Schnee von gestern ...und vorgestern. Günther Klößinger
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Название: Schnee von gestern ...und vorgestern

Автор: Günther Klößinger

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783737520829

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СКАЧАТЬ die Steigerung betonen!“

      „Dann spiel doch eins!“, meinte Jessy lakonisch.

      „Sehr witzig“, gab Robert an seine Freundin zurück, „so weit bin ich vielleicht in fünf Jahren. Aber du könntest die Melodie noch mal instrumental durchziehen.“

      „Dadurch wird sie auch nicht besser!“, mischte sich Nick ungewohnt destruktiv ein. Ein wütender Seitenblick von Jasmin war die Folge.

      „Außerdem bringt das auch keinen Kick!“, stellte Jessy fest. „Ist ja auch nur ’ne Wiederholung! Da könnte Jassy gleich weitersingen.“

      „Wenn euch mein Gesang nicht passt, kann ich ja gehen!“, fauchte diese und konnte ihre Wut jetzt nicht mehr zurückhalten.

      „Ganz cool bleiben, Jassy“, schaltete Robert auf Versöhnung, „aber wir haben ein Problem: Jessys Keyboard als einziges Melodie-Instrument nutzt sich auf Dauer ab. Kannst du nicht vielleicht mal ’n Gitarrensolo kreieren?“

      Jasmin atmete resigniert aus, zuckte mit den Schultern und sagte leise: „Die Chancen dafür stehen so günstig wie für deinen Egotrip auf den Drums, Robby!“

      Schweigend standen und saßen die vier Musiker auf der kleinen improvisierten Bühne. Der Dunst ihrer ersten künstlerischen Krise breitete sich unbarmherzig im Raum aus. Jasmin spürte Wut, Angst und Verzweiflung in der Magengegend kribbeln. Die Kloßfabrikation im Hals war in vollem Gange und Tränen brannten ihr in den Augen. Die Band war ihr wichtiger als alle anderen Hobbys. In ihren Songs konnte Jasmin manchmal mehr ausdrücken als in einem Face-to-Face-Gespräch. Sie wollte eben zu einer Grundsatzrede ansetzen, wie viel ihr die Gruppe wert war, da spürte sie, wie sie sanft zur Seite gedrängt wurde.

      „Yasemin, was hast du ...?“, hob Jassy an, aber das kurdische Mädchen fragte nur: „Habt ihr noch ’nen Anschluss frei?“

      Erst jetzt bemerkte Jasmin das birnenförmige Instrument, das Yasemin in der Hand hielt.

      „He, Mann, ’ne Bouzouki!“, stellte Robert fest.

      „Quatsch mit Soße“, korrigierte ihn Jessica, „das ist ’ne Saz! Ist total verbreitet in der türkischen Musik!“

      „Und erst recht in der kurdischen!“, fügte Yasemin hinzu, griff sich ein herumliegendes Kabel und schloss kurzerhand ihren Tonabnehmer an.

      „Gib Saft auf Kanal 9!“, wies Robert Mehmet an. Ohne weitere Absprachen spielte er den Schlagzeugbreak, der „Dangers for Strangers“ üblicherweise eröffnete. Jasmin setzte mit dem Gitarrenvorspiel ein, und als Bass und Keyboards den Harmonieteppich ergänzten, begann sie zu singen: „This song’s for you, Alina – I’ll never forget your loving smile ...“

      Yasemin lauschte, saugte Melodie und Harmonik in sich auf. Im Geist glitten ihre Finger bereits über die Seiten der Saz, lauerten auf ihren Einsatz – jenen Part, der immerhin so entscheidend war, dass er fast die Gruppe auseinandergesprengt hätte.

      „Sometimes I see the traces of her tears ...“

      Yasemin verstand nicht alle Worte, aber in Jasmins Stimme und der Melodie fühlte sie eine Energie, die sie in ihre Finger übertragen wollte.

      „She can’t forget her home, the friends she left behind …”

      Diese Textzeile berührte Yasemin zutiefst. Und da waren sie wieder: ihr Vater, ihre Mutter, Freunde und Freundinnen von damals.

      „When will she ever have a home?“

      Trotz der Erinnerungen ging Yasemin in der Musik auf und schließlich kam er: der Break, an dem sie einsetzen musste. Punktgenau erklangen die ersten Töne, zunächst noch zart, fügten sich in die europäisch-poppige Harmonik ein, nahmen Elemente der Melodie auf. Dieser erste Durchgang des Schemas war sanft und zurückhaltend gespielt, wie die Strophen zuvor.

