Название: In der Fremde glauben
Автор: Torsten W. Müller
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Erfurter Theologische Studien
isbn: 9783429061883
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Die Thematik der katholischen Vertriebenen in der SBZ/DDR griff als erster Josef Pilvousek 1993 auf.38 Er stellte zunächst statistische Daten vor, die die extremen Verschiebungen innerhalb der katholischen Kirche in diesem Bereich aufzeigten, und untersuchte Integrationsversuche der Ortskirche. Sein Fokus lag darüber hinaus auf der Problematik des Bleibens. Auf regionale Besonderheiten bzw. eine tiefer gehende Betrachtung der genauen Vorgänge konnte Pilvousek in diesem ersten Übersichtsartikel nicht näher eingehen. Weitere Artikel Pilvouseks sollten das Forschungsfeld der katholischen Heimatvertriebenen in der SBZ/DDR weiter ergänzen.
Die von ihm 1995 eingeführte Prozessbeschreibung „Von der ‚Flüchtlingskirche‘ zur ‚Katholischen Kirche in der DDR‘“39 charakterisiert wohl den mitteldeutschen Katholizismus treffend, jedenfalls wird der Begriff der „Flüchtlingskirche“ seither von zahlreichen anderen Autoren benutzt.
Das methodische Vorgehen und die zu verwendende Terminologie wurden in einem Grundlagen-Aufsatz konkretisiert.40 Darin favorisiert Pilvousek für die Katholizismusforschung in der SBZ/DDR den Begriff der „Beheimatung“ anstelle des Integrations-Terminus. 2009 gab er zusammen mit Elisabeth Preuß einen Sammelband zu dieser Thematik heraus, wobei auch staatliche Integrationsversuche Berücksichtigung fanden.41
Verschiedene Aufsätze und Artikel beschreiben Einzelaspekte der Eingliederung der katholischen Vertriebenen und ihrer Priester näher. 2009 schrieb Pilvousek über Gottesdiensträume und Seelsorger als drängendste Probleme der katholischen Kirche der Nachkriegszeit,42 im selben Jahr über die hl. Hedwig von Schlesien und ihre Verehrung in der SBZ/DDR.43 Den besonderen Lebensschicksalen heimatvertriebener Priester wandte er sich 2009 in einem Aufsatz in der „Römischen Quartalschrift“ zu.44 Über die evakuierten katholischen Rheinländer während des Zweiten Weltkrieges im Gau Thüringen45 sowie über die Schwierigkeiten und Chancen katholischen Gottesdienstes in evangelischen Kirchen Mitteldeutschlands während der Kriegs- und Nachkriegszeit46 informieren zwei weitere Aufsätze aus der Feder Pilvouseks.
Einzelne Jurisdiktionsgebiete und Regionen sind bereits Gegenstand eingehender Forschung gewesen. Für den östlichen Anteil der Diözese Osnabrück – das spätere Bischöfliche Kommissariat Schwerin – liegt mit der „Chronik des Bischöflichen Kommissariates Schwerin 1946-1973“ eine fundierte Darstellung der Migrationsbewegungen und der damit einhergehenden Probleme für die katholische Kirche in Mecklenburg vor.47
Dr. Martin Holz erforschte in seiner Dissertation das Wachstum der katholischen Diasporagemeinden und die sich daraus ergebenden neuen Perspektiven für die katholische Kirche auf der Insel Rügen. Die Monographie stellt exemplarisch die Untersuchung eines geschlossenen Gebietes – hier bedingt durch die Insellage – dar.48
In meiner Diplomarbeit habe ich die Problematik der Heimatvertriebenen in der katholischen Ankunftsgesellschaft des Eichsfeldes erforscht, das durch seine katholische Bevölkerungsmehrheit eine Besonderheit in der durch die Diasporasituation gekennzeichneten Kirche in der SBZ/DDR darstellt. Innerhalb des Migrationsgeschehens war dieses Gebiet durch seine exponierte Grenzlage besonders betroffen. Die Studie betrachtete vor allem die Rolle der katholischen Kirche und ihren Einsatz für die Flüchtlinge; eine Beheimatung der Vertriebenen in die homogene Welt des katholischen Eichsfeldes gelang trotz aller Bemühungen nicht.49
Weitere Monografien behandeln die Heimatvertriebenen, vernetzen das Thema aber nicht breit genug oder marginalisieren die integrationshemmenden Interessenkonflikte. Wolfgang Tischner50, der eine Studie über die Anfangsjahre der katholischen Kirche in der SBZ/DDR vorlegte, erwähnt den Zuwachs der Katholiken nach 1945 auf dem Gebiet der SBZ/DDR, wobei er den Integrationsprozess der Vertriebenen in die bestehenden Gemeinden als problemlos bezeichnet. Er bezieht die Thematik einer Beheimatung der heimatlos Gewordenen nicht als solche ein, obwohl er mehrfach die Veränderung der Großgruppe der Katholiken durch den Zustrom von Flüchtlingen und Vertriebenen anführt.
