Название: Ein Herz zu viel
Автор: Irene Dorfner
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Leo Schwartz
isbn: 9783738044577
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Die Auswertung der Kameraaufzeichnungen vom Mühldorfer Stadtplatz war deprimierend. Die Bilder waren unscharf und man hatte Mühe, Männern von Frauen zu unterscheiden. Eine Nonne war nirgends zu sehen. Nachdem Krohmer die Bilder gesehen hatte, rief er umgehend den Bürgermeister an.
„Ich weiß um die Qualität der Bilder. Aber die Stadt kann sich keine neue Kamera leisten,“ versuchte sich der Bürgermeister zu rechtfertigen.
„Und warum läuft die Kamera trotzdem und verursacht unnötige Kosten? Die Bilder sind unbrauchbar und somit hat die Kamera außer einem psychologischen Zweck keinerlei Daseinsberechtigung.“
„Das wissen wir auch. Trotzdem hat der Stadtrat beschlossen, die Kamera dort zu lassen, wo sie ist.“ Der Bürgermeister war beleidigt, dass Krohmer eine der Schwachstellen des Stadtplatzes infrage stellte. Er wusste selbst, dass die Kamera, die vor Jahren sündhaft teuer gewesen war, nichts brachte. Aber das Ding wurde nun mal aus Steuergeldern finanziert und war gegen den Protest vieler Bürger angebracht worden. Immer wieder ist er gegen die Argumente aufgebrachter Bürger, die sich beobachtet und überwacht fühlten, mit dem Gegenargument der Sicherheit angetreten. Schon nach dem ersten Winter hatten sie feststellen müssen, dass die Bildqualität sehr gelitten hatte. Nachbesserungen der Herstellerfirma waren nicht zufriedenstellend und er hatte persönlich immer wieder darauf gedrängt, nachzubessern. Er wurde vertröstet und hingehalten, bis ihm vor drei Jahren aus heiterem Himmel die Nachricht erreichte, dass die Herstellerfirma Konkurs angemeldet hatte. Was hätte er der Bevölkerung sagen sollen? Der Stadtrat hatte in einer nichtöffentlichen Sitzung beschlossen, die Kamera dort zu lassen, obwohl die Mängel auf dem Tisch lagen. Das ging die ganze Zeit gut und er hatte nicht mehr daran gedacht, bis ihn jetzt dieser Krohmer darauf aufmerksam machte. Heute Abend gab es einen großen Empfang mit einer Delegation der ungarischen Städtepartnerstadt Cegléd, wobei er keine Kritik an seiner Stadt brauchen konnte. Er zeigte sich gerne mit Mühldorf von der besten Seite. Würde Krohmer den anderen gegenüber über diesen wunden Punkt den Mund halten?
Am späten Abend kam Fuchs endlich aus München zurück und alle waren gespannt auf seinen Bericht. Fuchs genoss die Aufmerksamkeit. Er trödelte absichtlich und sprach so ausführlich wie möglich, um die Spannung zu steigern. Krohmer hatte genug von seinen langgezogenen Ausführungen und wies ihn zurecht.
„Kommen Sie endlich auf den Punkt Herr Fuchs. Wir haben alle noch viel Arbeit.“
Fuchs war beleidigt und fasste zusammen.
„Männlich, Alter ungefähr 60-80 Jahre. Todeszeitpunkt bei Auffindung ca. 36 Stunden zuvor. Vernarbungen aufgrund von zwei Hinterwandinfarkten deutlich erkennbar,“ schnellte es jetzt aus ihm heraus und er warf die zugehörigen Fotos einfach nacheinander auf den Tisch. „Keine Spuren am Herz selbst.“
„Der Todestag ist somit der 17. oder 18. August. Der Hinweis auf die beiden Hinterwandinfarkte ist sehr interessant, das dürfte in einem ärztlichen Krankenblatt vermerkt sein. Irgendwelche Spuren an der Dose?“
„Außer den Fingerspuren der Putzfrau konnten keine weiteren sichergestellt werden. Keine Wischspuren, die Person muss Handschuhe getragen haben. Es gibt aber eine gute Nachricht: Wir konnten an der Innenseite des Deckels Seifenrückstände feststellen. Ich habe mit Hilfe der Münchner Kollegen die Marke der Seife herausbekommen. Es gibt da ein neues Verfahren, die einzelnen Substanzen….“ Fuchs war euphorisch, denn dieses Verfahren war ihm vollkommen unbekannt und er würde gerne ausführlich berichten und erklären. Aber Krohmer bremste ihn abermals.
