Название: Block 4.2
Автор: Eric Scherer
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783746780184
isbn:
Doch, so naiv ist sie gewesen, damals.
Und heute? Fühlt sie sich der Jungfrau von der Wegelnburg am nächsten, mit deren Geschichte sie einer der wenigen Verehrer zu betören versuchte, die auf den Plan traten, seit sie sich am Busen der Natur niedergelassen hat. Der Jungfrau von der Wegelnburg sei zu Lebzeiten nie einer recht gewesen, erzählte der passionierte Heimatkundler. Keiner ihrer Freier war ihr gut genug, und es waren nicht wenige, die um sie warben. Drum starb sie unbegattet, und zu allem Überfluss wurde sie auch noch mit einem Fluch belegt, als sie das Zeitliche segnete. Sie musste fortan umgehen, und zwar gleich in drei verschiedenen Gestalten: Mal als warzige Kröte, mal als furchterregende Schlange und mal als die wunderschöne Jungfrau, die sie zeitlebens gewesen war. Erlösen von dem Fluch konnte sie nur, wer es wagte, sie in allen drei Erscheinungsformen zu knutschen, doch da sich nie jemand fand, der sich dazu überwinden konnte, streift die Jungfrau von der Wegelnburg noch heute durch die Wälder ...
Eine gar nicht so blöde Geschichte eigentlich, um ein weibliches Zielobjekt willfährig zu quatschen. Doch Lea nahm den Heimatkundler nicht bei der Hand und führte ihn ins Schlafgemach, um ihm zu zeigen, dass sie die Botschaft verstanden hatte, dazu erschien ihr die Absicht dann doch zu durchsichtig. Mittlerweile aber fühlt sie sich der Jungfrau von der Wegelnburg näher denn je. Sie müsste schon in ihren sämtlichen Erscheinungsformen geküsst werden, um ihr Herz zu verlieren. Doch die Chancen stehen schlecht, denn sie präsentiert sich bisweilen in Erscheinungsformen, die will garantiert keiner küssen..
Ob sie heute Nacht auch umgeht, die Schwester im Geiste, sie sie vielleicht gerade beobachtet, aus dem schwarzen Wald heraus?
Du verträumte dumme Gans, um ein Haar hättest du glatt das Fahrzeugwrack übersehen, über das der Lichtkegel deiner Handlampe soeben geglitten ist.
Tatsächlich. Da liegt er, der Unfallwagen. Und seine Schweinwerfer glotzen dich an wie die toten runden Augen einer Kuh, die sich nach einem letzten Grasen einfach zur Seite fallen ließ, um vor ihren Schöpfer zu treten.
Ein kastenförmiger, japanischer Kleinbus. Nicht, dass Lea Autoästhetin wäre, aber viel Hässlicheres knoddelt sich hierzulande kaum durch den Straßenverkehr. Sieht nicht sonderlich zerbeult aus. Das macht Lea Hoffnung, dass sich vielleicht niemand mehr im Fahrzeuginneren befindet. Kein Schwerverletzter, der komatös vor sich hinblutet, und auch keiner, der bereits alles hinter sich hat. Hat Lea schließlich schon alles gesehen, nach über einem Dutzend Dienstjahren. Das sind Anblicke, die nie so ganz selbstverständlich werden.
Sich die Handlampe neben ihr Gesicht haltend, tritt sie näher. Tatsächlich, der Fahrersitz ist leer, der Beifahrersitz ebenfalls. Als sie den Wagen erreicht, versucht sie, die seitliche Schiebetür zu öffnen, die nun nach oben zeigt. Klappt nicht. Also leuchtet sie durchs Seitenfenster hinein, um sehen zu können, ob sich jemand auf den hinteren Sitzreihen befindet. Auch das ist nicht der Fall.
Die verunfallten Fahrzeuginsassen haben den Wagen also verlassen und sind mit hoher Wahrscheinlichkeit wohlauf, mehr oder weniger jedenfalls. Und sie waren geistesgegenwärtig genug, die Karre wieder abzuschließen, bevor sie sie herrenlos zurückließen.
Und sie haben weder Polizei noch Notarzt noch Feuerwehr gerufen.
Was schließt die erfahrene Erste Polizeihauptkommissarin daraus?
