Название: Wiener Hochzeitsmord
Автор: Michael Ritter
Издательство: Автор
Жанр: Исторические детективы
isbn: 9783839270127
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»Gehen wir«, hauchte sie, dann lachte sie ihren Vater und die beiden Brautjungfern an und schlüpfte als Erste zur Wohnungstür hinaus.
Der Motor des schwarzen H 10 Reichenberger mit aufgeschlagenem Verdeck tuckerte vor sich hin. Der Chauffeur saß in Livree und mit Kappe am Steuer und blickte geduldig, vielleicht sogar gelangweilt auf die Gruppe, die eben aus dem Haustor trat. Eine Person durfte neben ihm Platz nehmen und dieses Vorrecht hatte Dr. Fried vorab für sich ausbedungen. Wenn man schon einmal mit einem dieser modernen Geräte, die sich Taxis nannten, fuhr, dann wollte er es auch entsprechend auskosten.
Bezahlt war der Wagen bereits. Dr. Fried hatte vor einigen Tagen alles mit dem Chef des Chauffeurs ausverhandelt, eine einfache Fahrt, den Weg zurück würden sie zu Fuß gehen oder eine Pferdekutsche nehmen, jeder in einen Teil der Stadt.
Das Fahrzeug war laut. Die gute Stimmung der jungen Frauen sank in ungeahnte Tiefen, während sie rumpelnd und sich immer wieder die Ohren zuhaltend in Richtung Stadtzentrum unterwegs waren. Die Straßen waren teilweise holprig, ein Vergnügen war die Fahrt nicht. Aber sie bewegten sich wenigstens auf den modernen Höhen ihrer Zeit.
Dr. Fried ließ den Wagen in der Tuchlauben halten. Den Weg zur Kapelle durch die Steindlgasse wollten sie zu Fuß zurücklegen. Das Trinkgeld für den Chauffeur fiel angemessen aus, Dr. Fried erkannte es an dessen Gesichtsausdruck. Als Kriminalinspektor hatte er gelernt, die Gesichter der Menschen zu lesen – wenigstens bis zu einem gewissen Punkt. Geständnisse hatte er, zugegebenermaßen, bislang noch nicht aus dem Mienenspiel von Tätern herausfiltern können.
Der Weg führte sie an der Bierklinik vorbei, in der sie nachher die Hochzeitstafel haben würden. »Anton Polan’s Restauration« stand breit über dem Eingangstor, das in einen Hof führte.
Dr. Fried und die jungen Frauen waren nicht die Ersten. Tante Lucia stand mit ihrem Mann vor dem Haustor der Kurrentgasse 2 und schien schlagartig erleichtert, als sie die Braut und ihre Brautjungfern erblickte. Dr. Frieds Schwägerin war kinderlos geblieben, was ihr Mann Georg – so unterstellte Dr. Fried es jedenfalls, wenngleich er es nie gewagt hätte, das in Gegenwart von Lucia auszusprechen – als absoluten Vorteil betrachtete. Auch der andere, der neue Teil der Familie traf gerade ein. Maximilian Ritter von Becker, umrahmt von einer älteren und einer jüngeren Frau, schritt eilig in ihre Richtung.
»Diese Fiaker!«, schimpfte er vor sich hin. »Vermaledeite Kerle! Wissen die nicht, wie sie hierher fahren sollen?«
Da hatte es Dr. Fried mit seiner krachenden Maschinenkutsche wohl doch besser getroffen. Er küsste Frau Becker die Hand, erst der älteren, dann der jüngeren. Den Bräutigam hieß er sogar mit einer innigen Umarmung willkommen. Max Beckers Schwester war ein bildhübsches Geschöpf, aber anscheinend etwas simpel gestrickt. Ihr Lächeln, so strahlend und sympathiegewinnend es auch sein mochte, stand wie eingefroren in ihrem Gesicht und schien sich gar nicht mehr auflösen zu wollen. Hoffentlich kein Krampf, dachte Dr. Fried sich unwillkürlich und ermahnte sich in aller Stille sogleich wegen derart unpassender Gedanken.
