Der Aktionskreis Halle. Sebastian Holzbrecher
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СКАЧАТЬ des II. Vatikanischen Konzils. Auf Grund der staatlichen Situation sollte die priesterliche Identitätssuche ihren Ausgangspunkt in einem dualistischen Verständnis von Freiheit nehmen: „Wie können wir uns an der Front der Welt zur Freiheit bekennen, wenn wir sie im Innenraum der Kirche nicht besitzen?“119 Gerade die Liturgiekonstitution Sacrosanctum concilium des II. Vatikanums schien Brockhoff in besonderer Weise geeignet, den Geist der Freiheit in der Kirche und vor allem unter den Priestern zu wecken: „Wer die liturgische Konstitution zu lesen versteht, der weiß, wie hier aller Beckmesserei und allem subalternen, rubrizistischen Geist der Todesstoß versetzt wird. Mit der Konstitution sind wir aus der Fessel juristischer Bevormundung befreit worden. Hier ist der Geist der Freiheit entbunden, den die Kirche bei Priestern und Laien notwendig braucht, um die Fragen der Zeit zu bestehen. Gerade an der Stelle der Liturgie wird deutlich, dass die Kirche uns nicht zu Museumswächtern degradieren will, dass gerade hier die Gabe des Geistes an seine Kirche offengelegt wird, deren sie heute so sehr bedarf: Freiheit.“120 Nach Brockhoff sei das Hören auf diesen lebendigen Geist der Freiheit geeignet, um „alte Rollen abzubauen.“121 Priester seien nicht länger „Zionswächter, die darauf zu achten haben, dass Riten und Gebräuche genau eingehalten werden“122 noch „Wachhunde eines allgegenwärtigen Offiziums, die Häresien wittern“123, und keine „Einpeitscher moralischer Prinzipien, die überall Sünden riechen.“124 Die Priester seien vielmehr berufen, Freiheit erfahrbar zu machen, da die Kirche der Raum sein sollte, in dem „der freie Gott dem freien Menschen begegnet.“125 Trotz latenter Formen der Resignation unter den Priestern warb Adolf Brockhoff für einen Aufbruch: „Wenn wir nur die überkommenen Formeln reproduzieren und wiederkäuen, so machen wir uns selbst untauglich für die große Bewegung der Freiheit. Es kommt auf unsere Initiative an, auf unsere Erfindungsgabe in den Raum der Liturgie hinein…Nur wer die sehr menschliche Freiheit in der Kirche wagt, der wird die geistliche Qualität der evangelischen Freiheit gewinnen“126

      Die Diskussionsveranstaltung der Erfurter Priesteramtskandidaten und der Vortrag des Hallenser Studentenpfarrers legten zahlreiche Konfliktfelder offen und deuten auf den damaligen Diskussionsbedarf hin. Es wird aber zugleich deutlich, dass sich die Priester nicht nur als Opfer einer Entwicklung verstanden und ihre Rollenverunsicherung passiv erduldeten. In bestimmten Kreisen begriff man diese Situation durchaus als Kairos. Die Infragestellung der traditionellen Ausrichtung des priesterlichen Lebens auf zeitlose Prinzipien und Forderungen nach Reformen waren in Ost und West ähnlich. Hervorzuheben bleibt allerdings, dass eine Nivellierung des genuin Priesterlichen in der Kirche der DDR trotz mancher Versuche auch deshalb zum Scheitern verurteilt war, weil es den Priestern durch ihre kirchenpolitisch abgesicherte Stellung möglich war, stellvertretend für viele Laien Protest gegenüber dem Staat und seinen Organen zu erheben. In den 60er Jahren organisierten sich verschiedene Gruppen aus Priestern und Laien, die Reformen und Veränderungen in der Kirche und ihrem Verhältnis zum SED-Staat vorbringen wollten.

      1.2Kirchliche „Vorläufergruppen“ und Institutionen

      Es ist eine Reihe von Gruppen, Bewegungen und Institutionen zu nennen, die als Vorläufer oder Impulsgeber für den späteren AKH fungierten. Gerade in der Stadt Halle trafen Reformimpulse auf ein besonders empfängliches kirchliches Klima. Auffallend ist, dass aufgrund der engen personellen Verflechtungen in der DDR vielfach die gleichen Personen in unterschiedlichen Kreisen vertreten waren. Das sich hieraus ergebende Netzwerk sollte für die Gründung und spätere Entwicklung des AKH nicht unbedeutend sein.

