Schnee von gestern ...und vorgestern. Günther Klößinger
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Название: Schnee von gestern ...und vorgestern

Автор: Günther Klößinger

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783737520829

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СКАЧАТЬ Ilka“, dachte der Engländer, „jetzt will sie’s extra spannend machen für ihren alten Kriminalkommissar!“

      Ilka streckte ihm im selben Moment den Zettel entgegen. Er las die Botschaft, die jemand darauf gekritzelt hatte. Wie schon die Anschrift auf dem Kuvert, war sie augenscheinlich sehr hektisch zu Papier gebracht worden. Nun wusste er, dass er Ilkas Schauspielkunst überschätzt hatte. Es war echtes Entsetzen gewesen: Zwei Wörter starrten ihm entgegen und ihm war, als könnten sie ihn in jedem Moment anspringen. Die Nachricht war einfach, kurz, knapp und unmissverständlich: „Help me!“

      „Was war das denn für ein Flop? Noch immer keine Meldung im Radio, nichts im Polizeicomputer und dann faselst du noch was von Augenschmerzen!“ Das wütende Schaben der Zähne schien vom Kugelschreiber direkt auf den Hörer übergesprungen zu sein. Schnaubende Geräusche dröhnten wie Sturm aus der Muschel.

      „Hätte ich sie kaltmachen dürfen, hättest du jetzt deine Meldung!“, dachte der Anrufer. Diesmal war er sich sicher, dass die Lippen sich keinen Millimeter auseinanderbewegt hatten. Seine Rechte umkrampfte zittrig das Telefon, mit der anderen Hand presste er einen kalten Waschlappen auf das linke Auge.

      „Und was geht dort nun vor sich?“, bellte der andere aus dem Hörer.

      „Habe ich doch schon gesagt ...“

      „Alles etwas wirr, Mann!“

      „Also noch mal Klartext: Irgendwelche Kumpels dieser Göre renovieren ihr Haus ... jede Menge Türken, auch ein paar Schlitzaugen und Nigger. Dazwischen noch deutsche Jugendliche ...“

      „Und was war das mit dieser Musikkapelle?“

      „Keine Ahnung! Jedenfalls haben sie auch Gitarren und ein Schlagzeug in die Scheune geschleppt!“

      Beide schwiegen einen Moment. Die Frage, was die Sache mit den Instrumenten zu bedeuten hatte, wand sich unausgesprochen durch Telefonkabel und Gehirnströme. Aufgrund der verwirrenden Fakten bildete sich jedoch weder bei dem einen noch bei dem anderen Gesprächspartner ein Reim auf den Einzug einer Band. Das schabende Geräusch wechselte seine Intensität, als hätte jemand einen Schalter von „abwartend“ zuerst auf „energisch“ und dann auf „nervös“ gestellt.

      „Und was war das mit deinem Auge?“, fragte die Stimme aus dem Hörer.

      „Keine Ahnung! Ich hatte so ’ne Türkenschlampe im Visier. Weiß auch nicht, was die gerade so machte, fingerte mit irgendwas rum, hat vielleicht ’ne Zigarette gedreht oder so. Ein paarmal hat sie in meine Richtung geschaut ...“

      „Du hast dich also blicken lassen!“

      „Nein, die hat mich garantiert nicht gesehen! Mein Versteck war viel zu gut! Keiner hätte mich in dem dichten Gebüsch ausmachen können! Jedenfalls blitzte es auf einmal in meinem Feldstecher. Ein irres Licht hat mein Auge erwischt ...“

      „... und du hast bestimmt so gebrüllt, dass man dich noch zehn Kilometer weiter gehört hat!“, spöttelte der Chef bitter.

      „Aber nein“, log der Anrufer, „ich hab mich total zusammengerissen. Aber die Schmerzen sind ganz schön heftig!“, sagte er.

      Er bemühte sich, nur zu denken, dass er dem anderen mindestens die zehnfache Qual an den Hals beziehungsweise in den Augapfel wünschte. Eine kurze Gesprächspause entstand. Atem und Kaugeräusche am Kugelschreiber waren ruhig und gleichmäßig geworden. Die Vorstellung, einen Vorschlaghammer zu nehmen und dem großen Boss damit den Stift in den Hals zu jagen, war zu komisch. Der Anrufer hatte gewaltige Mühe, sein Lachen zurückzuhalten. Dann folgten zwangsläufig die inneren Filmclips, wie der Hammer das erstaunte Gesicht traf, wieder und wieder. In einer Schreckensstarre blieb der Körper aufrecht sitzen, als wollte er dazu auffordern: „Ja, weiter! Gib’s mir!“ Und dieser Wunsch sollte sich ihm erfüllen. Nur zu gerne. Wieder und wieder traf der Hammer den Kopf. Schließlich blieb nur eine unförmige Birne aus blutigem und haarigem Matsch übrig, aus der ein Kugelschreiber herausragte. Darauf war ein Auge gespießt.

