Название: Der Aktionskreis Halle
Автор: Sebastian Holzbrecher
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Erfurter Theologische Studien
isbn: 9783429061265
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Die Darstellung der Geschichte und Entwicklung des Aktionskreises Halle von 1969 bis 1989 ist zuerst im Kontext der Magdeburger Regional- und Bistumsgeschichte anzusiedeln.8 Wie es zur Gründung einer kirchlichen Gruppierung Ende der sechziger Jahre im Kommissariat Magdeburg, dem Ostteil des Erzbistums Paderborn, kam, was ihre pastoralen Ziele und theologischen Intentionen waren und wie sie sich im kirchenpolitischen Spannungsfeld zwischen SED-Staat und katholischer Kirche bewährte, sind entscheidende Eckpunkte bei der historischen Beschreibung und Einordnung dieser postkonziliaren Reformgruppierung. Da es sich beim Aktionskreis Halle um die einzige Gruppe dieser Art in der gesamten ostdeutschen katholischen Kirche handelt, die in alle Bistümer und Jurisdiktionsgebiete sowie in alle relevanten gesellschaftlichen und kirchlichen Themen hinein vernetzt war, avanciert er zu einem bislang einzigartigen Forschungsgegenstand. Die vielfältigen Verbindungen der Hallenser Protagonisten zu bundesdeutschen Priester- und Solidaritätsgruppen werfen natürlich auch die Frage nach grenzüberschreitenden kirchlichen und theologischen Interdependenzen auf.
Über den regionalgeschichtlichen Ansatz hinaus gewinnt die Darstellung des AKH im Hinblick auf die Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 – 1965) an Relevanz und Bedeutung. Aus der Art und Weise, wie diese basiskirchliche Gemeinschaft - damit ist eine Gruppe von Priestern und Laien definiert, die sich jenseits territorialer Strukturen zusammenfand - das Recht für sich in Anspruch nahm, eine freie Gemeinschaft zu gründen und dabei bestimmte Konstitutionen, Dekrete und Erklärungen des Konzils ohne bischöfliche Autorisierung, ja oftmals gegen sie zu rezipieren, zu interpretieren und pastoral umzusetzen, ließen sich prototypische Rezeptionsweisen herausarbeiten, deren Legitimität vor dem Hintergrund ekklesiologischer Modelle zu analysieren ist. Darüber hinaus kann anhand exemplarischer Vergleiche mit den Positionen des Aktionskreises nachvollzogen werden, ob, wie und ab wann bestimmte Konzilsaussagen durch die ostdeutschen Bischöfe rezipiert wurden. Die komparative Auseinandersetzung mit dem Hallenser Aktionskreis und bestimmten Positionen der ostdeutschen katholischen Bischöfe ermöglicht die Diskussion verschiedener theologischer Fragen. Wie weit wurde die Geschwisterlichkeit des pilgernden Gottesvolkes umgesetzt und dadurch das bisherige eher klerikal dominierte Kirchenverständnis überwunden? Ist die katholische Kirche in der DDR in einen solidarischen Dialog mit ihrer Umwelt eingetreten und hat sie den von Gaudium et spes eingeforderten theologischen Ortswechsel hin zu einer Kirche in der Welt von heute vollzogen? Wurde das erneuerte Laienapostolat in der DDR wahrgenommen und von den Bischöfen gefördert oder distanzierte man sich von diesen konziliaren Aufbrüchen und verhalf dem Modell der „Katholischen Aktion“ letztlich zur Durchsetzung? Weshalb gab es in der DDR kein kirchliches Vereinswesen? Wie reagierte der totalitäre SED-Staat auf eine fest institutionalisierte katholische Reformgruppe und wie reagierte man schließlich kirchlicherseits unter den Bedingungen einer totalitären Diktatur auf interne Kritik und die zum Teil scharfe Infragestellung pastoraler und kirchenpolitischer Konzepte?
Innerkirchliches „Dissidententum“ und „Nonkonformismus“ waren in der katholischen Kirche in der DDR keine weit verbreiteten Phänomene. Ihre Erforschung ermöglicht daher kaum verallgemeinerbare Aussagen über den DDR-Katholizismus insgesamt, hinterfragt aber das Bild eines „monolithischen Blocks“, für den der ostdeutsche Katholizismus lange Zeit gehalten wurde. Dem Aktionskreis Halle kommt daher unter verschiedenen Blickwinkeln eine Sonderstellung als Kristallisationspunkt für die regionale Kirchen- und Theologiegeschichte Ostdeutschlands zu. Die Erforschung seiner Geschichte liefert daher einen pastoral sowie kirchenpolitisch angelegten Beitrag zu einer noch zu verfassenden Gesamtdarstellung der Kirchengeschichte der DDR.
