Название: Balancieren statt ausschließen
Автор: Hildegard Wustmans
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge
isbn: 9783429060312
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• Wir erleben uns ganzheitlich
Die Themen der Frauenliturgie werden nie allein kognitiv behandelt, sondern immer mit kreativen Elementen zugänglich gemacht. […] Wir nehmen uns selbst, die anderen und die Inhalte mit allen Sinnen wahr und verleihen unseren Gefühlen auch körperlich Ausdruck.
• Wir entwickeln eigene Formen der Liturgiegestaltung
Die Liturgien haben kein festes, vorgeschriebenes Schema. Die einzelnen Ausgestaltungen werden immer wieder neu, in Bezug auf ein bestimmtes Thema, erdacht. Dennoch gibt es wiederkehrende Elemente, in deren Entwicklung viele Ideen einzelner Frauen einfließen. […]
• Das Gottesbild der Frauenliturgie bleibt offen
Uns geht es darum, uns als Frauen im Göttlichen und das Göttliche in uns wiederzufinden. Dabei wollen wir kein für alle verbindliches Gottesbild festlegen. Vielmehr nehmen wir jede Frau als Beziehungspartnerin Gottes ernst. […] Dabei entdecken wir alte Bilder unserer AhnInnen und entwickeln neue.
• Frauenliturgien dienen der Ermutigung
Die Liturgien ermutigen und unterstützen uns Frauen in der Bewältigung unseres Alltags. Die Gemeinschaft mit den anderen Frauen trägt und bestärkt uns“ (Botz 1998, 21 f.).
Den christlichen wie den postchristlichen Gruppen ist das Anliegen zentral, die eigene Spiritualität zu entwickeln und zum Ausdruck zu bringen. Dies geschieht aus der Erfahrung und dem Empfinden heraus, dass die bekannten Formen und Bilder aus dem christlichen Kontext als unpassend, zu eng und ohne Bezug zur eigenen Lebenswirklichkeit wahrgenommen werden. Dies bedeutet aber nicht, dass es die eine feministische Spiritualität gibt. Es ist vielmehr so, dass es innerhalb der feministischen Spiritualität ganz unterschiedliche Strömungen gibt. Im nordamerikanischen und westeuropäischen Kontext lassen sich jedoch vor allem drei Richtungen feministischer Spiritualität ausmachen (vgl. Franke/Leicht 2003, 328–329):
1. Feministisch-christliche Spiritualität
In dieser Strömung geht es vor allem um die Integration weiblicher Aspekte in Gottesbild und Glaubensauffassung. „Dabei gewinnt der Bezug zur Weiblichkeit des Heiligen Geistes (Ruach) große Bedeutung, die Fortsetzung der Weisheit/Sophia-Tradition des Ersten Testamentes in der Jesu-Gestalt, die Präsenz weiblicher Anteile des Göttlichen in Maria, die als ehemalige Göttin/Himmelskönigin gesehen werden kann, und die Betonung biblischer Bilder vom Göttlichen, die sich auf weibliche Erfahrungen beziehen. In der religiösen Praxis wird dies z. B. in Frauengottesdiensten und feministischen Liturgien sichtbar, die sich ebenso eng an den Erfahrungen der beteiligten Frauen und den Zyklen der Natur orientieren“ (Franke/Leicht 2003, 329).
2. „Spirituell orientierte therapeutische und Selbsterfahrungs-Gruppen“ (Franke/Leicht 2003, 328)
In dieser Richtung haben Göttinnen und Mythen eine besondere und herausgehobene Bedeutung. Sie werden als Spiegelbild der Psyche und von Persönlichkeitsaspekten verstanden und es ist das Ziel, bislang unterdrückte Anteile bewusst zu machen und zu integrieren. Vor diesem Hintergrund sollen Frauen zur Ganzheitlichkeit geführt werden (vgl. ebd., 328 f.).
3. Feministische Ritual- und Hexengruppen verorten sich bewusst jenseits der etablierten Religion. In diesen Ritualgruppen ist der Bezug auf eine (dreifaltige) Göttin zentral: „der weißen Göttin (= junges Mädchen und Frühling; z. B. Artemis), der roten Göttin (= reife Frau und Sommer; z. B. Aphrodite) sowie der schwarzen Göttin (= alte Weise und Herbst bzw. Winter; z. B. Hekate)“ (Franke/Leicht 2003, 328). Die Feste und Rituale orientieren sich u. a. am Jahreslauf (Sommer-/Wintersonnenwende) (vgl. ebd.).
Die „modernen“ Hexengruppen sind weniger eindeutig und teilen sich wiederum in mehrere Richtungen auf. „Einige darunter sind dezidiert nicht-feministisch, andere verehren keine Göttin oder sehen in einer solchen lediglich den mütterlichen Part eines weiblichmännlichen Götterpaares, alle aber gründen ihre Rituale auf einer langen Geschichte der Hexenpraxis“ (Northup 1998, 393). Auch wenn es zum Teil Überschneidungen von Göttinnenglauben und Hexengruppen gibt, unterscheiden sie sich in der Praxis doch sehr (vgl. Crowley 1998; Stein 1990).