      „Was gibt’s da zu lachen?“, drang die Stimme des Chefs an das Ohr des Anrufers. Dessen linke Hand ließ reflexartig den Waschlappen los und er legte sie auf seinen Mund. Das letzte Kichern erstickte. Überreste davon schluckte er hinunter wie modrige Medizin. Dann gab er seinen Mund wieder frei und sagte: „Nichts, nichts, Chef! Habe nur gehustet! Wie machen wir nun weiter?“

      Die Stimme am anderen Ende antwortete ruhig, doch ohne jedes Zögern: „Plan zwei!“

      „Jetzt schon?“, fragte er sich und sein Kichern erstarb. Warum nur waren dem Chef dieses Mädchen und der Hof so wichtig? Die Sache mit diesem Ibrahim war ganz einfach gewesen. Es hatte nur geheißen: „Mach ihn kalt!“ Dieses Mal lag der Fall ganz anders. Sicher, diese ausländerfreundliche Ziege hatte eine Lektion verdient, aber jetzt schon ...

      „Plan zwei!“, wiederholte er mechanisch.

      „Wo bleibt denn Jasmin?“, fragte Nick, während er „Volume“ an seinem Bassverstärker justierte. „Wir sind gleich fertig für den Soundcheck!“

      „Noch bei Jeannie!“, antwortete Jessica, ohne den Blick von den Tasten ihres Keyboards zu wenden.

      „Hätte ich mir ja denken können!“, murmelte Nick genervt in die nun ertönenden Bassläufe hinein. Der Sound war klar, das Warm-up konnte beginnen.

      „Was hättest du dir denken können?“, fragte Jessica zurück.

      „Dass sich das Ding hier in der feuchten Scheune andauernd verstimmt!“, klammerte sich Nick fast schon verzweifelt an seinen Bass.

      Jessys Finger hielten mitten in der Melodie von „Dangers for Strangers“, einem neuen Song von Jasmin, inne. Sie wandte sich Nick zu. Er tat so, als gäbe es für ihn im Moment nur die Saiten seines Instruments. Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte er aber Jessicas gerümpfte Nase. Er wusste genau, was diese Vokabel in der Körpersprache seiner Klassenkameradin zu bedeuten hatte: „Du bist durchschaut, Mann!“

      „Eifersüchtig?“, fragte sie ihn unverblümt.

      Er schwieg. „Verdammt noch mal“, dachte Nick, „wenn’s nur das wäre!“ Er hatte sich seine Eifersucht ja schon längst eingestanden, aber noch brutaler waren die Schuldgefühle, die seit der Geschichte mit dem Handy an ihm nagten. Klar, sie hätten in dem Moment auch nicht viel für Jeannie tun können. Die Typen waren ja bereits voll in Fahrt gewesen. Er erinnerte sich an das Krachen und Splittern der Türe und Janines Schreie auf der Mailbox. In der Stunde, die bis zum Abhören der Nachricht vergangen war, hätte Jeannie auch sterben können. Was wäre aus seiner Psyche geworden, wenn die kleine Hexe schwerere Verletzungen davongetragen hätte? Und wenn sie gar verblutet wäre? Und wenn ...?

      Nick bemerkte, dass Jessy plötzlich neben ihm stand.

      „Gibt’s da was, worüber du reden möchtest?“, fragte sie ihn.

      Das Mitgefühl, das er, wie er fand, nicht verdiente, ließ sein schlechtes Gewissen so sehr anwachsen, dass er glaubte, sein Herz würde in wenigen Sekunden platzen. Er spürte Galle und Cola in seinem Hals aufsteigen. Gerade noch rechtzeitig schnallte er die Bassgitarre ab, drückte sie Jessica in die Arme und rannte aus der Scheune. Würgend erbrach er sich ins Gras. Sein Magen verkrampfte sich wieder und wieder, selbst, als seine Vorräte an Säure, Getränken und Speisen schon erschöpft waren. Eine Hand legte sich zart auf seine Schulter. Er drehte sich um, wollte einfach nur brüllen, die Worte herauskotzen wie vorher seinen СКАЧАТЬ