      1.2.1Studentengemeinde Halle

      Die katholische Studentengemeinde (KSG) in Halle bildete das personelle und geistige Umfeld, aus dem sich ein wesentlicher Teil der späteren Mitglieder des Aktionskreises rekrutierte.127 Durch ihre Entwicklung, Struktur und Arbeit war die Hallenser KSG geradezu prädestiniert, demokratieorientierte und kirchenkritische Gruppen wie etwa den „Korrespondenz“ – Kreis und später den Aktionskreis Halle hervorzubringen. Die ostdeutschen Hochschul- und Studentengemeinden sind bereits verschiedentlich untersucht worden.128 In den 60er und 70er Jahren zeigte sich ein enormes Potential reformorientierter Strömungen innerhalb der katholischen Studierendenschaft.129 Dabei lassen sich drei ausschlaggebende Tendenzen beobachten: ein Bildungs-, Demokratisierungsund Oppositionstrend.130 Diese weit verbreiteten Strömungen trafen in Halle auf begünstigende personelle und institutionelle Rahmenbedingungen.

      In der Thomas-Morus-Studentengemeinde in Halle war die Bildungsarbeit besonders stark ausgeprägt.131 Aufgrund der ideologischen Prägung der geisteswissenschaftlichen und pädagogischen Studiengänge an staatlichen Universitäten hatte sich die Mehrheit der christlichen Studierenden in naturwissenschaftlich-technische Studiengänge immatrikuliert.132 Dem Defizit an qualifizierter geschichtlicher, ästhetischer und geistlicher Bildung begegnete man durch wöchentlich stattfindende Vortrags- und Veranstaltungsabende in der KSG, an denen bis zu 160 Studentinnen und Studenten teilnahmen.133 Durch persönliche Verbindungen und „verwandtschaftliche“ Kontakte zu den katholischen Hochschulgemeinden in Mainz und Köln wurden die Hallenser Studenten kontinuierlich mit westdeutscher und internationaler Literatur versorgt.134 Schwerpunkte ergaben sich durch die Vorliebe des Kölner Studentenpfarrers auf den Gebieten der Kunst- und Kirchengeschichte.135 Neben den wöchentlichen Veranstaltungen widmete man sich in regelmäßig tagenden Arbeitskreisen den Themen Marxismus, Ostkirche, Sakrament der Ehe, deutsch-polnische und russische Geschichte.136 Bei jährlich stattfindenden Studienwochen wurden unter anderem die Themen: Laie und Kirche (1954); christlich-marxistisches Menschenbild (1957) sowie Autorität und Freiheit (1958) eingehend zwischen externen Referenten und den Studierenden diskutiert.137 Im umfangreichen Kultur- und Theaterprogramm, das von den Studierenden selbst vorbereitet und aufgeführt wurde, fand sich neben klassischem Theater auch die Lesung des nicht unumstrittenen Werkes Rolf Hochhuths „Der Stellvertreter.“138 Insgesamt betrachtet, wirkte die Einheit aus einem breit angelegten Bildungsprogramm und der sich wöchentlich treffenden Gemeinschaft für viele Studenten identitätsstiftend.139 Die KSG wurde so zu einem Ort intellektueller Auseinandersetzung und kameradschaftlicher Verbundenheit. Gezwungen durch die defizitären Strukturen der universitären Allgemeinbildung, wurden die christlichen Hochschulgemeinden zu Orten der außeruniversitären Bildung. Die Auseinandersetzung mit historischen, künstlerischen, theologischen und philosophischen Fragen fand innerhalb der Studentengemeinden großen Zuspruch. Dass sich die Arbeit und Struktur der KSG Halle derart breit gestaltete und regen Zuspruch erfuhr, dürfte nicht unwesentlich in der charismatischen Figur des damaligen Studentenpfarrers begründet gewesen sein. Adolf Brockhoff140 war von 1953 bis 1967 Studentenpfarrer und zugleich Leiter des Sprachenkurses in Halle.141 Pfarrer Brockhoff galt als „ ‚enfant terrible’, knorriger Mann, ‚westfälischer Dickschädel’, profund, tief gläubig, dabei auch kirchenkritisch, charismatisch, mutig, provozierend, kumpelhaft und auch gebildet. Er verstand es, Visionen zu entwickeln; er prägte ganze Studentengenerationen durch seinen Intellekt und seine Persönlichkeit. Er konnte die Studenten zusammenholen und -halten. Er öffnete ihnen im geistigen Bereich Horizonte, die über die Dinge hinausgingen, nicht nur im theologischen, sondern auch im gesellschaftspolitischen Raum.“142 Brockhoffs theologische Einstellungen und seine tief gläubige und zugleich kirchenkritische Art bestimmten den Kreis der Studenten und ihre Auffassung von Glaube und Kirche nachhaltig.

      1.2.2„Korrespondenz“- Kreis

      Ein weiterer wichtiger Wegbereiter für die spätere Gründung des AKH war die sogenannte „Korrespondenz.“143 Diese Gruppe wurde in der zeitgeschichtlichen Diskussion um postkonziliare Aufbruchsbewegungen in der DDR bislang kaum gewürdigt.144 Dies verwundert angesichts ihrer brisanten und provokativen Forderungen im Hinblick auf eine theologisch-politische Auseinandersetzung der katholischen Kirche mit dem SED-Staat.145

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