Block 4.2. Eric Scherer
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Название: Block 4.2

Автор: Eric Scherer

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783746780184

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      „Da ist ein Unfall passiert. Ein Auto ist von der Straße abgekommen und hat sich überschlagen. Bitte schauen Sie da mal nach. Schnell.“

      Die Namen der beiden Ortschaften, zwischen denen der Unfall geschehen sein soll, vermag Lea allerdings nicht zu entschlüsseln. Da muss sie Hoffmann fragen. Der natürlich erst einmal herzhaft lacht, als Lea die Namen, die die junge Frau benutzt hat, in der regionalen Mundart wiederzugeben versucht. Dieses Vernuschelte, das mehr gebrummt als sonstwas daherkommt, das ganze Silben einfach verschluckt, nicht zwischen „ch“ und „sch“ unterscheidet, aus einem „K“ mit Vorliebe ein „G“ macht und Laute wie „F“ am liebsten gar nicht bildet, weil diese Waldbewohner das Zusammenspiel zwischen Zähnen und Lippe als lästig empfinden. Hoffmann vermag das nach seinem Heiterkeitsausbruch jedoch zu übersetzen, jetzt weiß Lea Bescheid.

      Mehr hat die junge Frau am Telefon nicht gesagt. Auf die Frage, wer sie sei, hat sie aufgelegt. Wollte anonym bleiben.

      Und was sagen diese dürftigen Informationen einer Ersten Polizeihauptkommissarin nun?

      Leas Vermutung, die aufgrund ihrer Erfahrungswerte mit einiger Wahrscheinlichkeit zutrifft: Die junge Frau saß auf dem Beifahrersitz des Unfallverursachers, wahrscheinlich ein junger Mann, wahrscheinlich alkoholisiert, wahrscheinlich mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs. Der raste wahrscheinlich einfach weiter, nachdem er den Wagen, der sich dann überschlagen hatte, von der Fahrbahn gerammt hatte. Oder gedrängt. Oder was auch immer.

      Die junge Frau verfolgte das Geschehen wahrscheinlich auf dem Beifahrersitz und war wohl erst einmal starr vor Schreck. Mit zunehmender Dauer der Weiterfahrt aber begann sie die Ungewissheit zu plagen, was denn aus den Insassen des verunglückten Wagens geworden sein könnte. Den Fahrer dagegen kümmerte dies weniger, der wollte nach dem Vorfall nur noch seine Promille nach Hause fahren und sich zur Ruhe betten. Und morgen weitersehen, wenn der Alkohol abgebaut war, denn dies muss stets das erste Gebot sein, ehe man in diesen Breiten gegebenenfalls die Polizei einschaltete. Vermutlich lebt er mit der jungen Frau noch nicht zusammen. Er setzte sie zu Hause ab, nuschelte noch irgendwas, sie solle sich keine Gedanken machen, es wäre schon alles in Ordnung, er kümmere sich, und brauste davon. Mit sich allein, wurde die junge Frau alsbald noch heftiger von Gewissensbissen geplagt, sodass sie schließlich die Polizei anrief. Anonym, weil sie ihren Freund nicht rein reißen wollte, ihren „Stecher“, wie die Jungs sagen würden.

      Der hirnlose Macho hinterm Steuer und die Frau mit dem weichen Herzen auf dem Beifahrersitz. Die guten alten Rollenklischees, wenn sie sich irgendwo bewahrt haben, dann hier, hinter den sieben Bergen, bei den sieben Zwergen. Das weiß niemand besser als eine Erste Polizeihauptkommissarin, die in diesem Wald Dienst tut. Erfahrungswerte.

      Und nun?

      Soll sie einen Rettungsdienst verständigen, damit dieser mal nachschaut? Es könnte schließlich um Leben und Tod gehen, wenn der Wagen sich tatsächlich überschlagen hat und die Insassen verletzt sind … Doch wie wahrscheinlich ist es, dass alle Insassen des Wagens so schwer verletzt sind, dass sie bislang selbst noch keinen Notruf absetzen konnten?

      Ist es nicht vielleicht wahrscheinlicher, dass alles vielleicht gar nicht so schlimm war, wie die junge Frau glaubte, es wahrgenommen zu haben? Dass der Wagen sich vielleicht gar nicht überschlagen hat, sondern nur ein paar Meter ins Feld gefahren ist, die Insassen dann ein paar Mal ordentlich geflucht, sich dann aber aus dem Staub gemacht haben, weil sie ihrerseits nichts mit der Polizei zu tun haben wollten, da sie ebenfalls stark alkoholisiert waren, also „die Heef“ hatten, wie die Jungs sagen würden?

      Auch diesbezüglich hat eine Erste Polizeihauptkommissarin so ihre Erfahrungswerte.

