Название: Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme
Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027238149
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62. Die beiden Frauen zu Aulosen.
Vor vielen hundert Jahren lebte auf seinem Schlosse zu Aulosen in der Wische ein Herr von Jagow. Er hatte eine Frau und viele Kinder; aber weil er sehr fromm und gottesfürchtig war, so ließ er Alles im Stich, und zog mit den deutschen Heeren in den Türkenkrieg, um den Erbfeind des christlichen Glaubens besiegen zu helfen. Dort ging es ihm indeß sehr schlecht, er wurde gefangen und als Sklave verkauft. Er kam als Gärtner zu einem vornehmen türkischen Herrn. Die Tochter dieses Türken kam oft in den Garten, in welchem er arbeitete, und sah ihn, und hatte ihr Gefallen an ihm, weil er ein sehr schöner und schmucker Herr war. Sie fühlte auch bald Mitleiden mit seinem Unglücke, und endlich hatte sie ihn in ihrem Herzen so lieb gewonnen, daß sie nicht mehr von ihm lassen konnte. Der Ritter merkte das Alles wohl, und obgleich er seine Gemahlin mit seinem ganzen Herzen liebte, so war er doch auch der Türkentochter gut, weil er nur durch ihre Hülfe hoffen konnte, seine Freiheit zu erlangen, und seine Hausfrau, seine lieben Kinder und seine Heimath im Leben wiederzusehen. Deswegen ließ er sich mit ihr ein, und er versprach, sie neben seiner Gemahlin zu heirathen, wenn sie ihn befreien und zu dem christlichen Glauben übertreten wolle. Dazu war sie gern bereit. Sie entfloh glücklich mit ihm aus seiner Sklaverei; in Deutschland wurde sie eine Christin und dann durch die Dispensation des Papstes seine Hausfrau.
Es war gerade auf Grünen Donnerstag des Mittags, als der Ritter mit seiner gewesenen Türkin auf seinem Schlosse zu Aulosen ankam. Seine deutsche Hausfrau und seine Kinder saßen am Mittagstisch und aßen Erbsen und Stockfisch. Sie freueten sich sehr, wie sie ihren Herrn und Vater wieder sahen, den sie todt geglaubt hatten, und die erste Frau nahm die mitgebrachte zweite mit Freuden neben sich auf. Beide Frauen wurden die besten, verträglichsten Freundinnen, und blieben dies bis an ihr seliges Ende. Das Bildniß der Türkin wird noch unter den Jagowschen Familiengemälden gezeigt; sie ist danach ganz ausnehmend schön gewesen. Sie ist, wie man sagt, zu Großen-Garz begraben; in dem Kirchengewölbe daselbst zeigt man noch ihren einbalsamirten Körper; auch zeigt man dort zwei Leichensteine, auf welchem zwei weibliche Figuren ausgehauen sind, welches die beiden Frauen dieses Ritters sein sollen.
Der Ritter stiftete zum Andenken an seine glückliche Heimkehr auf den Grünen Donnerstag eine Armenspende, daß alle Armen, so viel deren sich einfinden würden, auf dem Schlosse mit Erbsen und Stockfisch, als welches seine Familie bei seiner Rückkehr gegessen, gespeiset werden, und ein Stück Speck und Brod mit auf den Weg bekommen sollten. Noch vor nicht langen Jahren war dieses Bettlerfest so besucht, daß an die fünfhundert Armen dahin wallfahrteten.
Vergl. Ueber die Altmark. II. S. 133.
63. Der Währwolf in Hindenburg.
Der Glaube an den Währwolf hat sich auch in der Altmark erhalten. In dem Dorfe Hindenburg erzählen sich die Leute noch jetzt von einem solchen Menschen, der sich in einen Wolf hat verwandeln können, und es leben noch welche, die ihn in ihrer Kindheit gekannt haben. Er hatte einen Streifen Leder aus einer Wolfshaut gehabt, an der noch die Haare waren. Sobald er sich diesen um den Leib band, war er in einen Wolf verwandelt. Er hatte dann eine außerordentliche Stärke, so daß er oft ganz allein ein ganzes Fuder Heu zog, oder einen ganzen Ochsen ins Maul nahm und forttrug. Er hatte in solchem Zustande aber auch ganz und gar die Natur des Wolfes: denn er würgte das Vieh, und fraß sogar Menschen. Einer seiner Nachbarn ward einmal von ihm verfolgt, und konnte ihm nur mit genauer Noth entgehen. Nur seine Frau verschonte er, wenn er auch noch so wüthend war. Sie kannte einen Zauberspruch, wodurch er gebannt wurde, und den er ihr selbst gelehrt haben soll. Sie schnallte ihm dann den Streifen wieder ab, und nun war er wieder ein vernünftiger Mensch.
