Название: Ein Herz zu viel
Автор: Irene Dorfner
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Leo Schwartz
isbn: 9783738044577
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„Bruder Siegmund hat eine Leiter gebraucht, um dort hinzugelangen, wo das Herz deponiert wurde. Zugegeben, der Mann ist sehr klein. Selbst ich würde mit meiner stattlichen Größe nicht ohne Hilfe das Herz so weit oben deponieren können. Wie soll es ohne Leiter dort raufgekommen sein?“ Hans hatte es versucht und sich gestreckt, ihm fehlten bestimmt dreißig Zentimeter.
„Da gibt es viele Möglichkeiten. Die einfachste Möglichkeit wäre die Hilfe einer zweiten Person. Mit einer Räuberleiter ist das in Nullkommanichts erledigt. Auch eine Gehhilfe wäre eine Option. Auch eine Tasche, ein kleiner Koffer oder etwas Ähnliches würde einem normal gewachsenen Menschen ausreichen, um dort hinzugelangen. Wenn ich jetzt auf die Schatulle kommen dürfte? Bei der reich verzierten Schatulle handelt es sich um ein altes Objekt aus Blech, das aber aufgrund des billigen Materials und der nicht sehr hochwertigen Verarbeitung keinen großen Wert darstellt. Meine Recherchen haben ergeben, dass in dieser Art Schatulle ab 1952 bis 1974 Uhren und Modeschmuck der Münchner Manufaktur Schneck & Sohn verkauft wurden. Danach wurden die Verpackungen auf Plastik umgestellt, was ich persönlich sehr schade finde. Die Firma Schneck & Sohn gibt es seit über zwanzig Jahren nicht mehr.“
„Schneck & Sohn kenne ich aus meiner Kindheit und Jugend. Die Artikel dieser Firma waren damals bei den Damen sehr beliebt. Auch meine Mutter und meine Schwester besaßen diese Dosen, die mein Vater zur Aufbewahrung von Schrauben und Muttern zweckentfremdet hat. Von diesen Dosen dürften auch heute noch tausende in Umlauf sein. Haben Sie wenigstens irgendwelche Spuren gefunden?“
Fuchs ärgerte sich über die abfällige Bezeichnung dieser doch sehr ansprechenden Schatulle. Sie als einfache Dose zu bezeichnen, war ein Frevel. Die opulente Verzierung und die Verarbeitung der Dose, die zwar Massenware war, war doch weit ansprechender als irgendeine Dose. Die Firma hatte sich mit den Verpackungen ihrer Artikel zur damaligen Zeit noch richtig Mühe gegeben; nicht so wie heute, wo alles nur lieblos in Plastikbeuteln verpackt wird.
„In und auf der Schatulle sind außer den Abdrücken des Klosterbruders keine weiteren Fingerspuren. Allerdings konnte im Inneren ein Haar sichergestellt werden.“
„Ein Haar? Besser als nichts. Wie sieht es mit der DNA aus?“
„Es handelt sich um kein menschliches Haar. Es ist ein Katzenhaar einer Siamkatze mit hellem Fell.“
„Das ist alles? Mehr haben Sie nicht? Nur ein Katzenhaar?“ Krohmer war enttäuscht. Er hatte sich mehr davon versprochen.
„Leider ja.“
„Ich sehe keinen Ermittlungsansatz. Wir wissen weder, wem das Herz gehörte oder wann derjenige verstorben ist. Wie sollen wir bei den dürftigen Angaben den Körper zu dem Herz finden?“
„Das ist völlig aussichtslos. Gehen wir davon aus, dass wir es mit einer Einzeltat von einem Spinner zu tun haben. Legen wir den Fall zu den Akten. Und kein Wort an die Presse! Ich habe keine Lust, dass die Geschichte aufgebauscht wird und wir damit einen dummen Menschen auf dumme Ideen bringen. Wie gesagt: Der Herzfund ist ein Einzelfall.“
Dass Krohmer damit falsch lag, wusste er noch nicht.
2.
Zwei Wochen später: Mittwoch 19. August
„Bitte ganz ruhig. Atmen Sie tief durch. Wer sind Sie? Wie ist Ihr Name?“ Viktoria versuchte, die Anruferin zu beruhigen, die so schnell sprach, dass sie sie kaum verstand.
