In der Fremde glauben. Torsten W. Müller
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Название: In der Fremde glauben

Автор: Torsten W. Müller

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия: Erfurter Theologische Studien

isbn: 9783429061883

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СКАЧАТЬ pastorale Besonderheit des Jurisdiktionsbezirks – des heutigen Bistums Erfurt – ausmachen. Zentrale „Bausteine der konfessionellen Identität“93 und der Beheimatung werden eingehend beschrieben und anhand konkreter Fallbeispiele untersucht.

      Zu den Forschungsdesideraten der zeitgeschichtlichen Katholizismusforschung gehören vor allem auch die informellen Verbindungen innerhalb der Gruppe der Vertriebenen – unter Umgehung des staatlichen Koalitionsverbotes – und ihre Auswirkungen auf die Identitäten der Zugezogenen. Trotz der repressiven Grundhaltung des herrschenden Regimes konnten im ersten Nachkriegsjahrzehnt unter den Vertriebenen viele Selbstorganisations- und Kommunikationsphänomene beobachtet werden, die von der Forschung bisher nur unzureichend wahrgenommen und gewichtet worden sind.94 Außerdem lässt eine Analyse der Medien der Meinungsbildung, d.h. kirchliche Zeitungen und Literatur der (Vertriebenen-)Seelsorge, aufschlussreiche Ergebnisse erwarten.95

      Es ist weiterhin auf das Phänomen einzugehen, dass große Teile der geflüchteten und vertriebenen Katholiken nach einigen Jahren offenbar ihre (äußere) Kirchenbindung verloren haben. Es wird zu untersuchen sein, wie dabei der politische Druck einerseits und der Verlust der aus der alten Heimat überkommenen Volkskirchlichkeit andererseits zusammenhängen, da im Ostteil der Diözese Fulda auch durch den Zuzug der „Neubürger“ keine Volkskirche entstehen konnte, sondern die Diasporasituation für die gesamte DDR-Zeit prägend bleiben sollte.

      Die Arbeit gliedert sich in drei große Kapitel: Die Voraussetzungen der Vertriebenenseelsorge, die Wege zu Identität und Beheimatung sowie die Vorstellung kirchlicher Akteure in diesem Prozess. Im ersten Kapitel werden die verschiedenen Migrationsbewegungen nach Mitteldeutschland und die damit verbundenen Herausforderungen für die katholische Kirche beschrieben; breiteren Raum nimmt die Ankunft der Heimatvertriebenen aus Ostmitteleuropa ein. Die personellen und jurisdiktionellen Änderungen der Diasporakirche im Ostteil der Diözese Fulda stehen dabei im Mittelpunkt.

      Das zweite Kapitel beschreibt die verschiedenen Wege der Identitätssuche und Versuche der Beheimatung der katholischen Heimatvertriebenen im Aufnahmegebiet. Allen voran stehen die Hilfen der Caritas, die Zugezogenen leiblich zu versorgen. Daneben war man aber ebenso bemüht, den Vertriebenen eine seelsorgliche Betreuung zukommen zu lassen. Ziel aller Seelsorge war die Sammlung der Katholiken und der Aufbau von Gemeinden. Dieser Prozess wurde geistlich begleitet von theologischen Deutungen, die man mit dem Begriffspaar „Heilige Heimat“ zu umschreiben suchte. Das Themenfeld Wallfahrten gilt es ebenso, hinsichtlich der Thematik zu untersuchen. Die Begegnungen der Konfessionen waren im Aufnahmegebiet geradezu unumgänglich, wobei die Nutzung evangelischer Kirchen für den katholischen Gottesdienst eine „räumliche Ökumene“ beförderte. Stets war man aber bemüht, einen eigenen Gottesdienstraum oder einen Kirchenneubau zu realisieren.

      Die kirchlichen Akteure in diesem Prozess der Ankunft, Aufnahme und Beheimatung stehen im Mittelpunkt des dritten und letzten Kapitels: Priester, Seelsorgshelferinnen und Ordensangehörige, die nach Mitteldeutschland einströmten. Ein Resümee rundet die Arbeit ab.

      Um das Thema vernetzt und perspektivisch darstellen zu können, werden verschiedene methodische Ansätze gewählt. Mit der ereignisgeschichtlichen Methode wird deskriptiv der Ablauf der Geschehnisse der Jahre 1945 bis 1955 dargestellt. Anhand der strukturgeschichtlichen Methode werden die Aufnahmegebiete näher in den Blick genommen, um gleichsam komparativ Mentalitäten, „Milieus“ sowie kirchliche und weltliche Eliten zu untersuchen. Die ideengeschichtliche/theologische Methode greift das Thema unter einem anderen Gesichtspunkt auf, wobei besonders theologische Grundüberzeugungen, seelsorgliche Konzepte und deren Auswirkungen auf die Pastoral in einer zunehmend säkularen Umwelt reflektiert und dargestellt werden.

