Название: Person werden
Автор: Dorothea Gnau
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Studien zur systematischen und spirituellen Theologie
isbn: 9783429062194
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Ein Blick auf die gegenwärtige theologische Landschaft zeigt, dass die Themenstellungen, mit denen sich gegenwärtige orthodoxe Theologen auseinandersetzen, viele Berührungspunkte mit Diskussionen in der westlichen Theologie aufweisen. Trotz unterschiedlicher theologischer und geistlicher Tradition sind die Fragen und Probleme, auf die die Theologen antworten wollen, ähnlich, weil auch die Herausforderungen durch gesellschaftliche und politische Umbrüche, die Entwicklungen in der Philosophie und in den Humanwissenschaften gleich oder zumindest ähnlich sind. Im Besonderen gilt dies für das zunehmend als problematisch empfundene Erbe, das orthodoxe wie katholische Theologen an ihren theologischen Fakultäten antreffen.13
Wie in der älteren westlichen ist auch innerhalb der orthodoxen Theologie die Anthropologie selten explizit behandelt worden.14 Bei der starken Betonung der Soteriologie und der präsentisch akzentuierten Eschatologie in der theologischen Tradition des Ostens nehmen anthropologische Fragen jedoch immer schon einen bedeutenden Platz ein. In neuerer Zeit werden sie öfter auch explizit thematisiert. Rezipiert wird diese neuere orthodoxe Anthropologie und Soteriologie jedoch im Westen bisher nur sehr punktuell.15
Auf dem Hintergrund dieser Überlegungen wurde die Vorgehensweise dieser Arbeit gewählt: Die Untersuchung erfolgt nicht in einem Durchgang nach thematischen Gesichtspunkten (z.B. nach Grund-begriffen wie Gottebenbildlichkeit, Sünde, Erlösung), sondern es werden die Ansätze dreier gegenwärtiger Theologen als jeweils in sich geschlossene Entwürfe behandelt.16
Ausgewählt wurden drei gegenwärtige griechische Theologen, deren anthropologische Entwürfe zu den profiliertesten innerhalb der gegenwärtigen orthodoxen Theologie gehören: Panagiotis Nellas, Christos Yannaras und Ioannis Zizioulas. Die Auswahl gerade dieser drei erfolgte aufgrund ihrer Gemeinsamkeiten und ihrer Unterschiede:
Alle drei sind in einem ähnlichen theologischen und gesellschaftlichen Umfeld aufgewachsen und gehören derselben Generation an. Als »Generation der 60er Jahre« in Griechenland bzw. als »mittlere Generation«17 gehören sie zur Schülergeneration der russischen Theologen der Diaspora, die die Umbrüche innerhalb der neueren orthodoxen Theologie maßgeblich initiiert und gestaltet haben und die auch das Bild moderner orthodoxer Theologie im Westen geprägt haben.18 Die Theologen der »mittleren Generation« führen die von diesen auf den Weg gebrachten Grundgedanken einer neopatristischen Synthese weiter, wenden ihre Prinzipien konsequent an und »buchstabieren« sie für die verschiedenen Bereiche der Theologie durch. Die drei griechischen Theologen begannen in der Zeit um das II. Vatikanum ihre Theologie zu entwickeln. Sie stehen damit in einer Zeit ähnlicher Umbrüche, wie sie in derselben Zeit in der römisch-katholischen Kirche zu beobachten sind. Mit ihren westlichen Kollegen teilen sie viele ihrer Anliegen, vor allem das Anliegen, eine Theologie zu formulieren, die Antworten auf die Fragen des modernen Menschen gibt. Ihr Antwortversuch basiert jedoch auf einer anderen, eben der ostkirchlichen Tradition.
Panagiotis Nellas, Christos Yannaras und Ioannis Zizioulas bieten drei inhaltlich unterschiedliche Entwürfe Theologischer Anthropologie, und sie stehen für drei verschiedene Herangehensweisen, die in gewisser Weise als exemplarisch nicht nur für eine orthodoxe Anthropologie gelten können: »philosophisch« –»systematisch-theologisch« – »praktisch-theologisch«.
