Название: Tödlicher Nordwestwind
Автор: Lene Levi
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783738071719
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Robert unterbrach die Gerichtsmedizinerin, noch bevor sie ihren letzten Satz vollständig aussprechen konnte.
„Oh ja. Genau, das habe ich bereits befürchtet, Lin. Erspare mir aber bitte jetzt am Telefon die allzu genauen Details.“
„Wie soll das funktionieren? Ich werde dir auf jeden Fall das kleine Geheimnis des Toten nicht vorenthalten können. Aber die Leiche besteht darauf es dir selbst zu erzählen. Sie liegt hier direkt vor mir auf dem Tisch und wartet schon auf dich. Also dann, bis nachher.“
Kapitel 5
Robert verspürte auf dem Weg zum Rechtsmedizinischen Institut tatsächlich ein ziemlich undefinierbares Gefühl in seiner Magengegend. So sehr er seinen Job liebte, so sehr hasste er die verdammten Pflichttermine in den kühlen Leichenkellern dieser Einrichtungen. Allein der süßliche Geruch bereitete ihm immer wieder großes Unbehagen, von all den Leichenplastikbehältern, Sektionsinstrumenten und Desinfektionsmittelspendern in den gekachelten Obduktionssälen ganz zu schweigen. In Oldenburg war ihm bisher solch ein Pflichttermin erspart geblieben. Aber nun stand er im Souterrain des Instituts und versuchte den fahlen Geschmack in seinem Mund mit Wasser hinunterzuspülen. Ein in dem Flur aufgestellter Wasserspender wurde offensichtlich häufig benutzt, da es anderen Besuchern wahrscheinlich ebenso erging wie Robert jetzt in diesem Augenblick. Auf Knopfdruck stiegen große und blubbernde Luftblasen an die Oberfläche des Plastikbehälters und ein Wasserstrahl ergoss sich in einen Pappbecher. Ein trostloser Apparat in einer noch trostloseren Umgebung. Er begriff, dass der Schluck Wasser ein Fehler war, denn die Flüssigkeit schmeckte abgestanden und fahl. Endlich öffnete sich eine Tür am Ende des Flurs und Lin Quan kam Robert gutgelaunt entgegen. Ihre Anwesenheit ließ ihn das flaue Magengefühl einen Moment lang vergessen und er warf den halbgeleerten Pappbecher in einen Abfallbehälter. Dennoch nahm er sich vor, den Termin nicht unnötig in die Länge zu ziehen. Sie gingen zusammen den Flur entlang, dann öffnete die Rechtsmedizinerin eine mit Zahlencode gesicherte Tür und beide betraten den Obduktionssaal.
„Liebe Lin, bringen wir es so schnell wie möglich hinter uns. Was hast du herausgefunden?“
Sie holte tief Luft und sah ihn mit festem Blick an: „Den Feststellungen der Rechtsmedizin zufolge handelt es sich bei dem Toten um einen Mann im Alter zwischen 25 und 35 Jahren, 180 cm groß und 80 kg schwer.“
Der Tote war scheinbar in allem durchschnittlich: durchschnittlich schwer, durchschnittlich groß, mit einem durchschnittlichen Gesicht, das ihm im Dutzend an jeder Straßenecke der Stadt schon begegnet sein könnte. Dies war Roberts erster Eindruck. Allerdings bedurfte es schon etwas Fantasie, um aus der aufgequollenen Masse überhaupt noch ein Gesicht erkennen zu können. Er musste sich überwinden, genauer hinzusehen.
„Konntest du die Identität des Mannes feststellen?“, erkundigte er sich.
„Leider nicht. Ich habe in seiner Kleidung keine personalisierten Dokumente gefunden, wenn du das meinst. Kein Pass, keinen Führerschein, keine Versicherungskarte. Aber es gibt natürlich einige interessante Hinweise, die in eine bestimmte Richtung führen könnten. Sein Schuh beispielsweise, ein Edelsneaker aus feinstem Leder.“ Sie schenkte Robert ein kurzes Lächeln, aber er spürte dennoch, dass sie im Geiste erkennbar ganz woanders war. Dann sprach sie weiter ohne dabei ihren sachlichen Ton zu verändern: „Der Name des Herstellers ist deutlich im Inneren des Schuhs zu erkennen: Dolce & Gabbana. Solch ein Paar kostet schon mal schlappe 350 bis 400 Euro. Zudem werden beispielsweise Edelsneaker aufgrund ihres meist deutlich höheren Ladenpreises vornehmlich von finanziell gut gestellten, modebewussten Erwachsenen in der Altersklasse zwischen 25 und 40 Jahren gekauft.“ Jetzt griff sie nach dem in einer Plastiktüte verpackten Schuh, der auf einem Beistelltisch abgelegt war. „Und betrachte mal die Sohle des Schuhs etwas genauer.“ Lin reichte Robert die Plastiktüte.
