Ein Herz zu viel. Irene Dorfner
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Название: Ein Herz zu viel

Автор: Irene Dorfner

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Leo Schwartz

isbn: 9783738044577

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СКАЧАТЬ befragten, fand sich nicht ein Zeuge, der etwas gesehen, gehört oder bemerkt hatte. Die Menschentraube hinter den Absperrbändern wurde immer größer. Alle wollten wissen, was hier vor sich ging, und die ersten Gerüchte machten ihre Runde. Leo und Hans hatten sich zurückgezogen. Einer der Uniformierten überreichten ihnen Kaffee. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als zu warten. Vielleicht bekamen sie von Fuchs einen wertvollen Hinweis für die weiteren Ermittlungen vor Ort.

      Für Leo als konfessionslosen Menschen waren diese Herzbestattungen nicht nachvollziehbar. Wer kam nur auf diese abstrusen Ideen? Leo war nun seit über zwei Jahren bei der Kripo Mühldorf, nachdem er von Ulm hierher strafversetzt wurde. Er fühlte sich zwar wohl hier, trotzdem kam er mit der hiesigen Mentalität nicht immer zurecht. Die Schwaben waren ihm vertrauter und aus seiner Sicht auch einfacher zu handhaben. Er vermisste seine alte Heimat und nahm sich fest vor, in den nächsten Wochen einen Abstecher nach Ulm zu seinen alten Freunden und Kollegen zu unternehmen, denn dort hatte er sich lange nicht mehr sehen lassen. Hans Hiebler beobachtete seinen schwäbischen Kollegen, wie er in Gedanken in seinen Kaffeebecher starrte. Er hatte sich inzwischen an den kauzigen Typen gewöhnt und schätzte ihn sehr. Auch heute trug Leo wieder eins dieser fürchterlich bunten T-Shirts mit grellbuntem Aufdruck. Hans hatte gehofft, dass Leo nach seinem 50. Geburtstag in der Beziehung endlich normal werden würde, aber der 1,90 m große Schwabe dachte nicht daran, sich irgendwie zu ändern. Leo zog seine Lederjacke aus, die er jeden Tag trug. Besaß er überhaupt eine andere Jacke? Und diese schrecklichen Cowboystiefel! Leo drehte sich mit dem Rücken zu ihm und jetzt sah Hans, dass auf dem Rücken eine riesige, knallrote Zunge prangte. Und das hier in dieser Umgebung! Nicht nur Hans bemerkte die Abbildung, auch die zahlreichen Schaulustigen, Polizisten und die Besatzung des Notarztwagens starrten auf Leos Rücken.

      „Auf deinem Rücken ist eine riesige Zunge abgebildet.“

      „Das weiß ich. Geil, was?“

      „Meinst du wirklich, dass das hier her passt? Die Leute tuscheln schon.“

      „Das ist mir doch egal. Mir gefällt auch vieles nicht.“ Leo war beleidigt, denn er war stolz auf seine ausgefallenen T-Shirts. Gerade das Heutige hatte er von seiner alten Freundin und früheren Ulmer Kollegin Christine Künstle geschenkt bekommen. Das T-Shirt war sehr selten und sie hatte es auf ihrer letzten Urlaubsreise in den USA für viel Geld gekauft. Was fiel Hans eigentlich ein? Am liebsten hätte er mit seinem Kollegen darüber diskutiert, aber sie wurden von Fuchs unterbrochen.

      „Wir sind fertig. Die Gnadenkapelle ist wieder freigegeben,“ sagte Fuchs.

      „Irgendetwas, das Sie uns jetzt schon sagen können?“

      „Nein.“

      „Wann können wir mit Ihrem Bericht rechnen?“

      „Sobald ich fertig bin.“ Fuchs hasste diese Fragerei, er konnte schließlich auch nicht zaubern. Die Auswertungen der Spuren konnten seine Mitarbeiter übernehmen, während er mit dem Herz so schnell wie möglich nach München in die Pathologie fuhr. Von den Spuren in der Gnadenkapelle versprach er sich nicht viel, denn es waren täglich Tausende in der Kapelle und alle Spuren zuzuordnen war unmöglich. Er legte den Fokus nicht nur auf das Herz selbst, sondern auf die silberfarbene Schatulle. Er hatte sofort gesehen, dass es sich dabei nicht um eine Antiquität handelte. Aber vielleicht konnten sie darauf verwertbare Spuren finden? Die Schatulle wollte er selbst übernehmen und hatte für eine genauere Untersuchung alles bei sich. Das konnte er in München machen, während er auf die Untersuchungsergebnisse des Herzens wartete. Er hatte keine Lust darauf, all das den Kripobeamten mitzuteilen. Wo war eigentlich diese nervige Viktoria Untermaier, die ihn und seine Arbeit immer kritisierte?