Die leitenden Thesen dieser Dissertation lauten: Der Aktionskreis Halle hat theologisch legitimiert die Aussagen des II. Vatikanischen Konzils selbstständig und partiell autonom rezipiert und ist aufgrund der hieraus gefolgerten Positionen und Ansprüche in teils massiven Konflikt zum Magdeburger Bischof und der ostdeutschen Ordinarien- und späteren Bischofskonferenz sowie dem SED-Staat geraten. Durch seine Interpretation und Umsetzung von Geist und Buchstabe des Konzils in den 70er Jahren hat er Wege beschritten, die für einzelne Bischöfe Anfang der 80er Jahre anschlussfähig waren. Als wohl einzige öffentlich agierende katholische Vereinigung aus Priestern und Laien in der DDR hat er dazu beigetragen, dass sich kirchliches Leben jenseits von Pfarrgemeindestrukturen entwickeln konnte und hier neue Freiräume entstanden.
2.Forschungsstand
Beim Stand der Forschungen ist hinsichtlich der beiden Themengebiete Aktionskreis Halle und Konzilsrezeption in der DDR zu differenzieren. Zu Geschichte und Entwicklung des AKH liegen bislang eine Monographie9, ein Lexikoneintrag10 sowie verschiedene publizistische und wissenschaftliche Artikel11 vor. Auffallend ist, dass es vor allem Mitglieder des Aktionskreises selbst waren, die über ihn veröffentlichten.12 Darüber hinaus wurden die Gruppe und ihr Engagement in zeitgenössischen Kommentierungen bundesdeutscher Autoren13 ebenso thematisiert wie in jüngeren Beschreibungen zeitgeschichtlicher Sekundärliteratur.14
Der AKH wird dabei sowohl aus historischer, politikwissenschaftlicher, soziologischer und theologischer Perspektive betrachtet und als „innerhalb wie außerhalb der DDR[…]wohl bekannteste innerkirchliche Basisgruppe“15 beschrieben, die sich „kirchenkritisch, nicht kirchenfeindlich“16 „auf den Geist und die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils“17 berief und durch ihr Wirken ein „prophetisches Wächteramt“18 in der ostdeutschen Kirche wahrnahm sowie aufgrund der Konfrontation mit Staat und Kirche in einer „dreifachen Diaspora“19 existierte. Die bisherigen Publikationen über den Aktionskreis skizzieren zumeist knapp die Entstehung, Struktur und Tätigkeit der Gruppe und weisen in unterschiedlicher Ausführlichkeit auf die Auseinandersetzungen mit dem SED-Staat und den katholischen Bischöfen in einer „unheiligen Allianz“20 hin.21 Nur wenige Beiträge greifen in ihren Darstellungen und Einschätzungen auf Quellen zurück; zumeist handelt es sich um zeitgenössische Beobachtungen oder um Kompilationen bisheriger Darstellungen. Noch immer gibt es zum Teil erhebliche Differenzen darüber, was der Aktionskreis war und welche Ziele er verfolgte bishin, dass es nicht immer gelingt, die Abkürzung AKH exakt aufzuschlüsseln.22
Eine umfassende Analyse der ostdeutschen Konzilsbeteiligung und der anschließenden Konzilsrezeption in der katholischen Kirche in der DDR steht, ebenso wie für den bundesdeutschen Katholizismus23, noch aus. Erste Forschungen für die katholische Kirche in der DDR konnten Entwicklungslinien und zentrale Themen, beteiligte Personen und Institutionen sowie verschiedene Konfliktfelder der Konzilsrezeption herausarbeiten.24 Eine Verknüpfung beider Forschungsansätze in einer Geschichte der Konzilsrezeption durch den AKH ist bislang nur vereinzelt in den Blick gekommen.25
Trotz des keineswegs unprofilierten Forschungsstandes ergeben sich verschiedene Desiderate und offene Fragen. Bislang fehlt eine ausführliche Darstellung, Analyse und Einordnung dieser innerkirchlichen Basisgruppe aufgrund von Kategorien und Maßstäben, die sich am Selbstverständnis und dem historischtheologischen Kontext des Forschungsgegenstandes orientieren. Die bisher eher fragmentarische Übersicht zur tatsächlichen Aktivität des Kreises vermag es zudem nicht, die Relevanz seiner Beiträge für die katholische Kirche in der DDR überzeugend darzustellen und kritisch einzuordnen. Dies liegt nicht zuletzt im Mangel eines geeigneten Bezugssystems begründet, anhand dessen sein Wirken verglichen und beurteilt werden könnte. Die zahlreichen Darstellungen konstatieren zwar ausnahmslos die Konfliktsituation des Hallenser Aktionskreises zwischen Staat und Kirche und beschreiben die Auseinandersetzungen mitunter aus Sicht der Betroffenen. Der bisherige Forschungsstand entbehrt aber einer objektiven und umfassenden Darstellung dieser Konfrontationen СКАЧАТЬ