Название: Handbuch des Strafrechts
Автор: Dennis Bock
Издательство: Bookwire
isbn: 9783811455566
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Unstrittig liegt ein Betroffensein vor, wenn die Person die Situation (Tat und Täter als Diebstahl und Dieb) voll erfasst, also den Dieb „ertappt“, aber auch wenn er nur einen (diffusen) Straftatverdacht hegt bzw. glaubt, dass etwas nicht stimmt.[233] Nimmt jemand den Dieb wahr, schöpft aber keinen Verdacht, soll nach h.M. ebenfalls ein Betreffen vorliegen können.[234] Der Wahrnehmende muss auch die Vortat nicht beobachtet oder sonst bemerkt haben, er muss lediglich den Täter selbst wahrnehmen.[235]
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Sehr umstritten ist die Konstellation, in der die andere Person den an der Vortat Beteiligten nicht sinnlich wahrnimmt, sondern der Täter dem Bemerken zuvorkommt (präventive Raubmittelanwendung), die Tat also weder subjektiv noch objektiv entdeckt ist.[236] Nach der Rspr.[237] und einem Teil der Lehre[238] ist ein sinnliches Wahrnehmen nicht erforderlich, sondern es genügt jede sich raum-zeitlich an den Diebstahl anschließende und der Beutesicherung dienende Raubmittelanwendung für ein Betroffensein. Betroffensein bedeutet danach zunächst nicht mehr als das „bewusste oder unbewusste, geplante oder zufällige, raum-zeitliche Zusammentreffen einer Person mit dem Dieb“.[239] Betreffen sei dabei ein Synonym für „antreffen“, „vorfinden“ oder „begegnen“ und umfasse (lediglich) ein raum-zeitliches Zusammenkommen.[240] Bereits das der sinnlichen Wahrnehmung vorgelagerte Stadium sei daher vom „betreffen“ erfasst.[241] Das Merkmal „betreffen“ wird von diesen somit nicht aus der Perspektive des Opfers (Betroffen-Werden), sondern aus der Sicht des Täters bestimmt, der ein Raubmittel anwendet, weil er sich (subjektiv) für betroffen hält (Betroffen-Sein).[242] Kein „Betroffensein“ soll jedoch dann vorliegen, wenn die andere Person von Anfang an mit dem Täter zusammen gewesen ist.[243] In der Tat wirkt es widersinnig, denjenigen, der nach Vollendung der Wegnahme zuschlägt, bevor er bemerkt wird, anders zu behandeln, als denjenigen, der zuschlägt, nachdem er bemerkt worden ist.[244] In beiden Fällen liegen das Wegnahme- und das qualifizierte Nötigungselement vor und scheint daher eine Bestrafung „gleich einem Räuber“ gerechtfertigt.[245] Der Zweck des § 252 StGB streitet folglich für ein weites Verständnis.[246] Diskutiert wird aber, ob diese teleologische Auslegung mit dem Wortlaut des § 252 StGB und damit mit dem Gesetzlichkeitsprinzip des Art. 103 Abs. 2 GG (Analogieverbot) vereinbar ist. Zum Teil wird dies verneint. Die Gegenansicht argumentiert, dem Wortsinn des Begriffes „Betroffensein“ sei gerade eine sinnliche Wahrnehmung immanent.[247] „Betroffen“ sei nicht, wer dem Betreffen i.S.v. Bemerken zuvorkomme.[248] Eine solche Interpretation des Begriffes ist indes nicht zwingend. Mit dem Wortlaut gerade noch vereinbar ist auch eine Auslegung als bloßes raum-zeitliches Zusammentreffen.[249] Die Tatbestandsstruktur erfordert jedoch eine zusätzliche Bedeutung des Merkmals „Betreffen“, das nur in der sinnlichen Wahrnehmung durch einen Dritten liegen kann, da ansonsten jede Gewaltanwendung (die zu einem raum-zeitlichen Zusammentreffen führt) zu einer Bestrafung nach § 252 StGB führen kann und es dadurch seine eigenständige Funktion verliert.[250] Insofern reicht es auch nicht aus, wenn das Opfer den Täter im Rahmen der Gewaltanwendung wahrnimmt.[251] Auch spricht der Selbstbegünstigungscharakter des § 252 StGB in diesen Fällen für eine solche einschränkende Auslegung.[252]