      Als der kleine Bruder Siegmund endlich die beiden Türen der Gnadenkapelle aufsperrte, drängten die Wartenden ins Innere. Schnell füllte sich die winzige Kapelle und viele sahen sich um. Was war hier passiert? Warum waren die Polizei und die Spurensicherung hier? Es musste etwas Schreckliches passiert sein und die Gerüchteküche brodelte. Kaum jemand achtete auf die Schwarze Madonna, den Altar oder die vielen Kostbarkeiten der Gnadenkapelle. Die Suche nach Spuren stand bei allen im Fokus. Aber Fuchs hatte gute Arbeit geleistet, es war nicht der kleinste Hinweis übrig geblieben.

      Viktoria Untermaier war zurück von ihrem Zahnarztbesuch und strahlte übers ganze Gesicht. Ihr wurde der Zahn gezogen und sie war endlich wieder schmerzfrei. Dass eine Zahnbehandlung folgte, sobald die Schwellung abgeklungen war, interessierte sie jetzt nicht. Auch Werner Grössert, der 40-jährige, frischgebackene Vater war längst an seinem Platz. Er kam heute eine Stunde später zur Arbeit, da er gerne bei der Impfung seiner Tochter dabei sein wollte.

      „Wo sind Leo und Hans?“, wollte Viktoria schmerzfrei und gutgelaunt wissen.

      „Soweit ich den Chef verstanden habe, sind sie in Altötting in der Gnadenkapelle. Dort wurde ein Herz gefunden.“

      Viktoria verzog angewidert das Gesicht.

      „Ein Herz? Dann haben wir ja nichts verpasst.“

      Leo und Hans kamen zurück und berichteten ausführlich. Hans beschrieb in schillernden Farben, wie das Herz auf dem Boden der Gnadenkapelle gelegen hatte, und untermauerte seine Schilderungen mit den Fotos, die ihm die neue Mitarbeiterin der Spurensicherung vorhin in die Hand gedrückt hatte. Leo und Viktoria waren nicht besonders scharf auf die Sichtung der vielen Fotos, eins hätte auch gereicht. Nur Werner war fasziniert und ließ sich alles nochmals ausführlich erzählen. Er ärgerte sich, dass er diesen Fund verpasst hatte.

      „Was hat es mit dem Herz in der Gnadenkapelle auf sich?“ Rudolf Krohmer, der 58-jährige Leiter der Mühldorfer Polizei war neugierig. Hans schilderte zu Leo und Viktorias Leidwesen nochmals alles ausführlich und legte auch hier ein Foto nach dem anderen auf den Tisch. Krohmer hörte sich alles ohne Regung an. Die Schilderung konnte ihn nicht schocken, dafür hatte er während seiner beruflichen Laufbahn schon viel zu viel gesehen.

      „Herzbestattungen waren nur dem Hochadel oder herausragenden Persönlichkeiten vorbehalten. Was soll dieser Mist? Gibt es irgendwelche Spuren? Zeugen? Kameraaufzeichnungen?“

      „Nein. Keine Spuren, keine Zeugen. Auf dem Kapellplatz gibt es zwei Kameras, deren Aufzeichnungen wir vorhin gesichtet haben. Nichts Auffälliges oder Ungewöhnliches. Das Herz könnte theoretisch jeder in der Gnadenkapelle deponiert haben. Fuchs ist mit dem Herz und dem Behältnis in München. Sobald er zurück ist, meldet er sich bei uns.“

      Fuchs berichtete am späten Nachmittag ausführlich über die Ergebnisse der Pathologie.

      „Das eindeutig menschliche Herz gehört einer älteren, männlichen Person, deren DNA nicht in unserer Kartei ist. Das Herz wurde in Formaldehyd eingelegt und dann in der Gnadenkapelle deponiert.“

      „Du großer Gott! Dann suchen wir die Nadel im Heuhaufen! Wie soll man da den genauen Todeszeitpunkt herausfinden?“ Krohmer war außer sich.

      „Die Pathologen machen einige Tests, das kann aber noch dauern. Sie arbeiten mit Hochdruck an der Feststellung des Todeszeitpunkts. Ich bezweifle, dass ein positives Ergebnis herauskommt. Wenn das Herz vorher in Formaldehyd eingelegt war, ist eine Todeszeitbestimmung schier unmöglich.“

      „Wissen wir wenigstens, wann dieses Herz in die Gnadenkapelle gebracht wurde? Gab es Einbruchspuren?“

      „Keine Einbruchspuren. Die Gnadenkapelle ist nicht immer gut besucht. Besonders sehr früh am Morgen oder spät am Abend gibt es Zeiten, in denen sich niemand oder nur sehr wenige Besucher dort einfinden. Das Herz unbemerkt zu deponieren, dürfte kein größeres Problem darstellen.“

      „Bruder Siegmund ist sich ganz СКАЧАТЬ