„Kerbel, Sabine Kerbel. Ich bin Putzfrau in der St.Nikolaus-Kirche in Mühldorf. Ich habe eine Blechdose gefunden. Und darin ist etwas Blutverschmiertes. Es sieht aus wie eine Leber oder ähnliches. Ich kenne mich da nicht aus, aber es ist furchtbar ekelhaft. Bitte kommen Sie schnell.“
Viktoria wurde übel. Sie hatte den Herzfund in der Altöttinger Gnadenkapelle schon fast vergessen. Jetzt erinnerte sie sich sofort an jede Kleinigkeit.
„Bleiben Sie wo Sie sind. Fassen Sie nichts an und lassen Sie keine anderen Personen in die Kirche. Wir sind in wenigen Minuten bei Ihnen.“
Viktoria unterrichtete ihre Kollegen, die ebenso geschockt waren, wie sie selbst. Auch sie hatten das Herz der Gnadenkapelle schon vergessen. Sie fuhren sofort los. Was würde sie heute erwarten? Trieb sich ein Irrer herum, der in Kirchen Innereien verteilte?
Die St.Nikolaus-Kirche befand sich am Kirchplatz in der Nähe des Mühldorfer Stadtplatzes. Als sie sich der Kirche näherten, kam ihnen eine aufgeregte Frau Ende fünfzig entgegen.
„Kommen Sie mit, schnell!“ Sie lief voraus und die anderen hatten Mühe, ihr zu folgen. „Da hinten liegt es, gleich neben den Altarstufen. Ich gehe nicht weiter, ich will mir das nicht nochmal ansehen.“
Die Kripo-Beamten gingen zum Altar und starrten auf den Boden.
„Das ist ein Herz,“ sagte Hans. „Und wieder ein silberfarbenes Behältnis, wie in Altötting. Allerdings ist das Blut noch recht frisch, womit wir zumindest den Todeszeitpunkt des Besitzers eingrenzen können.“
Das war das zweite Herz in zwei Wochen. Viktoria hatte angenommen, dass es sich mit dem aufgefundenen Herz in der Altöttinger Gnadenkapelle um eine einmalige Sache handelte. Und jetzt das! Sie rief umgehend Friedrich Fuchs an, der nach wenigen Minuten mit seinen Leuten vor Ort war.
„Wo genau haben Sie dieses silberne Behältnis gefunden?“, fragte Hans Frau Kerbel, die kreidebleich war.
„Dort hinten. Sehen Sie die Nische neben dem Altar? Dort war das Ding deponiert. Es war gut versteckt. Das hätte Wochen dauern können, bis das jemandem aufgefallen wäre.“
„Wie sind Sie darauf aufmerksam geworden?“
„Im Augenwinkel habe ich etwas glitzern sehen. Ich putze hier schon seit Jahren zu jeder möglichen Tageszeit. In dem Eck hat noch nie etwas geglitzert. Also habe ich nachgesehen. Ich nahm diese Dose aus der Nische und muss zugeben, dass ich diese aus Neugier geöffnet habe. Als ich den Inhalt sah, ließ ich alles fallen und habe sofort die Polizei angerufen. Was ist das für ein ekliges Ding? Eine Leber?“
„Es ist ein Herz,“ sagte Hans, worauf Frau Kerbel kreidebleich wurde und damit zu kämpfen hatte, sich nicht übergeben zu müssen. Sie setzte - sich so weit weg wie möglich - in eine Bankreihe.
Hans ging zu der beschriebenen Stelle; er reichte aus dem Stand problemlos an die Nische. Hier konnte man ohne Hilfe hingelangen. Fuchs beobachtete ihn bei dieser Aktion und warf ihm einen strengen Blick zu.
„Keine Sorge Kollege, ich fasse nichts an.“
„Was können Sie mir sagen Herr Fuchs?“, drängelte Viktoria, die die Kollegen der Spurensicherung nicht aus den Augen ließ und dadurch mächtig Druck aufbaute. „Kann man aufgrund des Zustands des Herzens den Todeszeitpunkt eingrenzen?“
„Das kann man und das wissen Sie auch. Trotzdem werde ich keine groben Schätzungen abgeben, das müssten Sie doch wissen. Die Vorgehensweise ist wie bei dem Altöttinger Herz,“ schnauzte Fuchs zurück.
„Gut. Aber beeilen Sie sich.“
„Es dauert nun mal so lange, wie es dauert. Oder denken Sie, dass ich mit meiner Arbeit trödle?“ Wieder diese unverschämte СКАЧАТЬ