      Die motorisierte Dorfjugend in diesen Breiten schüttet an Wochenenden mindestens ebenso viel Alkohol in sich hinein wie Benzin in ihre scheiß Dreier-BMWs oder was auch immer. Immerhin sozialisiert sie sich noch wie ihre Vorväter, kommt an Wochenenden zusammen, um sich gemeinschaftlich zu besaufen und oder in den Fortpflanzungswettstreit zu treten. So war es schon immer und so wird es hier auch immer sein. Anderswo tendiert die derzeit nachwachsende Generation dagegen dazu, vorm heimischen Computer sitzenzubleiben und sich während des mitternächtlichen Pornoseitenstudiums zu Tode zu masturbieren.

      Also, Lea, sei froh und dankbar für die, die dir noch etwas zu tun geben in diesen endlosen Nachtdiensten, vorzugsweise an Wochenenden.

      Die Frage bleibt: Und nun?

      Das Beste wäre, eine Streife zu verständigen, damit die am angegebenen Ort mal nachschaut. Das Problem: Es ist gerade keine Streife unterwegs. Gerade sind die Pizzen eingetroffen, die die Jungs geordert haben. Jetzt ist die gesamte Schicht im Aufenthaltsraum am Spachteln. Drum sitzt Lea ja am Telefon. Sie hat keine Pizza gewollt, wie immer. Das zeugt natürlich nicht unbedingt von Sozialkompetenz, ein guter Vorgesetzter verputzt auch mal Pizza mit seiner Mannschaft, aber sie verträgt so etwas Schweres und Fettes so spät am Abend nicht, und überhaupt, einer muss ja Telefon und Funkanlage im Blick behalten. Doch jetzt in den Aufenthaltsraum zu gehen und zwei zu bestimmen, die rausfahren und diese anonyme Unfallmeldung überprüfen, bekäme ihrer Sozialkompetenz noch weniger. Denn der gemeinschaftliche Pizzaverzehr der diensthabenden Schicht am späten Samstagabend ist ein Ritual, das nicht gestört werden darf.

      Es ist sogar mehr als das, es ist die Bestimmung dieser Jungs: Sie kämpfen für Recht und Pizza.

      Das ist der Satz, den Lea sich aus dieser Zeichentrickserie behalten hat. Sie schaute sie vor Jahren mit ihrem kleinen Neffen Nils, wenn ihr Bruder sie als Babysitter angeheuert hatte. Der sogar noch die Dreistigkeit besaß, ihr zu beteuern, er frage gar nicht mal aus Verzweiflung, niemanden sonst zu wissen, der auf seinen kleinen Sohn aufpasse, er könne jederzeit für kleines Geld eine Studentin dafür gewinnen – er hoffe vielmehr, Lea „auf den Geschmack“ zu bringen, eigene Kinder in die Welt zu setzen, wenn er sie hin und wieder einen Abend auf Nils aufpassen lasse … Arschloch. Tatsächlich war dieser fette, quengelige, immerfort lärmende Balg das denkbar beste Argument gegen eigene Kinder, eigentlich nur ruhigzustellen mit Ramsch aus der Glotze.

      Also sedierte Lea den kleinen Nils mit Zeichentrickserien, die sie dann notgedrungen selbst mit anschauen musste. Und eine davon waren die „Samurai Pizza Cats“. Hauptfiguren waren drei fette japanische Katzen, die in einem futuristischen Tokyo eine Pizzeria betrieben, allerdings nur zur Tarnung, denn tatsächlich waren sie Superhelden, die, sobald ihre Welt von Unholden bedroht wurde, zum Samuraischwert griffen. Lea kennt sogar ihre Namen noch: Speedy Gorgonzola, Guido Casanova und Polly Ester. Zu Beginn jeder Folge stellte eine markige Stimme aus dem Off das Trio vor und erklärte dem Betrachter: „Sie kämpfen für Recht und Pizza.“

      Der Satz hat sich in Leas Hirn gebrannt, und schon oft hat sie sich verflucht, weil ihr solche Unsinnssätze nachhaltiger im Gedächtnis bleiben als wirklich wichtige Dinge. So kann sie sich beispielsweise die PIN-Nummer ihrer EC-Karte gerade so merken, nicht aber die ihrer VISA-Karte. Dafür käut ihr Hirn jedes Mal diesen Satz wieder, wenn sich die Jungs ihrem Pizzaritual hingeben. Und wenn sie zum Essen auch noch ihre Schutzwesten anbehalten, was erstaunlich viele tun, erinnern sie noch stärker an die fetten Katzen in ihren kybernetischen Schutzanzügen, nur die Samuraischwerter und die Stirnbänder fehlen.

      Manchmal träumt Lea davon, an dem Tag, an dem die Jungs ihre Art von Humor zu verstehen gelernt haben, im Aufenthaltsraum ein Transparent aufzuhängen, auf dem steht: „Sie kämpfen für Recht und Pizza.“

      Und noch immer schwebt die Frage im Raum: Was nun?

      Es hilft nichts: Das Beste wird sein, sie fährt selbst raus und checkt die anonyme Unfallmeldung. Vielleicht liegt da tatsächlich ein Unfallopfer in seinem Blut. Wäre der Anruf drei Minuten später gekommen, hätte sie Stolte damit beauftragen können. Der nämlich hat sich gerade zur Tanke aufgemacht, weil der СКАЧАТЬ