Existenzielle Psychotherapie. Irvin D. Yalom
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Читать онлайн книгу Existenzielle Psychotherapie - Irvin D. Yalom страница 37

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      Interviewer: Kann ein Kind sterben?

      G.M. (6 Jahre): Nein, Jungen sterben nicht, wenn sie nicht überfahren werden. Wenn sie in ein Krankenhaus gehen, denke ich, kommen sie lebendig wieder heraus.

      E.G. (5 Jahre): Ich werde nicht sterben. Wenn du alt bist, dann stirbst du. Ich werde nie sterben. Wenn die Menschen alt werden, sterben sie. [Später sagt er, dass er sterben wird, wenn er sehr, sehr alt sein wird.]53

      In der Beantwortung des Geschichten-Vervollständigungs-Tests ziehen es die meisten Kinder vor, lange Zeit Kind zu bleiben, statt schnell erwachsen zu werden. Ein neuneinhalbjähriger Junge äußerte, dass er aufhören wolle zu wachsen, um ein Kind zu bleiben, weil »wenn jemand älter wird, ist weniger Leben in ihm.«54

      Der tatsächliche Tod eines Kindes stellt für Kinder natürlich ein ernstes Problem dar, welches sie oft lösen, indem sie eine Unterscheidung zwischen sterben und getötet werden machen. Ein Junge stellte fest, »Jungen sterben nicht, wenn sie nicht erstochen werden oder von einem Auto überfahren werden.« Ein anderes Kind sagte, »Wenn du zehn Jahre alt bist, weiß ich nicht, wie du sterben könntest, wenn dich nicht jemand tötet.«55 Ein anderes (6 Jahre): »Ich werde nicht sterben, aber wenn du in den Regen rausgehst, kannst du sterben.«56 Alle diese Kommentare besänftigen die Angst, indem sie dem Kind versichern, dass der Tod kein unmittelbares oder zumindest kein unvermeidbares Problem ist. Entweder der Tod wird auf das Alter geschoben – eine Zeit jenseits der Vorstellungskraft des Kindes – oder aber er kann durch Zufall eintreten, jedoch nur, wenn man »sehr, sehr« unvorsichtig ist.

      Verleugnung: Personifizierung des Todes. Die meisten Kinder zwischen fünf und neun Jahren gehen durch eine Periode, in der sie den Tod anthropomorphisieren. Dem Tod wird Form und Wille gegeben: Er ist der schwarze Mann, der grimmige Sensenmann, ein Skelett, ein Geist, ein Schatten; oder er wird einfach in Zusammenhang mit den Toten gebracht. Zahlreiche Beispiele dazu:

      B.G. (4 Jahre, 9 Monate): »Der Tod macht was falsch.«

      »Wie macht er was falsch?«

       »Ersticht dich mit einem Messer.«

      »Was ist Tod?«

      »Ein Mann.«

      »Was für ein Mann?«

      »Ein Todes-Mann.«

      »Woher weißt du das?«

      »Ich habe ihn gesehen.«

      »Wo?«

      »Im Gras. Ich hab’ gerade Blumen gepflückt.«

      B.M. (6 Jahre, 7 Monate): »Der Tod schleppt die bösen Kinder weg. Er fängt sie und nimmt sie mit.«

      »Wie sieht er aus?«

      »Weiß wie Schnee. Der Tod ist ganz weiß. Er ist böse. Er mag Kinder nicht.«

      »Warum?«

      »Weil er böse ist. Der Tod nimmt auch Männer und Frauen mit.«

      »Warum?«

      »Weil er sie nicht sehen mag.«

      »Was ist weiß an ihm?«

      »Das Skelett. Das Knochenskelett.«

      »Aber ist das in Wirklichkeit auch so, oder sagen sie das nur so?«

      »Es ist auch wirklich so. Ich habe einmal darüber geredet, und in der Nacht kam der richtige Tod. Er hat einen Schlüssel für überallhin, so dass er die Tür gut öffnen kann. Er kam herein und wühlte überall herum. Er kam zum Bett heran und fing an, die Bettdecke wegzuziehen. Ich habe mich fest zugedeckt. Er konnte sie nicht wegziehen. Dann ging er wieder.«

      P.G. (8 Jahre, 6 Monate): »Der Tod kommt, wenn jemand stirbt, und er kommt mit einer Sense, haut ihn um und nimmt ihn mit. Wenn der Tod weggeht, hinterlässt er Fußabdrücke. Als die Fußabdrücke verschwunden waren, kam er wieder und haute noch mehr Leute um. Und dann wollten sie ihn fangen, und er verschwand.«

