Schnee von gestern ...und vorgestern. Günther Klößinger
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Название: Schnee von gestern ...und vorgestern

Автор: Günther Klößinger

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783737520829

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СКАЧАТЬ gut, würde Mehmet jetzt sagen!“, flüsterte das Mädchen.

      Nick stellte erleichtert fest, dass sich aus ihrer trauernden Gestalt wieder jene Yasemin schälte, die für jeden Scherz zu haben war. Oder mit ihren flotten Sprüchen alle zum Lachen brachte und es spielend schaffte, jedem die Show zu stehlen. Und das, ohne dass der Bestohlene wirklich böse auf sie sein konnte.

      Wieder schwiegen sie für einige Sekunden. Yasemin packte einen Kaugummi aus, steckte ihn in den Mund und begann schon nach wenigen Augenblicken mit ihrer Blasenproduktion.

      „Das war vorhin echt der Wahnsinn!“, fing Nick an, doch ein fragender Blick von Yasemin ließ ihn innehalten. „Na, dein Solo! Du bist genau die Musikerin, die uns fehlt! Willst du nicht bei uns einsteigen?“

      Yasemin erstarrte. Ihr Lächeln schien nun leblos, als habe es ein dilettantischer Skulpteur in Stein gemeißelt. Sie spuckte den Kaugummi ins Gras und sah zu Boden, als suche sie einen Souffleur.

      Nicks Herz begann wild gegen den Adamsapfel zu trommeln. Irgendetwas lief hier schief, aber er konnte nicht sagen, was.

      „Wie stellst du dir das vor?“, fragte Yasemin.

      Ihre Stimme erzeugte in seinem Magen den Nachgeschmack konservierter Traurigkeit.

      „Ich bin illegal hier, Nick. Soll ich immer mit Gesichtsmaske auftreten? Als wen stellt ihr mich vor? – ,An der Saz: das Gespenst aus dem wilden Kurdistan‘?“

      Yasemin hielt inne. Die Musik war ihr Ein und Alles. Dabei wusste sie noch nicht einmal, wo ihre Virtuosität herrührte. Ihre Fingerfertigkeit war antrainiert, klar, aber es war die Seele ihrer Melodien, die jeden Zuhörer stets anrührte. Sie schloss die Augen: Ihre flinken Finger erzählten nur Yasemins eigene Geschichte. Sie benutzten das Griffbrett der Saz eher wie eine Schreibmaschine und fanden so Wörter und Sätze, die kein Songtext, kein Gedicht oder Roman treffender zum Ausdruck bringen konnte.

      Nick, der eher ein Künstler der Worte war, verspürte das dringende Bedürfnis, seine Betroffenheit darzulegen, seine Sprachlosigkeit in Prosa zu verwandeln. Angesichts der bedrückenden Wirklichkeit des Wortes „illegal“ verbot sich aber jegliche Blumigkeit: Das hier war kein Schwarz-Weiß-Film, den man mit einem Computerprogramm bonbonfarben nachkolorieren konnte. Dies war trübe, graue Realität. Performance, die keine Show werden konnte oder gar durfte.

      Beide lehnten noch eine Weile schweigend an der Scheunenwand. Sie vermieden es tunlichst, sich gegenseitig anzusehen und damit Worte herauszufordern. Eine Zeit lang hätte man die zwei für Standbilder halten können, die allerdings bald von einigen herabrieselnden Regentropfen zum Leben erweckt wurden.

      Der plötzlich hereinbrechende Sturm hatte das „Joli Bois“ im Nu in ein „Triste Bois“ verzaubert. Die Gäste, die im Garten gesessen hatten, hatten ihr Heil in der Flucht Richtung Lounge gesucht. Ein tropfender Fox und eine triefende Ilka standen ebenfalls in dem dampfenden Speisesaal. Ihre langen Gesichter waren wie Abziehbilder des Mienenspiels aller anderen Gäste, die dem Schauspiel aus Wind und Wasser durch regenverhangene Scheiben zusahen.

      Lediglich Monsieur Nocturne stand nicht am Fenster, sondern hatte sich an einem der Tische niedergelassen. Er schien sich erneut in die Lektüre seiner Zeitung zu vertiefen, wobei ihm das Umblättern der durchweichten und somit verklebten Seiten schwerfiel.

      „Na, na“, dachte Fox, „ist das Käseblatt wirklich so interessant oder schirmst du dich bloß ab, Junge? Oder observierst du wie der selige Sherlock Holmes durch ein Loch im Papier?“

      Ilka strich sich gedankenverloren Wasser aus den Haaren. Plötzlich hielt sie inne. Ihr Blick war auf die kleine Bedarfsgarderobe gefallen. Sie stutzte und stieß Fox sachte an.