Die Unfallopfer waren genauso breit wie der Unfallverursacher. Drum sind sie nach dem Crash erst einmal nach Hause, um ihren Rausch auszuschlafen, bevor sie weitere Schritte unternehmen. Die vermutlich so aussehen, dass sie nach ihrer Ernüchterung zu ihrem Fahrzeug zurückkehren, um es zu bergen, heimlich, still und leise, weswegen dies mit Bordmitteln erledigt wird. Mit Vettern und Neffen im Schlepptau, die den Wagen aufstellen können, und einem Großonkel, der eine Seilwinde an seinem klapprigen Geländewagen hat. Oder der für diesen Sondereinsatz den alten Trecker aktiviert, der auf seinem Grundstück vor sich hinrostet und Öl verliert.
Ließe Lea die Sache nun einfach auf sich beruhen, könnte sie sicher sein: Wenn sie morgen Abend hierher zurückkehrt, ist diese blecherne Fehlgeburt spurlos verschwunden. Sogar das Wiesengras hätte sich zwischenzeitlich wieder aufgestellt.
Also könnte Lea jetzt einfach zur PI zurückfahren und bis zum Ende ihrer Schicht die Füße unter den Tisch strecken, und morgen wäre wieder alles so, als ob nichts geschehen wäre. Doch so einfach will sie es dieser versoffenen Brut nicht machen. Sie fasst an ihr Funkgerät, das in der Höhe ihres rechten Schlüsselbeins hängt, und lässt den Halter des Fahrzeugs feststellen.
+ + +
„Wieder mal besoffen, und zugekokst wahrscheinlich auch. Einfach nicht zu fassen. Was war das mal für ein Sportler. Eine Schande.“
Albin kann nur die Stimme des Polizisten hören, der da gerade redet, sich aber lebhaft ausmalen, wie dieser gerade den Kopf schüttelt. Er sitzt im Flur der Polizeiwache, vor kahlen Wänden, die nach Gips riechen. Neben ihm Anton, der wieder weggedämmert ist. Hoffentlich war das Bier nicht zu viel für ihn. Aber was hätte Albin sonst tun sollen, um ihn zu beruhigen? Er tut das alles doch nur wegen Anton. Weil der nicht uff de Betze will, sondern muss.
Die Tür rechts neben der Bank, auf der Albin und Anton sitzen, steht offen. Er führt zum Aufenthaltsraum der diensthabenden Polizisten. Zwei von ihnen unterhalten sich angeregt über die soeben eingetroffene Kundschaft. Der Champ ist schließlich ein guter Bekannter.
„Der Bimbo würd den mittlerweile glatt umhauen“, sagt der, der gerade den Niedergang des Champ bedauert hat.
„Der Bimbo? Glaub ich nicht.“
„Du hast keine Ahnung.“
Den Champ hat der rothaarige Beamte in den Raum auf der gegenüberliegenden Seite des Ganges geführt. Den Vernehmungsraum vermutlich. Dessen Tür ist verschlossen.
Zu verstehen ist von der Vernehmung nichts. Nur wenn der Champ die Stimme hebt, dringt diese bis auf den Flur hinaus. Ihr Tonfall ist klagend, was genau der Champ sagen will, kann selbst Albin nicht heraushören. Der Champ hat nun einmal seine eigene Sprache, und selbst wenn er sie für fremde Ohren wenigstens ansatzweise ins Hochdeutsche modulieren könnte: Länger zurückliegende Handlungsabläufe darzustellen, das ist erst recht nicht seine Sache, da fängt er an zu stammeln, aus Hilflosigkeit eigentlich, aber wer außer Albin weiß das schon.
Wenn der Champ sich zu Unrecht beschuldigt fühlt, versucht er zunächst, seine Formulierungsschwäche mit Lautstärke zu überspielen. Irgendwann fängt er an zu schreien, und wenn er dann weiter genötigt wird, auszudrücken, was er nicht auszudrücken vermag, kann er bald nicht mehr, dann muss er körperlich reagieren. Zunächst wirft er etwas an die Wand oder tritt gegen einen Stuhl, und wenn er dann immer noch nicht in Ruhe gelassen wird, schlägt er zu. Nicht, weil er übermäßig aggressiv ist, sondern weil er verzweifelt ist, weil es schlussendlich seine Art ist, sich auszudrücken, sein letztes Mittel der Kommunikation.
Doch das weiß wirklich niemand außer Albin. Schon gar nicht der rothaarige Polizist, für den mit jeder Frage, die den Champ rhetorisch überfordert, ein Schlag ins Gesicht näher rückt.
Und wenn der Champ erst einmal angefangen hat zu schlagen, ist alles zu spät. Er wird erst den rothaarigen Polizisten niederschlagen, СКАЧАТЬ