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Angesichts der hier befürworteten opferbezogenen Perspektive ist das objektive Tatbestandsmerkmal Betroffensein dagegen erfüllt, wenn der Täter nicht bemerkt, dass er von Dritten bei der Tatbegehung wahrgenommen wird.[253]
cc) „Frische Tat“ – zeitliche Eingrenzung
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Schon im Hinblick auf den zeitlichen Anwendungsbereich des § 252 StGB („bei einem Diebstahl“; Rn. 39 f.) umfasst der Zeitraum, in dem die Tat als „frisch“ bezeichnet wird und damit § 252 StGB zur Anwendung kommt, nur die Phase zwischen der Vollendung der Vortat (bzw. nach hier vertretener Ansicht ausnahmsweise auch bei einem zur Gewahrsamserlangung führenden Versuch; Rn. 40), also der Wegnahme als Begründung neuen Gewahrsams unter Bruch fremden Gewahrsams, und deren Beendigung, also die Erlangung gesicherten Gewahrsams.[254] Absolute Obergrenze für die „Frische“ der Tat ist damit ihre Beendigung.[255] Nach a.A. führt die Beendigung der Vortat nur in der Regel zum Ausschluss der Tatfrische, nicht jedoch zwingend.[256] Auch wenn zuzugeben ist, dass die Vortat auch nach ihrer Beendigung noch „frisch“ sein kann, ist der Täter dann aber nicht mehr „bei einem Diebstahl“ betroffen. Wird das (qualifizierte) Nötigungsmittel nach Beendigung der Vortat eingesetzt, kommt somit nur eine Strafbarkeit wegen der Vortat sowie ggf. z.B. gemäß § 240 StGB bzw. bei Anwendung von Gewalt auch gemäß §§ 223 ff. StGB in Betracht.
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Bereits vor Beendigung der Vortat kann die Tat aber nach h.M. ihre Frische verlieren, sodass § 252 StGB nicht mehr anwendbar ist.[257] Nach der Rspr. muss sich nach den „Umständen des Einzelfalls“ ein enger zeitlicher (und räumlicher) Zusammenhang mit dem Diebstahl ergeben.[258] Der Täter muss „alsbald nach der Tatausführung“ betroffen werden[259] bzw. Nötigungsmittel einsetzen.[260] Ein enger zeitlicher Zusammenhang kann etwa verneint werden, wenn Opfer und Täter nach dem Gewahrsamswechsel zusammenbleiben und der Täter deshalb noch keinen gesicherten Gewahrsam erlangt hat, jedoch eine lange Zeit zwischen Gewahrsamswechsel und Nötigungshandlung vergeht (z.B. während einer längeren gemeinsamen Autofahrt).[261] Besteht aber der enge zeitliche (und räumliche) Zusammenhang, ist unerheblich, wenn es zum Einsatz eines Nötigungsmittels erst kommt, nachdem der Täter von der anderen Person auch über längere Zeit (oder über längere Strecken) verfolgt worden ist (Fälle der sog. Nacheile).[262] Jedoch muss sich die Verfolgung unmittelbar an das Betreffen anschließen und ohne wesentliche Zäsur erfolgen.[263] Zudem ist zu beachten, dass nach hier vertretener Ansicht (Rn. 44) die Tat auch noch bei Einsatz der Nötigungsmittel „frisch“ sein muss.[264] Insofern genügt es nicht, wenn der Verfolger den Täter aus den Augen verloren hat und ihn einige Stunden später zufällig findet und dann Nötigungsmittel einsetzt.[265]
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Zum Teil wird für die Einordnung einer Tat als „frisch“ darauf abgestellt, ob gegen sie noch Notwehr i.S.d. § 32 StGB möglich wäre, mithin, ob noch ein gegenwärtiger Angriff vorliegt.[266] In den meisten Fällen wird diese Ansicht zu denselben Ergebnissen kommen wie die h.M., da bei einem Diebstahl das Ende der Gegenwärtigkeit des Angriffs der materiellen Beendigung des Diebstahls entspricht.[267] In einigen Fällen kann es jedoch zu Abweichungen kommen, da nach h.M. zu Recht davon ausgegangen werden muss, dass die Vortat auch schon vor ihrer Beendigung ihre Frische verlieren kann.
dd) „Frische Tat“ – räumliche Eingrenzung
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Neben dem engen zeitlichen Zusammenhang fordert der BGH auch einen engen räumlichen Zusammenhang der Nötigungshandlung СКАЧАТЬ