Название: Existenzielle Psychotherapie
Автор: Irvin D. Yalom
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: EHP-Edition Humanistische Psychologie
isbn: 9783897976061
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Die Argumente für die Unterstützung der Realitätsakzeptanz sind stark. Trotzdem gibt es in diesem Zusammenhang eine Gefahr. Das Wissen, dass die Verleugnung selbst das Akzeptieren erleichtert, kann die Aufgabe der Eltern vielleicht weniger schwer machen. Sie mögen die Anklage der Unzuverlässigkeit, des Lügens vorausahnen, wenn das eigene Bedürfnis des Kindes nach Verleugnung vorbei ist. Wenn sie offen angeschuldigt werden, können sie antworten: »Du konntest es damals nicht annehmen.«83
Andererseits akzeptieren viele professionelle Erzieher die Ansicht Jerome Bruners, dass »jedes Thema auf irgendeine intellektuell ehrliche Weise ei nem Kind in jedem Entwicklungsstadium wirkungsvoll beigebracht werden kann«,84 und versuchen, dem Kind bei einem allmählichen realistischen Verständnis des Todesbegriffs behilflich zu sein. Euphemismen (»schlafen gegangen«, »in den Himmel gegangen«, »bei den Engeln«) sind »hauchdünne Barrikaden gegen Todesängste und verwirren das Kind nur.«85 Die Angelegenheit zu ignorieren, führt zu einem Narrenparadies für die Eltern: Die Kinder kümmern sich dann sehr wohl weiter um das Thema und finden, wie auch beim Sex, andere Informationsquellen, die oft unzuverlässig oder sogar furchterregender oder bizarrer als die Realität sind.
Zusammengefasst gibt es überzeugende Beweise, dass Kinder den Tod in einem frühen Alter entdecken, dass sie befürchten, dass ihr Leben schließlich ausgelöscht wird, dass sie dieses Wissen auf sich selbst anwenden und dass sie als Ergebnis dieser Entdeckung große Angst erleiden. Eine Hauptentwicklungsaufgabe ist es, mit dieser Angst umzugehen, und das Kind tut dies hauptsächlich auf zwei Wegen: indem es die unerträgliche objektive Realität des Todes verändert, und indem es innere subjektive Erfahrungen verändert. Das Kind verleugnet die Unausweichlichkeit und Dauerhaftigkeit des Todes. Es schafft Unsterblichkeitsmythen – oder übernimmt dankbar Mythen, die Ältere ihm anbieten. Das Kind verleugnet auch seine Hilflosigkeit vor der Gegenwart des Todes, indem es die innere Realität verändert: Das Kind glaubt an seine persönliche Besonderheit, Allmacht und Unverletzlichkeit und an die Existenz von irgendeiner äußeren persönlichen Kraft oder einem Wesen, das es vom Schicksal, das alle anderen erwartet, erlösen wird.
»Es ist nicht so bemerkenswert,« wie Rochlin schreibt, »dass Kinder zu den erwachsenen Ansichten über die Beendigung des Lebens gelangen, sondern vielmehr, wie hartnäckig Erwachsene ihr ganzes Leben lang an den Vorstellungen des Kindes festhalten und wie bereitwillig sie zu ihnen zurückkehren.«86 Die Toten sind daher nicht tot; sie ruhen, sie schlummern weiter in Gedenkstätten beim Klang ewiger Musik, sie erfreuen sich eines Lebens nach dem Tod, in welchem sie letztlich mit ihren geliebten Menschen wieder vereinigt werden. Und unabhängig davon, was anderen geschieht, verleugnet man den Tod als Erwachsener vor sich selbst. Die Verleugnungsmechanismen sind in unseren Lebensstil und unsere Charakterstruktur eingebettet. Zur Last des Menschen als Erwachsener genauso wie zu der des Kindes gehört es, mit der persönlichen Endlichkeit umzugehen; und das Studium der Psychopathologie, der ich mich jetzt zuwenden werde, ist das Studium misslungener Todestranszendenz.
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