Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling
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Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke

Автор: Eduard von Keyserling

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962814601

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СКАЧАТЬ Glä­sern auf der Nase, saß vor dem Feu­er und strick­te. »Nun«, be­merk­te sie zu Herrn Herz’ Be­richt, »wenn die den Tod­dels hei­ra­ten kann, hät­te sie eben­so­gut den Lurch neh­men kön­nen, da ist kein Un­ter­schied.«

      »Lurch!« rief der Bal­let­tän­zer. »Weißt du das denn nicht? Der ist heu­te mor­gen un­ten am Fluss in der ver­ru­fe­nen Ba­de­stu­be tot auf­ge­fun­den wor­den. Ja, ja, in der Wan­ne hat er ge­ses­sen und hat sich mit ei­nem Ra­sier­mes­ser die Puls­ader ge­öff­net. Es ist toll! Die alte Lurch ist schlimm dar­an! Und – warum er’s ge­tan, weiß kein Mensch.«

      »Um Got­tes wil­len! Sehn Sie doch das Kind an!« schrie Ag­nes auf.

      Rosa hat­te sich vor­ge­beugt und starr­te ih­ren Va­ter an, das Ge­sicht weiß wie ein Tuch. »Rosa – ist dir schlecht?« frag­te Herr Herz.

      »Ja«, sag­te sie, sank zu­rück und schloss die Au­gen. »Sehr schlecht!«

      Das Ge­fühl des Ekels und der Furcht, wie sie es ges­tern un­ten am Fluss emp­fun­den hat­te, er­schüt­ter­te sie wie­der. Klam­mer­te sich doch al­les, was nied­rig, grau­sam, furcht­bar war, an ihr Le­ben. Ja, auch die­se blu­ti­ge Tat in der schmut­zi­gen Ba­de­stu­be ge­hör­te zu ihr. Sie sah Lurchs gel­bes Ge­sicht von Blut be­fleckt – sie hör­te wie­der den hei­se­ren, ge­quäl­ten Ton sei­ner Stim­me: »Die Lie­be zu Ih­nen frisst an mir.« Pfui! Al­les, al­les ver­schwor sich, um sie zu be­fle­cken! Sie ging un­ter in den trü­ben, un­rei­nen Flu­ten – und nir­gends Ret­tung. Sie fuhr auf. »Geht nicht fort«, rief sie und griff angst­voll nach dem Arm ih­res Va­ters.

      »Nein, Kind, wir sind da. Be­ru­hi­ge dich. Komm, leg dich zur Ruh.« Rosa ließ sich fort­füh­ren, wie­der­hol­te nur im­mer: »Geht nicht fort.«

      Ein hef­ti­ges Fie­ber er­griff sie über Nacht. Dr. Hol­te kam und schüt­tel­te be­denk­lich den Kopf, als er je­doch nach ei­ni­ger Zeit wie­der vor­sprach, fand er das Fie­ber ge­sun­ken; die Pa­ti­en­tin schlief ru­hig. »Es ist vor­über«, sag­te er. »Gro­ße Mat­tig­keit wird ein­tre­ten, und dann sind wir fer­tig. Eine präch­ti­ge Na­tur, Ihre Toch­ter – bes­ter Herz; kräf­tig, wis­sen Sie. Emp­feh­le mich.«

      Dr. Hol­te hat­te recht. Bald saß Rosa wie­der im Ses­sel und nahm Ag­nes’ Pfle­ge und Sorg­falt wil­lig wie ein Kind ent­ge­gen. Eine große Krank­heit, dach­te sie, wäre ihr lie­ber ge­we­sen, eine je­ner Krank­hei­ten, von de­nen sie ge­le­sen, die jede Erin­ne­rung an die Ver­gan­gen­heit zer­stö­ren und den Men­schen wie ein rei­nes, un­be­schrie­be­nes Blatt dem Le­ben wie­der über­ge­ben. Ja, wer wie­der ganz von neu­em an­fan­gen könn­te!

      Täg­lich frag­te Rosa ih­ren Va­ter: »Bist du bei der Schank ge­we­sen?« – »Nein«, ant­wor­te­te die­ser und schlug sich mit der Hand an die Stirn. »Mein al­ter Kopf be­hält auch nichts mehr. Aber, so große Eile wird’s wohl nicht ha­ben.«

      »Doch – Papa«, mein­te Rosa mit dem her­ben, ge­reiz­ten Stimm­ton, den sie in letz­ter Zeit an­nahm.

