Название: Vom Lieben und vom Sterben
Автор: Bertram Dickerhof
Издательство: Bookwire
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783429065263
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Haben unsere drei Magier eine solche Transzendenzerfahrung gemacht? Dazu würde ihre Deutung vom „neugeborenen König der Juden“ passen. Der König wurde in besonderer Nähe zur Gottheit eines Volkes gesehen, in deren Sinn er ja regieren soll, und die Juden waren jenes Volk, das eine einzige transzendente Gottheit verehrte, die kein Bild darstellen und kein Name benennen konnte. Außerdem kann eine Transzendenzerfahrung die Sehnsucht wecken, zu suchen, was über alles hinaus ist, ihm zu huldigen und dabei auch bei seinem wahren Selbst anzukommen.
Auf Grund ihrer Deutung wissen die drei Magier, dass sie nach Jerusalem ziehen müssen, um den neugeborenen Judenkönig zu finden. Der Stern taucht bei diesem Teil der Reise nicht auf. Wozu auch? Die Magier brauchen ihn nicht. Sie meinen zu wissen, wohin sie zu gehen haben.
Und so scheitert ihre Suche. Jerusalem ist nicht ganz falsch, aber kein neugeborener König ist an ihrem Ziel. Niemand in Jerusalem weiß etwas von ihm. Die Botschaft, die ihr Fragen nach ihm enthält, ist schlecht für die Eliten: ein neugeborener König könnte die Machtverhältnisse umkehren, die Gewohnheiten stören, die Besitzstände gefährden, jedenfalls eine Verschlechterung ihrer Verhältnisse bedeuten. Entsprechend ist Jerusalem Enttäuschung, Widerstand und Feindseligkeit für die Magier, die darauf mit Lähmung, Angst und Ohnmacht reagieren werden. Jedenfalls treten sie in der langen Textpassage, die in Jerusalem spielt, als Handlungssubjekte nicht mehr auf. Auf Veranlassung des Herodes finden die jüdischen Wissenschaftler den Geburtsort des neuen Königs aus ihren alten Schriften heraus. Niemand in Jerusalem ist daran interessiert, ihn zu suchen. Finden will ihn jedoch Herodes, um den etwaigen Konkurrenten auszuschalten: Auf unseren Abschnitt folgt bei Matthäus die Geschichte vom Kindermord in Bethlehem, den Herodes veranlasste, der zwar nicht historisch sein wird, aber die historische Machtgier und Grausamkeit dieses Königs unterstreicht. Zu diesem Zweck will der König die Magier als seine Spione verwenden. So teilt er ihnen heimlich den Geburtsort mit.
Die drei brechen auf – das ist die einzige Wirkung des konspirativen Treffens. Sie gehen nun nicht gezielt nach Bethlehem, sondern wandern in einer ganz neuen Weise: Der Stern ist wieder da. Von ihm lassen sie sich führen, nicht von eigenen Absichten oder der Anweisung des Herodes. Um dem Stern folgen zu können, müssen sie nachts unterwegs sein. Aber nachts kann man nicht reisen, schon gar nicht als Fremder im zerklüfteten Bergland von Judäa. Wenn ihre Reise nach Jerusalem noch eine historische Reise gewesen sein könnte, ihr jetziger Weg ist es sicher nicht: Er ist eine innere Reise, die punktgenau zum Gesuchten führt.
Worin liegt der Unterschied der beiden Wegabschnitte? Im ersten Abschnitt ihrer Suche suchen sie die Verwirklichung der Vorstellung, die sie sich von ihrem ursprünglichen Erleben gemacht haben: Das ist Jerusalem, und das finden sie. Was sie zu finden ersehnten, konnten sie nicht finden, weil sie sich von ihrem ursprünglichen Erleben zugunsten ihres Begriffs davon entfernt hatten. Jerusalem lehrt sie, ihre Vorstellung vom Gesuchten loszulassen und offen zu werden. Denn „etwas“ im Sinne ihrer Vorstellungen und Begrifflichkeiten können sie nicht mehr suchen. Beim zweiten Teil der Suche ist der Stern wieder da, d. h. das ursprüngliche Erleben und die Sehnsucht, die sie zu ihrer Reise bewegt haben. Und nun reisen sie „nachts“. Wer nachts reist, der sieht nichts, der hört nichts …, d. h., es gibt keine von der Gegenwärtigkeit des Sterns ablenkenden Sinneswahrnehmungen. Da ist nichts, was der Verstand zu Gegenständen verarbeiten könnte, mit denen er sich dann beschäftigt. Es ist still in ihnen. Sie sind ganz gesammelt. Es gibt lediglich ein offenes Gewahrsein ohne Objekte. Wer aber aufgegeben hat zu wissen, wonach er sucht, der kann nicht proaktiv suchen. Er kann kein Finden anstreben. Alles ist Offenheit, Empfänglichkeit und Sich-Überlassen. So kann der Stern die drei bewegen. Ein Weg, den sie in sehr großer Freude zurücklegen.