„Ich bitte Sie Herr Fuchs, nur die Kurzfassung. In einer Stunde habe ich einen Termin im Rathaus, vorher muss ich mich noch umziehen.“
„Wie Sie wollen. Die Seifenrückstände gehören zur Kernseife Ludwig der gleichnamigen Seifenfabrik in München. Das Traditionsunternehmen wurde damals noch zur Zeit König Ludwig I. 1866 gegründet und hat 1972 die Pforten schließen müssen. Das Gebäude wurde 1978 aufgrund von Straßenbaumaßnahmen abgerissen. Unterlagen der Firma sind nicht mehr auffindbar. Ich habe erfahren, dass die Seifenfabrik Ludwig ganz München und Umgebung mit Kernseifen, später dann auch mit Waschmittel und Duschgel beliefert hat. Die Produkte waren sehr beliebt und es gab einen Aufschrei in der Bevölkerung, als die Seifenfabrik schließen musste. Man munkelte von Misswirtschaft in der Chefetage und absichtlicher Insolvenz-Verschleppung. Aber das sind nur Gerüchte.“
„Die Seifenfabrik Ludwig sagt mir nichts, davon habe ich noch nie gehört. Ich denke, dass wir diese Spur getrost vergessen können.“ Krohmer stand auf und verabschiedete sich. Sein Termin, auf den er nicht scharf war, saß ihm im Nacken. Das würde wieder einer der langweiligen Abende werden, bei denen sich alle Anwesenden selbst beweihräucherten, die ungarischen Gäste hofierten und wo sich alle gegenseitig anschleimten. Dieser Abend würde sich wieder endlos in die Länge ziehen. Aber als Chef der Polizei konnte er nicht kneifen, er musste dort auftauchen. Früher hatte ihn seine Frau begleitet, was den Abend erträglicher machte. Aber seit über einem Jahr weigerte sie sich und erfand immer wieder neue Ausreden.
Fuchs war sauer, dass man seine Arbeit bezüglich der Seife nicht besser würdigte. Es war aufwändig gewesen, die genaue Seife festzustellen, was hier offensichtlich niemanden interessierte. Wieso waren die Kollegen immer so undankbar und mit seinen Ergebnissen unzufrieden? Er konnte nur mit dem arbeiten, was zur Verfügung stand, schließlich konnte er nicht zaubern!
Auch die anderen waren enttäuscht, sie hatten mehr Hinweise erhofft. Jetzt galt es, einen Verstorbenen zu finden, der am 17. oder 18. August verstorben ist und dem ein Herz fehlt. Wo starb der Mann? Das konnte überall sein! Das würde eine Sisyphusarbeit werden und jede Menge Probleme bedeuten. Wenn es keine leiblichen Verwandten des Verstorbenen gab, mit denen sie die DNA des Herzens vergleichen konnten, mussten sie wohl oder übel die Leiche exhumieren. Sie standen auf und wollten gehen, nur Leo bewegte sich nicht.
„Was ist mit dir?“
„Wenn diese Seifenfabrik 1972 geschlossen wurde, dürften doch noch Mitarbeiter leben, die uns zu Kunden Angaben machen können.“
„Bist du irre? Was glaubst du, wie viele Kunden diese Seifenfabrik hatte.“
„Ganz so viele können es nicht gewesen sein. Ich kannte die Seife nicht. Und an eurer Reaktion habe ich gemerkt, dass ihr sie auch nicht kennt. 1972 waren wir alle schon geboren, bis auf Werner. Diese Seife müsste wenigstens einem von uns etwas sagen, zumindest dem Chef.“ Leo sah seine Kollegen an, die ins Grübeln kamen. „Wir könnten es wenigstens versuchen.“
„Und wie sollen wir diese Mitarbeiter finden?“
„Keine Ahnung, uns wird schon etwas einfallen.“ Die Polizisten machten sich sofort an die Arbeit und suchten im Internet nach Spuren der Seifenfabrik Ludwig. Hans war der Erste, der auf die entscheidende Information stieß. Es gab eine Gruppe ehemaliger Seifen-Ludwig-Mitarbeiter, die sich im Restaurant Tanneck im Münchner Süden monatlich trafen. Dies war vor zwei Jahren einer Münchner Tageszeitung ein Artikel wert, der ihnen nun die Information lieferte. Hans rief umgehend im Restaurant Tanneck an und schilderte sein Anliegen. Das Gespräch war schwierig, denn die Geräuschkulisse war sehr hoch.
„Sie meinen die Seifen-Ludwigs? Ja, die kommen immer am ersten Donnerstag im Monat. Die Mitgliederanzahl schrumpft von Jahr zu Jahr, die Alten sterben weg. Ich kann Ihnen die Nummer vom Hias geben.“ Der Wirt wiederholte mehrfach die Telefonnummer, die Hans sofort wählte, als er aufgelegt hatte.
„Kriminalpolizei Mühldorf, mein Name ist Hiebler. Ich bin auf der Suche nach einem ehemaligen Mitglied der Seifenfabrik Ludwig. СКАЧАТЬ