen laufen lassen, Herr Hauptmann.’
Der Hauptmann fluchte ärger.
‘Es ist nicht möglich. Der König erkundigt sich nach dem Menschen. Er hat mir befohlen, ihn gut zu halten. Ich riskiere meinen Abschied, wenn ich die Entlassung des Burschen melden müsste. Wissen Sie denn gar kein Mittel, Doktor?’
‘Es ließe sich noch eins versuchen.’
‘Nennen Sie es.’
‘Wir brechen dem Menschen das nur durch Krümmung verkürzte Bein und heilen es ihm dann wieder gerade.’
‘Das geht?’
‘Wenn es glückt, ja.’
‘Auf der Stelle, Doktor. Es muss glücken.’
Ich vergesse es nie, wie dem Hauptmanne die Augen leuchteten. Mir wollten vor Schreck die Sinne vergehen.
‘Auf der Stelle lässt es sich nicht machen’, sagte der Arzt. ‘Da müssen erst längere Vorbereitungen getroffen werden.’
‘Ich gebe es gar nicht zu; es ist mein Bein!’ rief ich.
Ich wurde ausgelacht.
‘Du hast nichts zu sagen!’
Ich wurde in ein einsames Zimmer gebracht, in dem nur Vertraute des Hauptmanns zu mir kamen. Der Doktor traf seine Vorbereitungen. Nach vier Wochen kam er mit drei oder vier Chirurgen, mit Instrumenten und Maschinen, mit Schienen und Bandagen. Zwei Unteroffiziere kamen mit ihnen. Die Unteroffiziere mussten mich halten, dass ich mich nicht wehren konnte. Die Chirurgen entkleideten mich. Der Doktor zerbrach mir mit einer Maschine den Fuß. Es war ein furchtbarer Schmerz. Von dem Schmerz will ich Ihnen jedoch nichts sagen; mein Zorn, meine Wut aber— doch wozu soll ich Ihnen auch davon erzählen? -
Der zerbrochene Fuß wurde mir eingeschient. Dann musste ich wieder ein Vierteljahr festgeschnallt aus dem Streckbett liegen. Als ich aufstand, war der Fuß beinahe so kurz und völlig so steif wie vorher.
Der Hauptmann fluchte entsetzlich.
Der Doktor machte ein verlegenes Gesicht.
‘Der Bursche hielt nicht still bei der Operation’, wollte er sich herausreden.
‘Ich bin verloren’, rief der Hauptmann. ‘Ich komme auf die Festung! Der König hat sich nach dem Menschen erkundigt; ich habe ihn mit allerlei hinhalten müssen. Doktor, ist denn gar nichts mehr zu machen?’
‘Man müsste es versuchen, das Bein noch einmal zu brechen; diesmal mit größerer Vorsicht.’
‘Lassen Sie den Burschen binden, dass er keine Sehne rühren kann’, rief der Hauptmann.
Hochwürdiger Herr, wie mir damals zu Mute war, das kann ich Ihnen gar nicht sagen. Ich weiß nur, dass ich weinen musste wie ein Kind. Ich rief meinen Vater und meine Mutter zu Hilfe, die so weit von mir waren — ich war allein, so ganz allein, ganz in der Gewalt der grausamen Menschen, die kein Erbarmen, kein Herz hatten!
Das Bein wurde mir noch einmal zerbrochen. Ich litt entsetzliche Schmerzen, entsetzliche Qualen. Und es war alles vergeblich gewesen. Ich blieb lahm wie vorher; mein ganzer Körper war zugleich ruiniert. Es verging beinahe ein Jahr, bis ich aus dem Lazarett entlassen werden konnte. Was sollte aus mir werden, als ich es verlassen hatte? Soldat konnte ich nicht bleiben.
Man wollte mich auch, obwohl ich eine gute Handschrift hatte, nicht in der Schreiberei der Kompanie beschäftigen. Man scheute meine Anwesenheit. Ich war den Herren ein Vorwurf. Was sie gegen mich getan, hätte dem Könige zu Ohren kommen können. Was sie ihm gesagt hatten, habe ich nicht erfahren. Da kam eines Tages der Feldwebel zu mir und teilte mir mit, dass der Herr Hauptmann in seiner besonderen Güte und Gnade mir eine Schullehrerstelle in Westfalen, also gar in meiner Heimat, ausgewirkt habe, und ich wurde mit einem Postfreipass hierher in den äußersten Winkel des Westfalenlandes nach dem Dorfe Heimsen als Lehrer geschickt.
Da habe ich seitdem bleiben müssen. Mein Vater war schon gestorben, während ich noch Soldat in Potsdam war, und seine Stelle sofort wieder besetzt worden. Ich hatte kein Geld, um noch einmal auf das Seminar zu gehen und mich für eine bessere Stelle vorzubereiten.
Und nun will ich Euer Hochwürden erzählen, wie ich zu dem Mädchen, der Henriette, gekommen bin. Sie war die Tochter meines Vorgängers in Heimsen Der arme Mann war mit Frau und Kindern am Nervenfieber gestorben; nur ein Kind war übrig geblieben, die Henriette; sie war damals zwei Jahre alt und —
Aber ich muss Ihnen vorher sagen, worin die große Güte und Gnade bestand, mit welcher der Hauptmann von Steinau mir die Schulmeisterstelle in Heimsen verschafft hatte. Die Stelle trug und trägt mir Folgendes ein: ich habe freie Wohnung, jährlich vierzehn Taler Gehalt und gehe bei den Bauern der Gemeinde der Reihe nach herum, um mich des Mittags mit ihren Knechten und Mägden satt zu essen. Das ist alles. Die Gemeinde ist sehr arm. Meine Wohnung besteht in einer einzigen Stube im Schulhause, die mir zum Aufenthalte bei Tag und bei Nacht dient, und zugleich zur Küche, wenn ich etwas zu kochen habe.
Für dieses Einkommen musste ich alle Tage Schule halten und musste ich damals das verlassene zweijährige Kind meines Vorgängers übernehmen, dessen sich keiner in der Gemeinde annehmen wollte und dessen Versorgung sie so von sich abschüttelte.
Und jetzt wissen Sie, hochwürdiger Herr, wie ich zu dem Mädchen kam und sie zu mir. Wie sie mit mir und ich mit ihr hungerte, das erzähle ich Ihnen nicht.
Wie sie aber immer mit der kindlichsten Liebe und Dankbarkeit an mir gehangen hat, das brauche ich Ihnen nicht mehr zu sagen; Sie haben es an der Freude gesehen, mit der sie mich hier empfing. Doch noch eins von ihr. Sie war meine beste Schülerin, die ich in der Gemeinde gehabt habe. Darum schien sie mir auch zu gut für das arme elende Dorf und ich brachte sie, als sie fünfzehn Jahre alt war, nach Warburg in die Stadt als Magd zu einer ordentlichen Herrschaft Sie war dort so anstellig, dass sie bald Kellnerin im Gasthofe werden konnte, und sie war so brav und solid, dass ich es vor zwei Jahren wagen durfte, sie als Kellnerin nach Kassel gehen zu lassen, wo sie einen leichtern Dienst und mehr Lohn hat. Ihr Kasseler Herr hat ihr in diesem Sommer hier die Restauration anvertrauen können.«
Der Schullehrer schloss damit.
»Und nun kenne ich Ihre lange Geschichte?« fragte der Domherr.
»Ich fürchte, Sie war СКАЧАТЬ