      B.T. (9 Jahre, 11 Monate): »Der Tod ist ein Skelett. Er ist so stark, dass er ein Schiff umwerfen könnte. Der Tod kann nicht gesehen werden. Der Tod ist in einem Versteck. Er versteckt sich auf einer Insel.«

      V.P. (9 Jahre, 11 Monate): »Der Tod ist sehr gefährlich. Du weißt nie, in welcher Minute er dich mit sich fortnehmen wird. Der Tod ist unsichtbar, etwas, das nie jemand je auf der Welt gesehen hat. Aber in der Nacht kommt er zu jedem und trägt sie mit sich weg. Der Tod ist wie ein Skelett. Alle seine Teile sind aus Knochen gemacht. Aber wenn es hell wird, wenn der Morgen kommt, bleibt keine Spur von ihm. So gefährlich ist er, der Tod.«

      M.I. (9 Jahre, 9 Monate): »Sie malen den Tod immer mit einem Skelett und einem schwarzen Umhang. In Wirklichkeit kann man ihn nicht sehen. In Wirklichkeit ist er nur eine Art Geist. Er kommt und nimmt die Leute mit. Er kümmert sich nicht drum, ob es ein Bettler ist oder ein König. Wenn er will, lässt er sie sterben.«57

      Obwohl diese Feststellungen erschreckend zu sein scheinen, ist der Prozess der Todespersonifizierung ein Mittel, um die Angst zu mildern. Die Vision eines schleichenden Skeletts, das nachts aus der Friedhofserde auftaucht, gibt, so grimmig das auch sein mag, im Gegensatz zur Wahrheit eine Sicherheit. Solange das Kind glaubt, dass der Tod durch eine äußere Kraft oder Gestalt gebracht wird, ist es sicher vor der wirklich schrecklichen Wahrheit, dass der Tod nicht äußerlich ist – dass man von Lebensbeginn an die Sporen seines eigenen Todes in sich trägt. Wenn der Tod außerdem ein empfindungsfähiges Wesen ist, wenn – wie das Kind im letzten Beispiel sagte – die Situation so ist: »wenn er will, lässt er sie sterben«, dann kann der Tod vielleicht dahingehend beeinflusst werden, dass er nicht will. Vielleicht kann der Tod als Knopfmacher, Ibsens Todesmetapher in Peer Gynt, hinausgezögert, besänftigt oder – wer weiß? – sogar ausgetrickst oder vernichtet werden. Indem das Kind den Tod personifiziert, durchläuft es die kulturelle Evolution: Jede primitive Kultur anthropomorphisiert die blinden Kräfte der Natur in dem Bemühen, größere Kontrolle über ihr eigenes Schicksal erfahren zu können.

      Koochers Studie (1974) über die Todeseinstellungen amerikanischer Kinder58 erhärtet nicht die Ergebnisse von Nagy (mit ungarischen Kindern) über die Personifizierung des Todes. Vielleicht gibt es bedeutsame kulturelle Unterschiede, aber der Unterschied in der Methodologie der zwei Studien macht einen Vergleich schwierig: In der amerikanischen Untersuchung war das Interview stark strukturiert mit wenig Nachfragen oder Versuchspersonen-Interviewer-Interaktion, während das Interview im ungarischen Projekt weit offener, intensiver und persönlicher war.

      Die anthropomorphisierte Furcht vor dem Tod begleitet uns unser ganzes Leben hindurch. Der Mensch ist selten, der nicht auf irgendeiner Bewusstheitsebene weiterhin Angst hat vor Dunkelheit, Dämonen, Geistern oder irgendwelchen Repräsentationen des Übernatürlichen. Sogar ein maßvoller, gut gemachter Film über Übernatürliches oder Geister spricht, wie die Filmemacher sehr wohl wissen, tiefe Saiten bei den Zuschauern an.

      Verleugnung: Verspotten des Todes. Das ältere Kind versucht die Todesfurcht zu besänftigen, indem es sich seiner Lebendigkeit versichert. Neun- und Zehnjährige spotten oft über den Tod. Sie machen höhnische Bemerkungen über ihren alten Feind. Eine Sprachstudie von Schulkindern enthüllte viele Todesspötteleien, die ihnen urkomisch СКАЧАТЬ