Existenzielle Psychotherapie. Irvin D. Yalom
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      Dr.: Was geschah dem anderen?

      D: Er starb vor langer Zeit. Vor hundert Jahren.

      Dr.: Wirst du auch lange leben?

      D: Hundert Jahre.

      Dr.: Also was?

      D: Ich werde vielleicht sterben.

      Dr.: Alle Menschen sterben.

      D: Ja, ich auch.

      Dr.: Das ist traurig.

      D: Ich muss es trotzdem.

      Dr.: Du musst?

      D: Sicher, mein Vater wird sterben. Das ist traurig.

      Dr.: Warum?

      D: Kümmern Sie sich nicht drum.

      Dr.: Du möchtest nicht darüber sprechen.

      D: Ich will jetzt zu meiner Mutter.

      Dr.: Ich werde dich zu ihr bringen.

      D: Ich weiß, wo tote Menschen sind. Auf Friedhöfen. Mein alter Großvater ist tot. Er kann da nicht mehr weg.

      Dr.: Du meinst, von wo er begraben ist.

      D: Er kann da nicht mehr weg. Niemals.31

      Melanie Klein kommt aufgrund ihrer Erfahrungen bei der Analyse von Kindern zu dem Schluss, dass die sehr jungen Kinder eine intime Beziehung zum Tod haben – eine Beziehung, die sehr viel früher einsetzt als das begriffliche Wissen über den Tod. Die Furcht vor dem Tod ist, so stellt Klein fest, ein Teil der frühesten Lebenserfahrung des Kleinkindes. Sie akzeptiert Freuds Theorie aus dem Jahr 1923, dass es einen universellen unbewussten Todestrieb gibt, aber sie argumentiert, dass, wenn das menschliche Wesen überleben soll, es eine diesen ausgleichende Furcht vor dem Verlust des Lebens geben muss. Klein betrachtet die Furcht vor dem Tod als die ursprüngliche Quelle der Angst; sexuelle Angst und Über-Ich-Angst sind daher Nachzügler und abgeleitete Phänomene.

      Meine analytischen Beobachtungen zeigen, dass es im Unbewussten eine Furcht vor der Vernichtung des Lebens gibt. Ich würde auch meinen, dass, wenn wir die Existenz des Todesinstinkts annehmen, wir auch annehmen müssen, dass es in den tiefsten Schichten des Geistes eine Antwort auf diesen Instinkt gibt, in Form einer Furcht vor der Vernichtung des Lebens. Die Gefahr, die aus dem inneren Wirken des Todesinstinkts hervorgeht, ist die erste Ursache der Angst … die Furcht davor, verschlungen zu werden, ist ein unverhüllter Ausdruck der Furcht vor totaler Vernichtung des Selbst … Die Furcht vor dem Tod dringt in die Kastrationsangst ein und ist ihr nicht »analog« … Da die Reproduktion der wesentliche Weg ist, dem Tod entgegenzuwirken, würde der Verlust der Genitalien das Ende der kreativen Kraft bedeuten, die das Leben erhält und weiterführt.32

      Kleins Argument, dass die Besorgnis um die Reproduktion aus der Todesfurcht fließt, ist, glaube ich, schlagkräftig und stellt die traditionellen analytischen Ansichten dessen, was »primär« im geistigen Leben des Individuums ist, infrage. Kurt Eissler, der früh in der psychoanalytischen Bewegung intensiv über den Tod nachdachte, kam zu der Schlussfolgerung, dass die frühe Beschäftigung des Kindes mit Sexualität eine abgeleitete Fragehaltung ist, sekundär zu einer früheren und erschreckenden Bewusstheit des Todes:

      Verfeinerte Forschung auf diesem Gebiet könnte zeigen, dass die Erforschung der generativen Prozesse (das heißt der »Tatsachen des Lebens«) durch das Kind eine Neuauflage einer früheren und kurz andauernden Erforschung des Todes ist. Möglicherweise wendet sich das Kind von solcher Erforschung wegen der sie begleitenden Schrecken ab und wegen der äußersten Hoffnungslosigkeit und darauf folgenden Verzweiflung hinsichtlich irgendeines möglichen Fortschritts bei dieser Erkundung.33