„Eine Ledersohle“, sagte Robert desillusioniert. „Was für ein Geheimnis hat sie uns noch zu erzählen?“
Sie zog den vom Meerwasser verquollenen Sneaker aus seiner Verpackung und drückte ihn Robert in die Hand. „Es sind kaum Kratzspuren auf der Sohle zu erkennen. Ein deutlicher Hinweis, dass der Schuh nur kurze Zeit getragen wurde.“
„Oder er wurde nicht auf einer Straße, sondern vielleicht nur auf Deck eines Schiffes getragen“, entgegnete Robert und sah sich das Exemplar von allen Seiten genauer an.
„Vielleicht. In der Regel zeigen sich die Besitzer solcher Luxusschuhe gern in einer angemessenen Umgebung, etwa auf Partys, genau dort, wo sie damit auffallen. Verstehst du? Die Latschen sollen gesehen werden.“
„Ist das nicht vielleicht eine – verzeih bitte – zu weibliche Sicht?“ Robert stellte den Schuh auf das Edelstahltischchen zurück. Dann dachte er kurz nach. „Könnte dieser Sneaker vielleicht nicht auch als Bordschuh auf einer Yacht benutzt worden sein? Straßenschuhwerk ist ja auf diesen Segelschiffen reichlich verpönt, soviel ich weiß. Sie würden die edlen Holzböden der Decks ruinieren.“
„Durchaus möglich, eine Luxusyacht käme sicher auch infrage. Das könnte auch den fehlenden Abrieb erklären. Aber ich bleibe dennoch bei meiner Eitelkeitstheorie. Dieser Mann hier hatte zu seinen Lebzeiten einen ausgeprägten Hang zu Luxusartikeln. Dies zeigt sich auch bei dem nächsten Gegenstand.“
Jetzt hielt Lin dem Kommissar eine weitere Plastikverpackung hin. Darin befand sich die Armbanduhr. Robert reagierte nüchtern.
„Ja, die Reverso Gran` Sport ist mir auch schon am Fundort auf dem Kutterdeck aufgefallen.“
„Ahhh, da zeigt sich der kriminalistische Fachmann. Kompliment, Robert Rieken.“ Sie blinzelte und konzentrierte sich dann wieder auf die Uhr. „Es ist ein schon etwas älteres Modell, vielleicht aber auch eine Imitation, so genau kenne ich mich da nicht aus. Fakt ist: Diese Armbanduhr ist am 20. Juni um 8 Uhr 35, also vor über einem Monat stehengeblieben. Wie gesagt, es ist eine Automatik, die sich durch Körperbewegungen selbst aufzieht. Allerdings hat das Ding wahrscheinlich einen Schlag abbekommen. Die Automatik funktioniert nicht mehr und das Saphirglas ist zersprungen. Der Hersteller garantiert bis auf 50 Meter absolute Wasserdichtheit. Händlerpreis: ca. 4.900 Euro. Mehr kann ich dir darüber beim besten Willen nicht sagen.“
„Mich würde auch viel mehr die Todesursache interessieren.“
Lin wurde wieder ganz sachlich: „Tod als natürliche Ursache beim Baden oder Schwimmen, negativ. Wer geht schon mit seinen teuren Lederschuhen ins Wasser. Herzinfarkt, epileptischer Anfall, Hirnblutung, rupturierte Aneurysmen, alles negativ. Der Mann war genauso fit wie sein eigener Schuh. Allerdings, einen Selbstmord kann ich nicht mit hundertprozentiger Sicherheit ausschließen. Deshalb wollen wir uns die Leiche etwas genauer ansehen. Ich hatte ja bereits angekündigt, der Tote hätte noch so einiges zu erzählen.“
Robert öffnete den Mund, um etwas zu sagen, überlegte es sich dann offensichtlich anders und bemerkte stattdessen: „Du erinnerst mich ein wenig an Gottfried Benn, der übrigens ein Kollege von dir war. Du pflegst, genau wie der Dichter, auf eine lyrische Art, durch die Blume zu sprechen.“
Ihre Augenbrauen schossen in die Höhe.
„Das erklärt sich durch meine asiatische Herkunft fast von selbst. Aber glaube mir, mit Benns Dichtkunst hat das leider nur sehr wenig zu tun. Dieser Mann hier auf dem Seziertisch war zu seinen Lebzeiten bestimmt kein Bierkutscher. Dieser Mann wollte immer obenauf schwimmen. Tja, jedenfalls bis zu seinem letzten Atemzug ist ihm das ja auch geglückt.“
„Selbstmord СКАЧАТЬ