      „Was gibt’s, Kätzchen?“, wandte der sich von Nocturne ab.

      „Schau mal, was da an dem Kleiderhaken hängt!“, flüsterte Ilka Prancock zu. Sie war so offensichtlich um Unauffälligkeit bemüht, dass einige der herumstehenden Gäste ihr und Prancock neugierige Blicke zuwarfen.

      „He, ist das mein Trench?“, flüsterte Fox zurück. Er war leicht verwirrt und hatte keinen blassen Schimmer, was seine Freundin ihm mitteilen wollte.

      „Quatsch“, gab diese leise zur Antwort, „da würde nicht mal dein Bauch reinpassen ...“

      Fox konnte es sich angesichts dieser Frechheit nicht verkneifen, Ilka mit dem vernichtendsten seiner Blicke zu bedenken. Diesen setzte er ansonsten höchstens bei der Verhaftung von Serienmördern ein.

      Sie fuhr allerdings unbeirrt fort: „Der hängt schon seit gestern unverändert da. Genauer gesagt, seit wir angekommen sind!“

      Der große Kriminalist wollte natürlich sofort auf die geringe Bedeutsamkeit einer solchen Beobachtung hinweisen. Er begann sich, soweit seine Undercover-Mentalität das zuließ, in Pose zu stellen. Doch noch bevor er loslegen konnte, rastete der von Ilka noch nicht einmal ausgesprochene Rückschluss mit einem „klick“ in seinem Secondhand-Stasi-Equipment ein: Ein Trenchcoat, der seine schlampige Aufhängung seit fast vierundzwanzig Stunden aufrechterhielt? In einer Bedarfsgarderobe? Das musste zwar nicht, konnte aber sehr wohl auf einen Gast hindeuten, der überstürzt aufgebrochen war – ja, das roch schon fast nach Panik! Denn wäre er einfach die ganze Zeit in der Pension geblieben, hätte er seinen Mantel bestimmt eher im Zimmerschrank gelassen.

      „Glückwunsch, Kätzchen! Gut erkannt – nur: Was stellen wir jetzt damit an?“

      Das Interesse der anderen Gäste war erloschen, sodass das allgemeine Gemurmel eine gute Tarnung für das Geflüster der beiden war.

      „Wart nur ab!“, sagte Ilka und hakte sich von Prancocks Arm los. Dann zwängte sie sich zwischen feuchten Menschen durch den dunstigen Raum zur Garderobe, nahm die Jacke kurzerhand vom Haken und schlüpfte hinein. Fox sah Ilka bewundernd nach. Es entging ihm allerdings auch nicht, dass Nocturne kurzzeitig das Interesse an den Schlagzeilen der Weltpresse verloren hatte und die Reporterin anstarrte.

      „He, der lässt ja fast die Maske fallen!“, stutzte Prancock, verscheuchte den Gedanken aber sofort wieder.

      Ilka setzte mittlerweile ein erstauntes Gesicht auf, sah demonstrativ auf das Firmenetikett des Trench und murmelte in bester Daily-Soap-Manier: „Oh, das ist ja gar nicht meiner!“ Sofort zog sie das Kleidungsstück wieder aus und hängte es an den Haken zurück, allerdings ungleich ordentlicher als zuvor. Nocturne blätterte weiter zu den Aktienberichten und widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Dow Jones.

      Ilka war zu Prancock zurückgekommen und zupfte ihn beiläufig am Ärmel. Fox verstand. Einen Augenblick lang taten sie noch so, als sei der mittlerweile nachlassende Regen das Interessanteste seit der Erfindung des Tamagotchi. Dann zogen sie sich auf ihr Zimmer zurück. Einem diensteifrigen Reflex folgend schloss Fox hinter ihnen ab.

      „Puh“, prustete Ilka heraus und ließ sich rücklings auf das Bett fallen, „so sehr hab ich schon lang nicht mehr Blut und Wasser geschwitzt!“

      „Nur wegen der Marke des Trenchcoats?“, fragte Fox.

      Gut, Ilka hatte das Kragenetikett der mysteriösen Jacke studiert. Das bedeutete, sie wusste nun, bei welcher Temperatur sie zu waschen war, sie kannte die Größe und den Hersteller. Falls ein Namensschild eingenäht war, hatte sie vielleicht erkannt, ob das Kleidungsstück Finkenwald gehörte oder auch nicht – aber weshalb „Blut und Wasser schwitzen“? Von Nocturne wusste sie noch nichts, also dürfte ihr dessen plötzliche Aufmerksamkeit СКАЧАТЬ