       1.5 Quellen

      Die Dissertation fußt primär auf schriftlichen Quellen unterschiedlichster Provenienz, die sich in den Archiven des Landes Thüringen befinden. Vor allem wurden kirchliche Archive konsultiert. Hier wäre zunächst das Bistumsarchiv der Diözese Erfurt zu nennen, das eine nahezu lückenlose Überlieferung an Akten aus der Zeit zwischen 1945 und 1955 aufweist. Dies sind vor allem die so genannten „Flüchtlingsakten“, von denen man einen guten Überblick über die ersten Nachkriegsjahre in Mitteldeutschland bekommt. Aber auch Aktenbestände, die die Seelsorge und Caritas betreffen, die Stellenakten der einzelnen Pfarreien und Seelsorgestellen sowie der allgemeine Aktenbestand der Nachkriegsjahre wurden ausgewertet. Weiterhin enthält das Archiv die Korrespondenz der thüringischen Geistlichkeit mit der Diözesanleitung in Fulda, die Aufschluss über die sich seit 1945 entwickelnden eigenen jurisdiktionellen Verhältnisse in Thüringen gibt. Das Bistumsarchiv in Fulda bewahrt Akten über die Beziehungen des westlichen Diözesananteils zu seinem in der SBZ gelegenen Territorium. Auch die Flüchtlingsproblematik wird hierin vermehrt thematisiert. Das Archiv des Erzbistums Köln enthält Akten der Kriegs- und Nachkriegszeit, die auch das Bistum Fulda betreffen, da rheinische Katholiken während des Bombenkrieges in Thüringen untergebracht waren und der damalige Kölner Erzbischof Josef Frings96 nach 1945 Anlaufstelle für ostdeutsche Flüchtlinge und ihre Anliegen war. Sie wurden für eine Auswertung ebenso herangezogen wie die Überlieferungen im Bischöflichen Kommissariatsarchiv Heiligenstadt, im Bischöflichen Bauamt Erfurt und in Ordensarchiven.

      Um die Vertriebenen-Thematik in Thüringen möglichst detailliert darzustellen, konnte auf die intensive Recherche in den einzelnen Pfarrarchiven der Städte und Dörfer Thüringens nicht verzichtet werden. Dort befindliche, handgeschriebene oder gedruckte Pfarrchroniken ehemaliger Seelsorger und relevante Akten haben die Arbeit in wesentlichen Punkten ergänzt.

      Neben kirchlichen wurden auch staatliche Archive für die Dissertation herangezogen. Vor allem das Hauptstaatsarchiv in Weimar enthält Akten der Sowjetischen Militäradministration in Thüringen, Akten der ersten Nachkriegs-Landesregierung und Akten der Thüringer SED. Auch die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR wurden für das Projekt eingesehen und ausgewertet, da bereits in den 1950er Jahren die Tätigkeiten der katholischen Kirche immer Anlass für eine Überwachung durch MfS-Mitarbeiter waren. Das Bundesarchiv in Berlin enthielt wichtige Details, genauso wie das Staatsarchiv Gotha, das Stadtarchiv in Heiligenstadt und das Archiv des Landkreises Eichsfeld.

      Selbstverständlich gilt, dass nicht allen Überlieferungen der gleiche Quellenwert zukommt. Besonders die unter zahlreichen Enttäuschungen und Entbehrungen verfassten Erlebnisberichte offenbaren eine selektive Wiedergabe der Wirklichkeit. Die staatlichen Akten geben die kirchlichen Zusammenhänge und Lebensvollzüge oftmals verkürzt, zumeist aber verfälscht wieder.

      1G. Dolge, Die Kirche, die aus dem Osten kam, in: Freies Wort. Ilm-Kreis, 5.12.2012. Der Erfurter Kirchenhistoriker Josef Pilvousek griff diese journalistische Formulierung auf und verwendete sie als Titel für seine Abschiedsvorlesung am 7.6.2013 im Erfurter Mariendom. J. Pilvousek, "Kirche, die aus dem Osten kam". Zum Stand zeitgeschichtlicher Katholizismusforschung in den Neuen Ländern, in: Jahrbuch für mitteldeutsche Kirchen- und Ordensgeschichte 9 (2013) 277-287.

      2Joachim Garstecki, der frühere Generalsekretär von „Pax Christi“, vermittelte einen ersten Einblick in die Problematik, als er 1992 in einem Interview über die Katholische Kirche in der Bundesrepublik und in der ehemaligen DDR sowie den Einigungsprozess sagte: „[…] es stoßen im Grunde zwei sehr unterschiedliche Katholizismen aufeinander: Im Westen der im wesentlichen rheinisch-westfälisch geprägte, der auch gewohnt ist, sich politisch zu artikulieren, und der nicht gerade durch eine große Staatsferne charakterisiert ist; im Osten dagegen ein im wesentlichen schlesisch geprägter Katholizismus. Da gibt es schon rein mental Unterschiede, wie man sie sich größer gar nicht vorstellen kann. Der politisch erprobte, wache, rheinisch-westfälisch geprägte Katholizismus stößt auf einen schlesischen Katholizismus in Berlin, Görlitz oder Meißen, der gegenüber Staat und Öffentlichkeit seit den Kulturkampfzeiten des ausgehenden 19. Jahrhunderts äußerst defensiv eingestellt ist. Das kann СКАЧАТЬ