Vor allem das Verhältnis Staat-Kirche stellt Birgit Mitzscherlich51 in ihrer Dissertation über das Bistum Meißen 1933 bis 1951 in den Vordergrund. Der Flüchtlingsproblematik widmet sie nur wenige Textseiten. Dabei streift sie lediglich kursorisch kirchliche und staatliche Eingliederungsmaßnahmen.
Ulrike Winterstein beschreibt in ihrer Dissertation den vertriebenen Klerus im Aufnahmeland Sachsen und betrachtet das Thema unter dem Aspekt der Elitenforschung.52 Die Selbst- wie auch Fremdwahrnehmung der „Ostpriester“ war jedoch weit davon entfernt, sich als „Führungselite“ zu verstehen. Den heimatvertriebenen Klerus als „Elitegruppe“ zu bezeichnen, scheint auch deshalb unangebracht, da dieser Terminus, der soziologische Wurzeln hat, in den Quellen selbst nicht vorkommt und auch sonst kaum das Wesen und Selbstverständnis der heimatvertriebenen Geistlichen trifft.
Biografische Zugänge zur Thematik wählten mehrere Autoren. Konrad Hartelt stellte drei heimatvertriebene Schlesier und spätere Protagonisten der katholischen Kirche in der SBZ/DDR mit je einer Monografie näher vor: Kapitelsvikar Dr. Ferdinand Piontek53 und Prälat Dr. Joseph Negwer54, die beide in Breslau führende Ämter inne hatten und nach der Vertreibung in Mitteldeutschland tätig wurden. Auch der spätere Kapitelsvikar und Bischof von Dresden-Meißen, Gerhard Schaffran, stammte aus Schlesien und wurde zu einer prägenden Gestalt des mitteldeutschen Katholizismus. Einem Teil seines Lebens widmet Hartelt eine Biografie.55 Sebastian Holzbrecher stellte in seiner Diplomarbeit das Schicksal des letzten deutschen Weihbischofs in Breslau, Joseph Ferche, dar, der nach einem kurzen Aufenthalt in Thüringen in Köln ansässig wurde.56 Unverkennbar ist bereits hier der Einfluss der Schlesier auf Leben, Wirken und Struktur der katholischen Kirche in der SBZ/DDR; einen Überblicksartikel zu dieser Tatsache verfasste der Erfurter Pastoraltheologe Franz-Georg Friemel.57
Allgemeinhistorische Darstellungen sowie vernetzende Gesamtüberblicke zur Flüchtlings- und Eingliederungsforschung speziell für Thüringen liegen bislang kaum vor. Über die gesamte SBZ/DDR informiert das umfassende Standardwerk von Michael Schwartz.58 Lediglich Manfred Wille, ehemaliger Professor für Zeitgeschichte in Magdeburg und Vorreiter bei der Erforschung der Vertriebenenproblematik in der DDR, veröffentlichte 2006 eine Monografie, die die Aufnahme und Eingliederung der Heimatvertriebenen in Thüringen dokumentiert.59 Der eigentliche Text der Darstellung umfasst nur 37 Seiten, ein umfangreicher Dokumentenanhang schließt sich an. Seine Mitarbeiterin Steffi Kaltenborn legte 1989 ihre Dissertation „Die Lösung des Umsiedlerproblems auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik dargestellt am Beispiel des Landes Thüringen (1945-1948)“ vor.60 Sie ist im Stil und Duktus einer DDR-Abschlussarbeit verfasst, steht innerhalb des Grundrahmens des SED-Geschichtsbildes und wurde nie publiziert, obwohl die Arbeit eine Fülle an neuen Erkenntnissen liefert. Die Verfasserin schrieb aber einige Aufsätze, die sich thematisch an die Dissertation anlehnen61, einen längeren über die Wohn- und Lebensverhältnisse der Vertriebenen in Thüringen62 sowie über die Ansiedlung Gablonzer Industrie im Kreis Gotha.63
Innerhalb der volkskundlichen Erzählforschung Thüringens rücken seit 1995 die Heimatvertriebenen stärker in den Fokus der Betrachtung. Ein erster Aufsatz64 von Gudrun Braune sowie ein umfangreicher Band mit neun biografischen Skizzen geben Einblicke in die Lebenswelt von Flüchtlingen und Vertriebenen auf der Basis von Zeitzeugeninterviews.65 Lebensgeschichtliche Erinnerungen von Vertriebenen über die Ankunft in Thüringen liegen mehrfach gedruckt vor.66
Einige wenige Ortschroniken und Stadtgeschichten haben in letzten Jahren die Vertriebenenproblematik aufgegriffen und auf breiterem Raum dargestellt.67 Allerdings spielen СКАЧАТЬ