      Sehr schwer ent­schloss sich Herr Herz zu die­sem Gang; ei­nes Mor­gens aber mach­te er sich doch auf den Weg. Fräu­lein Schank emp­fing ih­ren al­ten Freund äu­ßerst kühl und streng. Sie mein­te: Da­mals, als noch Zeit war, woll­te man nicht. Jetzt wüss­te sie nicht, ob die be­tref­fen­de Stel­le noch frei sei. Hät­te man da­mals auf sie ge­hört, so wäre man­ches bes­ser ge­wor­den. »Üb­ri­gens«, sag­te sie, »wis­sen Sie’s ja, dass ich be­reit bin zu hel­fen, wenn ich kann; schon um Ih­rer ver­ewig­ten Schwes­ter wil­len, der, dem Him­mel sei Dank, man­che her­be Er­fah­rung er­spart ge­blie­ben ist. Ich wer­de also schrei­ben – mich er­kun­di­gen. Vor zwei Wo­chen ist na­tür­lich an kein Re­sul­tat zu den­ken.« Sie reich­te dem Bal­let­tän­zer zum Ab­schied ihre kal­ten, spit­zen Fin­ger und wie­der­hol­te: »Wenn ich nüt­zen kann, ste­he ich zu Diens­ten, um Ih­rer Schwes­ter wil­len.«

      Die­se hal­be Stun­de vor dem mit­lei­dig sau­ren Ge­sich­te der Schul­vor­ste­he­rin war Herrn Herz pein­lich ge­nug ge­we­sen, mit dem Er­geb­nis der Un­ter­re­dung je­doch war er zu­frie­den. Vor zwei Wo­chen brauch­te von Ro­sas Abrei­se nicht die Rede zu sein. Sehr er­leich­tert eil­te er heim. Rosa fand er nicht im Wohn­zim­mer. Er frag­te Ag­nes, die aus Ro­sas Zim­mer kam und die Türe hin­ter sich schloss: »Schläft das Kind noch?«

      »Ja«, er­wi­der­te Ag­nes ein­fach – und mach­te sich dar­an, den Staub von der Kom­mo­de zu wi­schen.

      »Sie schläft noch?« wie­der­hol­te Herr Herz er­staunt. »Ist sie denn krank?«

      »Ja – sie ist krank.« Ag­nes ar­bei­te­te, ohne auf­zu­bli­cken, em­sig fort.

      »Da will ich doch nach­se­hen –« Er warf sei­nen Hut fort und eil­te zur Türe. Ag­nes hielt ihn je­doch mit ei­nem kur­z­en »Ge­hen Sie bes­ser nicht« zu­rück. Herr Herz blieb ste­hen, pro­tes­tier­te: »Wa­rum nicht?« Was wa­ren das für neue Ein­rich­tun­gen. Er muss­te Rosa be­rich­ten, was die Schank ge­sagt hat­te; aber wäh­rend er so vor sich hin­zank­te, ward ihm un­be­hag­lich zu­mut. Ag­nes sah so fei­er­lich aus – wisch­te eif­rig und un­nah­bar den Staub von der Kom­mo­de – und mach­te ihr erns­tes Ge­sicht, zog den Mund aus­ein­an­der, so dass an den Mund­win­keln große Fal­ten ent­stan­den; eine Mie­ne, die sie nur dann auf­setz­te, wenn sie Kopf­weh hat­te oder wenn et­was vor­ge­fal­len war.

      »Was ist denn ge­sche­hen?« frag­te Herr Herz plötz­lich.

      »We­gen der Rei­se«, ver­setz­te Ag­nes, »brau­chen Sie der Rosa nichts zu sa­gen. Jetzt kann sie nicht rei­sen.«

      »Nicht?« Herr Herz stand mit­ten im Zim­mer und mach­te ein sehr ver­wirr­tes Ge­sicht.

      »Nein«, fuhr Ag­nes fort, has­tig die Plat­te der Kom­mo­de rei­bend: »Wir ha­ben ge­dacht, sie soll nach Ti­glau – – für ei­ni­ge Zeit – – zu mei­ner Schwes­ter. Wenn auch nicht gleich – –« Sie bog den Kopf zur Sei­te, um zu se­hen, ob die Po­li­tur nicht einen Fle­cken be­hielt.

      »Nach Ti­glau, sagst du?« Herr Herz ver­stand nicht, was vor­ging. »So? – Du meinst der Land­luft we­gen – was?« Ag­nes zuck­te die Ach­seln und ord­ne­te die Bän­de der il­lus­trier­ten Zeit­schrift. »Was? – So sprich doch –« wie­der­hol­te Herr Herz lei­se und drin­gend. Da wand­te sich Ag­nes ihm zu und sag­te lang­sam: »Nach Ti­glau – muss sie; zu mei­ner Schwes­ter – Böhk.«

      »Zu dei­ner Schwes­ter Böhk«, sprach er ihr sin­nend nach. – »Nach Ti­glau – ja – ja –« Und als er auf­schau­te, be­geg­ne­te er den fest auf ihn ge­rich­te­ten Bli­cken sei­ner al­ten Die­ne­rin. Sie sa­hen sich schwei­gend an. Herr Herz er­rö­te­te, um gleich wie­der ganz bleich zu wer­den. Ag­nes wand­te sich ih­rer Ar­beit zu. Sie wuss­te es: jetzt hat­te er ver­stan­den.

      Der Bal­let­tän­zer stand noch eine Wei­le re­gungs­los mit­ten im Zim­mer, dann ging er mit zit­tern­den Bei­nen zum Schrank, um sei­nen Hut ein­zu­schlie­ßen, wie er es stets tat. »Also nach Ti­glau! So – so«, mur­mel­te er, »je nun! – Das geht –« me­cha­nisch, СКАЧАТЬ