      Die Melodie schrieb Yasemin mit ihren Fingern auf die Bünde und Saiten ihrer Saz. Die Töne, die aus den Boxen klangen, trafen sie plötzlich und unerwartet mitten ins Herz. Wieder durchfluteten Bilder das Mädchen: die Erinnerung, wie der Vater ihre noch kleinen Finger auf die Saiten einer Saz legte und ihr zeigte, wie sie das Instrument halten musste. Dieses Lächeln würde sie nie vergessen und auch nicht den stolzen Blick ihrer Mutter, als sie erste Kinderlieder begleiten konnte.

      Robert legte eine härtere Gangart ein, Jessica wechselte zu einem etwas schrilleren Sound, Jasmin zupfte die Gitarre nicht mehr, sondern ging zu einem treibenderen Schlagrhythmus über, Nicks Bass spielte nun Achtel- statt Viertelnoten.

      Yasemin ließ die Töne einfach in ihre Finger gleiten. Orientalisch anmutende Verzierungen bereicherten jetzt den Rocksound. Das Tempo wurde angezogen. Auch die Bilder veränderten sich: Harmonische Szenen aus der Familie und vom Spiel mit anderen Kindern wurden weggewischt wie Kreidekritzeleien auf einer Schultafel. Ein Crescendo von Becken und Toms öffnete ein dunkleres Erinnerungsalbum – Flucht! Vater und Mutter bleiben zurück. Angst, Kälte. Das Geschaukel des Lastwagens. Wieder Angst, Panik, endlose Trauer. Ihr Plektrum strich nicht mehr über die Saiten, es schlug sie hart an, riss fast an ihnen.

      Jessica erweiterte ihre Grundharmonien um die Töne, die Yasemin in die Melodie eingeflochten hatte. Die Saz sang laut und ohne Worte von Verzweiflung, Furcht und Abscheu.

      Widerwärtige Szenen überschlugen sich in Yasemins Kopf: „Du willst doch sicher nicht, dass ich die Polizei rufe, Mädchen? Die würden dich bestimmt nach Hause bringen. Aber sieh mal: Mein kleiner Freund braucht dich und du brauchst mich.“ Sie erinnerte sich an alkoholgedünsteten Schweiß, hatte den unerträglichen Geschmack schleimigen Ejakulats auf der Zunge, spürte die groben, pratzenhaften Hände auf ihrem Hinterkopf, die ihr Gesicht wieder und wieder in den stinkenden Schoß des Alten drückten.

      Eine dunkle Harmonie schlich sich in das aggressive Solo – damals hatte Yasemin sich gewünscht, zu sterben. Als der Widerling dann abspritzte, wollte sie, dass er starb.

      Ihr Puls passte sich dem rasenden Beat des Schlagzeugs an. Die Vergangenheit tobte in ihr, schien aus allen Poren herauszudringen. Diese Spannung wurde für Yasemin auch körperlich immer unerträglicher. Ja – sein Griff hatte sich gelockert, sie hatte sich losreißen können, ihm sein eigenes Sperma ins Gesicht gespuckt. Danach gab es nur noch eins: rennen!

      Jessica hämmerte einen Gegentakt zu dem alles beherrschenden Beat. Robert trieb die Rhythmik unbarmherzig voran. Yasemins Greifhand wechselte in die höchsten Lagen des Griffbretts, Mehmet schaltete einen Effekt zu und verwandelte den Klang der Saz so in den Sound einer Heavy-Metal-Screamer-Gitarre.

      Die Töne erzählten eine Geschichte, brutal und schnörkelllos. Im Zentrum der Story stand zweifellos Yasemin selbst.

      Fliehen war alles, was ihr noch geblieben war: rennen, davonlaufen. Immer wieder irgendwelchen Menschen vertrauen müssen, ohne eine Wahl zu haben. Sich verstecken lassen. Wieder und wieder. Viele nette, liebe und liebevolle Gesichter. Viel Aufmunterung hatte sie erfahren, aber auch ausgeliefert sein, Schläge und Vergewaltigung. Spüren, dass man nur ein Wegwerfprodukt war, etwas, das jeder wie benutztes Klopapier einfach aus seinem Leben spülen konnte. All das hatte sie durchlebt und gefühlt. Und sie glaubte nicht, dass diese Zerrissenheit je enden würde. Nicht für sie.

      Die treibende Energie des Schlagzeugs, das Hämmern des Keyboards, das Wummern des Basses und der unbarmherzige Drive der Gitarre waren nicht mehr um sie herum: Alles war in ihr, sie war in allem. Sie drohte zu fallen, in einen endlosen Strudel aus Abschaum und Erniedrigung. Verschlungen von einem Fisch, der sie СКАЧАТЬ