      Andere Autoren, die Kinder genau beobachtet haben, sind zu der Schlussfolgerung gekommen, dass das junge Kind unabhängig davon, ob es intellektuell in der Lage ist, den Tod zu verstehen, doch das Wesen der Sache begreift. Anna Freud, die mit jungen Kindern während des deutschen Luftangriffs auf London arbeitete, schrieb: »Man kann mit Sicherheit sagen, dass alle Kinder, die zur Zeit des Luftangriffs auf London über zwei Jahre alt waren, sich bewusst waren, dass die Häuser einstürzen, wenn sie bombardiert werden, und dass die Menschen in den einstürzenden Häusern oft getötet oder verletzt werden.«34 Sie beschrieb ein viereinhalbjähriges Kind, das den Tod ihres Vaters erkannte: Die Mutter des Kindes wollte den Tod des Vaters ihren Kindern gegenüber verleugnen, aber das Kind bestand darauf: »Ich weiß alles über meinen Vater. Er ist getötet worden und wird niemals zurückkommen.«

      Furman arbeitete mit einer großen Zahl von Kindern, die ein Elternteil verloren hatten, und sie zog den Schluss, dass die Kinder während ihres zweiten Lebensjahres ein grundlegendes Verständnis des Todes erlangen könnten. Das Verständnis des Todes wird durch irgendeine Art früher Erfahrung vergrößert, die dem Kind hilft, die notwendigen geistigen Kategorien zu bilden. Furman zitiert das folgende Beispiel:

      Suzie war kaum drei Jahre alt, als ihre Mutter starb. Bald nachdem ihr diese traurige Nachricht überbracht wurde, fragte Suzie: »Wo ist Mami?« Ihr Vater erinnerte sie an den toten Vogel, den sie vor nicht allzu langer Zeit gefunden und begraben hatten. Er erklärte, dass auch Mami gestorben war und begraben werden musste. Er würde ihr zeigen wo, wann immer Suzie das wünschte. Einen Monat später berichtete Suzie ihrem Vater: »Jimmy (der sechs Jahre alte Sohn des Nachbarn) hat mir erzählt, dass meine Mami bald wiederkommen würde, weil seine Mami es so gesagt hat. Ich sagte ihm, dass das nicht wahr ist, weil meine Mami tot ist, und wenn du tot bist, dann kannst du niemals zurückkommen. Das stimmt, Vati, nicht wahr?«35

      Eine Mutter berichtete das folgende Gespräch mit einem Kind im Alter von drei Jahren und neun Monaten:

      Jane hat keine religiöse Unterweisung erhalten und ist bis jetzt niemals dem Tod in Verbindung mit irgendeinem menschlichen Wesen aus ihrem Bekanntenkreis begegnet. Vor ein paar Tagen begann sie, mir Fragen über den Tod zu stellen. …Das Gespräch begann damit, dass Jane fragte, ob Menschen im Frühling wie die Blumen zurückkehren würden. (Etwa vor einer Woche war sie sehr aufgeregt gewesen, weil ihre Lieblingsblume abgestorben war, und wir hatten sie getröstet, indem wir ihr sagten, dass sie im Frühling zurückkehren würde.) Ich antwortete, dass sie nicht in der gleichen Weise zurückkämen, sondern anders, möglicherweise als Babys. Diese Antwort verwirrte sie offensichtlich – sie hasst Veränderung, und dass die Menschen alt werden –, denn sie sagte: »Ich möchte nicht, dass Nan anders ist, ich möchte nicht, dass sie sich verändert und alt wird.« Dann: »Wird Nan sterben? Werde ich auch sterben? Stirbt jeder?« Als ich ›ja‹ sagte, brach sie in wirklich herzzerbrechendes Weinen aus und sagte immer wieder: »Aber ich will nicht sterben, ich will nicht sterben …« Sie fragte dann, wie die Menschen sterben, ob es weh tun würde, ob sie ihre Augen wieder öffnen würden, wenn sie tot wären, ob sie sprächen, äßen und Kleider trügen. Plötzlich mitten in all diesen Fragen und Tränen sagte sie: »Jetzt will ich weiter meinen Tee trinken«, und die Angelegenheit war für dieses Mal vergessen.36

      Es ist interessant, die beunruhigten, unsicheren Antworten von dieser Mutter zu bemerken, der es kurze Zeit vorher ohne große Schwierigkeiten gelungen war, die Fragen ihrer Tochter nach der Geburt und wo die Babys herkämen zu beantworten. Sie beendete den vorhergehenden Bericht: »Ich war völlig überrascht. Obwohl ich die Fragen über Geburt und so weiter erwartete, hatte ich nicht an jene über den Tod gedacht, und meine eigenen Gedanken waren sehr unklar.« Offensichtlich nimmt ein Kind die Angst und Verwirrung solch eines Elternteils zusammen mit jeder verbalen Beschwichtigung, die der Elternteil anbieten СКАЧАТЬ