Wieso sind die Magier nicht von Anfang an so gereist? Ich nehme an, sie sind gar nicht auf die Idee gekommen, weil sie die Fähigkeit dazu auch nicht hatten. Zwischen Teil eins und Teil zwei der Suche liegt der lange Aufenthalt in Jerusalem; zumindest spielen etwa zwei Drittel des Textes dort. Jerusalem muss die Reisenden verwandelt haben. In Jerusalem muss ihnen die Fähigkeit zugewachsen sein, den Stern wiedersehen und ihm folgen zu können. Jerusalem ist jedoch die Erfahrung des Scheiterns, der Enttäuschung, des Widerstandes und der Ohnmacht. All dies haben sie ausgehalten. Sie sind nicht weggegangen, haben nicht aufgegeben. Gut, dass sie zu dritt waren und sich gegenseitig Mut machen konnten! Aktiv waren die Jerusalemer, auch in ihrer Ablehnung, um nicht zu sagen Feindschaft gegenüber den drei Suchenden. Der Anteil der Magier an den Vorgängen in Jerusalem war, zu warten, zu dulden, die Ohnmacht zu bejahen, Enttäuschung und Widrigkeiten zu durchleben.
30 Jahre später wird in derselben Stadt der König der Juden, nach dem die Magier jetzt als Neugeborenem suchen, am Kreuz scheitern und vollkommen eins werden mit dem Geheimnis des Seins. Das Hineingehen in die Grenzen, die das Leben den eigenen Vorstellungen und dem damit verbundenen Streben immer wieder setzt, scheint die Weise zu sein, wie das Suchen nach bleibender Erfüllung und das endgültige und wahrhafte Ankommen bei sich selbst gelernt und verwirklicht werden.
Schließlich bleibt der Stern stehen. Dann ist die Stille in ihnen vollkommen. Alles ruht, alles Streben, alles Denken. Es gibt nur noch die Bewusstheit völliger Offenheit. So gelangen sie in das Haus, in dem das nicht mehr gesuchte Gefundene wohnt und sich zu sehen gibt. Was das ist, bleibt letztlich so unaussprechlich wie das Ursprungserleben der ganzen Reise. Doch ergreift es die drei derart, dass sie niederfallen und anbeten. Da es jedoch in unserer Geschichte symbolisiert wird durch das Kind und Maria, seine Mutter, liegt es nahe zu vermuten, dass die Leere ihres Bewusstseins von Liebe erfüllt ist. Vollkommene Stille, Leerheit und Fülle der Liebe fallen hier paradoxerweise in eins. Ins Haus gelangend sind sie zu Hause angekommen, bei ihrem ureigenen Grund, sind sie behütet und beschützt. Haben sie erlebt, was der Psalm 131 ausdrückt?
HERR, mein Herz überhebt sich nicht, nicht hochmütig blicken meine Augen, ich gehe nicht um mit großen Dingen, mit Dingen, die mir nicht begreiflich sind. Vielmehr habe ich besänftigt, habe zur Ruhe gebracht meine Seele. Wie ein gestilltes Kind bei seiner Mutter, wie das gestillte Kind, so ist meine Seele in mir. Israel, warte auf den HERRN von nun an bis in Ewigkeit!
Die Liebe zwischen der irdischen Mutter und ihrem Kind vermittelt die unbedingte, selbstlose, sich hingebende Liebe Gottes, die ermöglicht, wahrhaft bei sich selbst anzukommen und eins mit ihr zu werden. Das Kind ist gestillt: Alle Unruhe, alles Streben, alles Verstehen-Müssen ist zur Ruhe gekommen. Das Ego ist gelassen, das Ich vergessen. Nichts fehlt. Pure Gegenwart, reine Begegnung, personales Sein.
Das Erwachen zur Einheit mit sich selbst und mit allem und dem Grund von allem mag von Glückseligkeit begleitet sein. Sie wäre gewissermaßen der Tau des Geschehens auf den Gefühlen. Das Geschehen selbst ist rein geistiger Natur, Mitteilung von Geist und Leben. Es bewirkt ein nichtwissendes Wissen von hoher Gewissheit, das das Leben in der Tiefe verändert und seine bisherigen Werte umwertet. Wer solche Erfüllung seiner Sehnsucht erfahren hat, will sich nun dem Geheimnis der Liebe zur Verfügung stellen. Er möchte dienen und zum Boten der Liebe werden, die er empfängt und durch sich hindurchströmen lässt. Er hat verstanden, dass die Erfüllung die Suchenden sucht, die, wie die Magier, nur gefunden werden können, wenn sie ihr proaktives Suchen, Streben und Machen aufgeben, sich der Gegenwart öffnen und geschehen lassen, was geschieht. Der persische Mystiker Rumi (1207–1273) spricht diese Wahrheit folgendermaßen aus:
„Liebe,
wenn ich nach dir Ausschau halte,
merke ich, dass du mich suchst.
Wenn ich meine Blicke schweifen lasse,
finde ich die Locken deines Haars
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