Название: Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme
Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027238149
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»Zum Teufel, wenn der Bursche es wagte!« fuhr der Domherr auf.
Dann musste er doch in allen seinen Sorgen lachen.
»Bah, den wird der Denkzettel geheilt haben, den er vom General von Steinau erhalten hat. Richtig aus dem Hause geworfen.«
»Wenn ihn«, bemerkte der Kellner, »die Behandlung des Generals nur nicht umso mehr gereizt hat!«
»Ein gebranntes Kind scheut das Feuer, mein Freund.«
»Aber, Herr Domherr, ein Mensch, der Karriere machen will, ist wie ein Schacherjude; er lässt sich zehnmal aus dem Hause werfen und kommt immer wieder!«
»Erwarten wir den Burschen! Aber sieh da, sieh da! Meine Karoline ist doch immer die Promptheit selbst! Karoline, mein Kind, mein Engelskind!«
Der Domherr und die schöne junge Frau lagen einander in den Armen. Sie war, frisch und leicht, zu Fuße den Berg heruntergekommen, der von Ovelgönne her in die Dahlheimer Schlucht führte. Sie war von früher Kindheit an die kräftige und gewandte Bergsteigerin.
Ihr schönes Gesicht glühte in Glück und Freude, als sie den Domherrn erblickte.
»Onkel Florens, da bist Du ja wieder!«
»Und bei mir ist wieder mein Engel!«
Aber Glück und Freude mussten auch in der jungen Frau schnell der Sorge und dem Schmerze weichen.
»Und Agathe?« fragte sie. »Was macht die arme Frau? Sie darf nicht sterben! Jetzt, jetzt nicht!«
»Sie ist in großer Gefahr«, sagte der Domherr.
»Darum ließ ich Dich herbitten. Wir müssen zusammen überlegen. Vor der Hand wird es ihr eine Beruhigung sein, Dich wiederzusehen.«
»Gehen wir zu ihr, Onkel Florens.«
»Ja diesem Augenblick schläft sie. Johann wird Nachricht bringen, wenn sie erwacht.«
»Ich bedaure nur«, sagte die junge Frau, »dass ich nicht lange bei Euch bleiben kann. Mein armer Mann sitzt zu Warburg ganz allein bei seinen hässlichen Akten, schon die ganze Woche. Mich rief die Ernte nach Ovelgönne. Gerade heute wollte er mich zurückholen. Indes, ich habe für Ersatz gesorgt und dabei zugleich weiter gedacht.«
Sie wandte sich an den Kellner.
»Henriette wird die Kranke pflegen. Sie folgt mir mit dem Boten.«
Da leuchteten auch die Augen des Kellners.
»O Frau Obristlieutenant —« wollte er ihr danken.
Aber sie fiel ihm ins Wort.
»Nicht so! Hier ist kein Krieg. Ich bin die Frau Assessorin.«
Und er dankte der Frau Assessorin.
Der Domherr und die Frau gingen in das Haus.
Der Kellner wollte ihnen folgen. Er wurde angehalten.
»Kellner!«
Der fremde Herr rief es. Er stand wieder in dem Eingange der Laube.
Er sah den Kellner mit einem sonderbar forschenden Blicke an. Seine Augen waren schon der jungen Frau, die mit dem Domherrn in das Haus ging, mit einem so besonderen Ausdrucke gefolgt.
»Was befehlen der Herr?« fragte der Kellner.
»Meinen Bedienten hierher rufen!«
Weiter hatte der Fremde nichts zu befehlen.
»Mich darum so sonderbar anzusehen!« meinte der Kellner.
Er ging in das Haus, den Bedienten zu rufen.
Dann kehrte er in den Garten zurück.
Er konnte die Ankunft seiner Braut kaum erwarten.
Henriette Brand war nicht mehr Kellnerin.
Der Kellner Louis oder vielmehr der preußische Lieutenant Louis Becker hatte niemals daran gedacht, in seiner Uniform und mit seinen Orden auf der Brust zu seinem alten Gewerbe zurückzukehren. Hatte er einmal dem General von Taubenheim etwas der Art gesagt, so hatte er diesem eben zeigen wollen, wie damals in gewissen Kreisen Berlins der preußische Landwehroffizier geschätzt werde. Er konnte, da für ihn kein Amt da sein sollte, um als ehrlicher Mensch zu existieren, nur seine frühere Beschäftigung wieder aufnehmen. Aber von dem ersten Augenblicke an hatte sein Vorsatz festgestanden, niemals dadurch seinen Stand, der für ihn ein doppelt ehrenwerter war, in irgendeiner Weise zu kompromittieren. Er suchte daher keinen Dienst in Preußen, wo er leicht als Offizier hätte erkannt werden können. Er beschloss, in das Ausland zu gehen.
Als er diesen Entschluss seiner Braut mitteilte, hatte diese sofort ein Unterkommen für ihn. Der Restaurateur, in dessen Dienste sie stand, hatte sein eigentliches Geschäft in Kassel und nur für die Badesaison die Restauration in der Sägemühle bei Hofgeismar übernommen. Der Kellner Louis war nach Kassel gekommen, während Henriette in der Sägemühle blieb. Zum Herbst sollte nun auch Henriette nach Kassel zurück.
Da hatte aber die Frau Karoline Friedrichs Widerspruch eingelegt.
»Das taugt nichts, dass Ihr beide als Brautleute in demselben Hause seid. Es taugt überhaupt für eine Frau, die künftig einmal eine tüchtige Hauswirtin und eine ordentliche Frau werden will, nicht, wenn sie in ihrem Leben nur Kellnerin gewesen ist. Ich habe daher einen Vorschlag für Sie, mein Kind. Ich bin nun die Frau Assessor in Warburg und kann nur noch höchstens alle acht Tage einmal nach Ovelgönne hinauskommen, muss dort also eine tüchtige und treue Person haben, die für mich die Aufsicht führen und auf die ich mich verlassen kann.«
Henriette hatte zwar ihrerseits widersprechen wollen, indes nur, weil sie sich nicht so viel zutraue, einer so großen Wirtschaft, wie auf Ovelgönne vorstehen zu können. Allein die Frau Assessor hatte nicht nachgegeben.
So war die hübsche vormalige Kellnerin Henriette Brand jetzt Wirtschafterin auf Ovelgönne.
Ihren Platz auf der Dahlheimer Sägemühle nahm aber in dieser Badesaison ihr Bräutigam Louis Becker ein.
Einmal in der Woche sahen sie sich; der Kellner kam nach Ovelgönne oder die Wirtschafterin zu der Sägemühle; freilich konnten sie nur eine kurze Zeit, manchmal kaum eine halbe Stunde beisammen sein.
Heute sollten sie auf längere Zeit zusammen sein.
Der Kellner Louis blickte sehnsüchtig zu dem Berge hinauf, über den das Mädchen kommen musste.
Der fremde Herr in der Laube hatte unterdes seinem Bedienten einen Befehl gegeben. Der Bediente war in das Haus geeilt. Gleich darauf war aus diesem ein zweiter älterer Herr zu dem ersten in die Laube gegangen. Es war ein feiner, nicht gerade großer Herr, von etwas gebückter Haltung; man glaubte gleichwohl, ihm den Soldaten anzusehen.
Beide Herren blieben in der Laube.
Der Kellner aber erhielt Gesellschaft.
»Hol’ СКАЧАТЬ