Acten des Altmärkischen Vereins für Geschichte und Industrie.
64. Der Kobold in Lichterfeld.
Wie in den meisten Gegenden Deutschlands, so ist auch in der Altmark die Sage vom Kobold sehr verbreitet. Man unterscheidet eine doppelte Art, die guten und die bösen. Der gute Kobold hält sich gewöhnlich auf dem obersten Boden des Hauses auf, er wird gehörig gepflegt, und besonders mit Milchsuppen gefüttert. Dafür bringt er Segen ins Haus, er schafft Geld herbei und verrichtet allerlei nützliche Arbeiten. Er muß sehr sorgsam gewartet und gepflegt werden; denn sonst wird er böse, zieht aus dem Hause und steckt es in Brand. Der böse Kobold ist eigentlich so recht böser Natur nicht; er treibt nur gern allerlei Kurzweil, und hat seine Freude daran, die Leute zu necken. Er erscheint in allen möglichen Gestalten, so wie es seine Laune, und der Spaß, den er vorhat, gerade mit sich bringt. Gewöhnlich aber hat er die Gestalt eines kleinen untersetzten Knaben von ungefähr zwei Fuß Größe, und in rothen Kleidern.
Ein gar neckischer Kobold war einmal in dem Dorfe Lichterfeld in der Wische. Es wohnte dort ein Bauer, der eines Tages Korn zu der Stadt gefahren hatte. Wie er zurückfuhr, fand er mitten auf dem Wege einen ganz neuen Kober, der sorgfältig mit Stricken zugebunden und versiegelt war. Der Bauer glaubte einen reichen Fund gethan zu haben; er hob voller Freuden den Kober auf und nahm ihn mit zu Hause. Hier öffnet er ihn geschwind, um zu sehen, was darin sei. Aber zu seiner Verwunderung findet er ihn ganz leer, als er hineinfaßt. Hineinsehen konnte er nicht, denn es war schon Abend, und Licht hatte er nicht angezündet. Noch mehr verwunderte er sich aber, als es ihm vorkommt, als höre er etwas sich bewegen und ganz leise, aber geschwinde aus dem Kober herausschlüpfen. Das war ein Kobold gewesen, der noch an demselben Abende sein neckendes Spiel begann.
So wie der Bauer Licht angezündet hatte, warf er ihm das vom Tische, Bänke und Stühle kehrte er um, und er machte einen gewaltigen Spektakel und Unfug, so daß man wohl sehen konnte, er müsse lange in dem Kober festgesessen haben, und wolle sich dafür recht was zu Gute thun. Einmal warf er eine Fleischgabel gegen die Stubenthür, mit solcher Gewalt, daß sie darin stecken blieb und daß alle Knechte des Bauern herbeikommen mußten, um sie herauszuziehen.
Der Bauer wendete allerlei Mittel an, um diesen Kobold wieder einzufangen. Es wollte aber Alles nichts helfen. Er warf umsonst die theuersten Näschereien in den Kober und wartete in seinem Versteck Stunden lang, daß jener kommen und naschen möge. Der Kobold war ihm aber zu klug. Selbst Zaubermittel halfen nicht gegen ihn. Das Gerücht von diesem Kobold hatte sich unterdeß in der ganzen Wische verbreitet, und es kam einstmals ein Bekannter des Bauern auf einem wilden Hengste geritten, um ihn zu besuchen und etwas Neues über den Kobold zu erfahren. Schon an der Hofpforte rief er dem Bauern zu: Nun, wo hast du denn deinen Teufel? Der Kobold aber saß gerade auf der Pfortenthür; wie der die Worte hörte, da sprang er geschwind auf das Pferd des fremden Bauern und kniff und kratzte es, daß der Hengst wie toll davon lief. Der Bauer ward gleich abgeworfen, und das Pferd lief weiter. Nicht lange aber, so kam es an einen Weidenbaum, unter dem lief es in seiner Angst durch, und streifte so den Kobold ab. Von dieser Weide kann der böse Geist nun nicht herunter. Desto toller treibt er aber sein Wesen darauf. Bis auf den heutigen Tag sitzt er noch da, und sobald der Abend kommt, läßt er keinen Menschen ungeschoren vorbeigehen.
Der jetzt noch lebende Schäfer in Hindenburg weiß viele Streiche von ihm; der Mann schwört auch, daß die Geschichte Wort für Wort wahr sei.
Aus den Acten d. Altmärkischen Vereins f. Geschichte u. Industrie.