Christos Yannaras ist nicht nur promovierter Theologe, sondern auch Professor für Philosophie. Sein Anliegen ist es, die Philosophie seiner Zeit, d.h. für ihn insbesondere den Existentialismus, ernst zu nehmen. Vor allem im Denken Martin Heideggers gilt ihm der Existentialismus zugleich als »Ernstfall philosophischen Denkens«. Ein zweites zentrales Anliegen von Yannaras ist es, Verfremdungen und Engführungen in der eigenen Tradition aufzudecken. Als Suche nach dem »originär Griechischen« verknüpft es sich mit einem starken gesellschaftspolitischen Interesse.19
Der systematische Theologe und langjährige Mitarbeiter im Ökumenischen Dialog, der Metropolit von Pergamon Ioannis Zizioulas, legt seinen Schwerpunkt stärker auf die Bezüge innerhalb der Systematischen Theologie. Dabei stehen auch die jeweiligen (Denk-)-Voraussetzungen, methodologische Fragen und insbesondere Fragen der Ekklesiologie im Fokus seines Interesses.
Als Patrologe und Gymnasiallehrer hat Panagiotis Nellas hingegen neben der adäquaten philologischen Analyse der Vätertexte stärker pastorale Fragen im Blick. Zu seinen Interessensschwerpunkten gehören weiterhin die Relevanz eines christlichen Menschenbildes für das Handeln in Politik und Gesellschaft sowie die Verbindung von geistlicher Tradition und Theologie.
II.»Über den Zaun springen«: Zu Ziel und Methode der Arbeit
Viele Theologinnen und Theologen, die über orthodoxe Theologie schreiben, und auch Panagiotis Nellas, Christos Yannaras und Ioannis Zizioulas20, beschreiben auf den ersten Seiten ihrer Arbeiten folgendes Dilemma: Wer über orthodoxe Theologie schreibt, unternimmt den Versuch, eine wissenschaftliche Arbeit über etwas zu verfassen, das sich eben diesem Versuch im Grunde von vornherein entzieht. Er systematisiert, was eigentlich nicht in ein System gepresst werden kann, was ohne die zu Grunde liegende Erfahrung nicht angemessen verstanden, geschweige denn adäquat ausgedrückt werden kann. Sie bedienen sich der Sprache des wissenschaftlichen Diskurses, wo, wenn man es denn überhaupt in Sprache fassen will, bestenfalls die Poesie eine geeignete Form bieten könnte. Zudem ist - mit den Worten von Ioannis Zizioulas - die orthodoxe Theologie (nicht nur die orthodoxe Tradition!) »im Grunde genommen eine Verherrlichung Gottes (eine Doxologie), eine Liturgie, genauer eine eucharistische Theologie«21. In der Auseinandersetzung mit der Anthropologie von Panagiotis Nellas, Christos Yannaras und Ioannis Zizioulas wird deutlich, worin dieses Verständnis von Theologie begründet liegt und warum das Ausgedrückte nicht in seiner Formulierung aufgeht, sondern diese stets übersteigt.22
Die Spannung indes bleibt bestehen. Sie wird noch verstärkt, wenn die Person, die sich mit ostkirchlicher Theologie beschäftigt, nicht einmal selbst in dieser Tradition steht.23 Der evangelische Theologe Friedrich Heyer thematisiert das Problem und kommt für sich zu dem Schluss:
»Dem evangelischen Theologen bleibt so nichts anderes übrig, als sich über den Zaun zu schwingen und die orthodoxe Anthropologie des neuen Menschen als Lutheraner nachzuverstehen.«24
Ein solcher Versuch, sich »über den Zaun zu schwingen« und die theologische Anthropologie von Panagiotis Nellas, Christos Yannaras und Ioannis Zizioulas »nachzuverstehen«, soll in dieser Arbeit unternommen werden. Auch aus diesem Grund wird auf eine rein nach systematischen Gesichtspunkten geordnete Darstellung ebenso verzichtet wie auf eine direkte Gegenüberstellung von östlicher und westlicher Anthropologie. Denn eine solche würde ihr eigenes, westliches Raster der orthodoxen Theologie aufdrängen und stünde damit schnell in der Gefahr, allzu pauschal und holzschnittartig »Äpfel mit Birnen zu vergleichen«, dabei jedoch die Eigenart des anderen nicht ernst zu nehmen. Stattdessen sollen die drei ausgewählten Theologen als Vertreter dreier in sich geschlossener Entwürfe gegenwärtiger griechisch-orthodoxer Anthropologie stehen, СКАЧАТЬ