Es kommt aber auch vor, dass Elemente aus allen drei Strömungen das spirituelle Leben von Frauen prägen und in „einzelnen Biografien zeigt sich zudem im Lauf der Entwicklung ein Wechsel von einem zum anderen Zugang. […] Trotz aller Unterschiede in Formen und Inhalten feministischer Spiritualität steht insgesamt die Verbundenheit der beteiligten Frauen, ihre Nähe zur Natur, aber auch die ‚Heiligung‘ und Würdigung weiblicher Vorfahren, Göttinnen und weiblicher Lebenserfahrung im Vordergrund“ (Franke/Leicht 2003, 329 f.).
In den christlichen Gruppen stehen dabei die Auseinandersetzung mit Gottesbildern, die Suche nach einer inklusiven Sprache und der Ausdruck in Ritualen im Mittelpunkt. Viele Frauenliturgien sind von Tanz und Gesang geprägt, „so dass auch der Körper verstärkten Anteil hat an der heiligen Feier. Gegenseitig sprechen Frauen sich Segen zu oder salben sich gegenseitig, um sich ihre Würde und Gottesebenbildlichkeit auch handgreiflich zu bezeugen“ (Rieger-Goertz 2003, 318; vgl. Grün 1997, 97–102; Enzner-Probst 2008, 202–204).
Oftmals gewinnen Rituale an den Lebenswenden und in prekären Situationen von Frauen eine besondere Bedeutung. Sie helfen bei den erforderlichen Übergängen und zugleich in der Verarbeitung von Schmerz, Trauer, Verlust, Gewalt wie aber auch von Freude, Hoffnung und Gemeinschaftserfahrungen. Rituale verändern Wirklichkeit, indem sie eine neue Wirklichkeit schaffen. Eine rituelle Handlung ist eine Reaktion auf konkrete Umstände: einen Zeitpunkt, ein Ereignis, ein Problem, eine (Ohn-)Macht. Zugleich werden in den rituellen Handlungen wieder Ereignisse und Orte geschaffen, Möglichkeiten bereitgestellt, mit dem Problem der (Ohn-)Macht umzugehen. Rituelle Handlungen schaffen Realitäten und sie sind eine Antwort auf den Ausgangspunkt (vgl. Ammicht-Quinn 2003, 154).
„In religiösen Ritualen können Menschen ihre individuelle Situation oder das, was bevorsteht, in einem anderen, vertrauensvollen Rahmen durchleben und, unterstützt von Mitfeiernden, Segen erbitten. In Symbolen und rituellen Handlungen äußern sich Gefühle und Gedanken, die nicht an der Oberfläche des Bewusstseins verankert sind. Trennungen in Beziehungen, Gewalterfahrungen, eine frohe Geburt oder eine schmerzliche Fehlgeburt können z. B. Gegenstand eines Rituals sein; Themen, die in traditionellen Liturgien fehlen, aber das Leben von Frauen eminent beeinflussen. Heilendes, mutmachendes Geschehen soll hier ganzheitlich erfahren und nicht lediglich zugesprochen werden. […] Die Frauen in feministischen bzw. geschlechtergerechten Liturgien sind auf der Suche nach dem, was sie am meisten angeht, nämlich nach sich selbst in Verbindung mit Gott und anderen“ (Rieger-Goertz 2003, 318 f.).
Bei einer näheren Betrachtung der Praxis und der Publikationen, die im Kontext von Frauenliturgien und Frauenritualen erschienen sind, fallen die Bedeutung und Betonung des Körpers auf. Immer wieder ist davon die Rede, Gottesdienst mit allen Sinnen feiern zu wollen. Erfahrungen und Körper verbinden, dies ist ein Ziel der Frauenliturgien. „Der Körper feiert mit“ (vgl. Feldmann 1998, 25 f.; Berger 1999). Grundlage der Feiern ist die positive Bewertung des Frauseins.
Mit der Hervorhebung und Akzentuierung des Körpers und des Bestrebens nach Ganzheitlichkeit entsteht der Eindruck, als gäbe es diese Verbindung in Glaube und Liturgie der Kirche nicht. Das ist ein Trugschluss. Gerade auch die Sakramente sind „Einbruchstellen des Körperlichen in das religiöse Leben. Da wird gereinigt und gesalbt, berührt und genährt, und noch das Bußsakrament in seiner klassischen Ausprägung schafft eine intime Verbindung von Mund und Ohr. Diese inhärente Sinnenhaftigkeit des sakramentalen Handelns drohte und droht immer wieder verloren zu gehen, weil weder in der theologischen Reflexion noch in der religiösen Praxis das Fokussieren auf den Körper legitim zu СКАЧАТЬ