Jetzt fehlte nur noch Dr. Frieds Bruder Albert. Es war untypisch für ihn, dass er nicht überpünktlich erschien. Als Notar legte er Wert auf Genauigkeit und Zuverlässigkeit in allen Lebenslagen. Diese Eigenschaft hatte die beiden Brüder mehr auseinandergetrieben als zusammengebracht. Nicht dass sie zerstritten wären, nicht im Geringsten. Dr. Otto Fried liebte seinen Bruder Albert und Dr. Albert Fried liebte seinen Bruder Otto. Da gab es keinen Zweifel. Ihre Bruderliebe wuchs allerdings im selben Maße, in dem sie Distanz zueinander wahrten – räumlich wie zeitlich.
Wann hatten sie einander das letzte Mal gesehen? Dr. Fried dachte an das Begräbnis seiner Frau, aber so lange konnte es nun auch wieder nicht her sein. Das wäre eine Schande gewesen, den eigenen Bruder eine so lange Zeit … Nein, das konnte nicht stimmen. Die Verlobungsfeier! Natürlich! Vor ziemlich genau einem Jahr, in den Weinbergen Wiens, als Picknick gestaltet. Dr. Albert Fried hatte von dem Bräutigam seiner Nichte denselben Eindruck gehabt wie Dr. Otto Fried und es dem Bruder gleich zugeflüstert: »Eine gute Wahl, dieser junge Mann. Gratuliere. Der wird seinen Weg machen.«
Dr. Albert Fried trug einen Backenbart, in dem nur mehr marginale Spuren des ehemaligen tiefen Schwarz zu erkennen waren, das zudem dereinst sein üppiges Haupthaar bestimmt hatte. Üppig war es immer noch, doch inzwischen begann sogar schon das Grau zu weichen und einem bleichen Weiß Platz zu machen.
Ganz anders Dr. Otto Fried: Sein Gesicht war glatt rasiert, einzig als junger Mann hatte er einmal mit einem Oberlippenbart geliebäugelt. Es waren jene Zeiten gewesen, in denen er seine Wirkung auf junge Frauen hatte testen wollen. Er war vielleicht nicht gerade unwiderstehlich, aber auch nicht völlig erfolglos. Und sein Haupthaar – nun ja, die Fülle wie bei seinem Bruder hatte er selbst als Kind nicht aufbringen können. Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden.
Das Haustor wurde geöffnet und die alte Frau, die Dr. Fried bei seinem ersten Besuch bei Pater Anzelm begegnet war, streckte ihren mageren Kopf heraus. Sie musterte die Versammelten auf der Straße und schien sie aufgrund der festlichen Kleidung für die richtige Gesellschaft zu befinden, denn mit einem einladenden Lächeln zog sie die Tür weiter auf und sagte etwas in ihrer Sprache, was »herein« oder »Kommen Sie bitte weiter« bedeutete.
»Zuerst ihr alle«, ordnete Dr. Fried an. »Wir kommen dann nach.«
Natürlich machte er von seinem väterlichen Vorrecht Gebrauch, die Braut persönlich vor den Altar zu führen, um sie dort dem Bräutigam zu übergeben. Max Becker legte kurz seine Hand auf Amalias Schulter, drückte sie sanft und strahlte sie an.
»Nimmst du sie?«, bat ihn Amalia und hielt ihm die Schachtel mit der Kerze entgegen. Er würde wissen, wo er sie aufzustellen hatte.
Während die kleine Hochzeitsgesellschaft der alten Frau die Treppe hinauffolgte, nahm Dr. Fried seine Tochter bei beiden Händen, der zarte Brautstrauß zwischen ihnen wie eine verbindende Brücke.
»Nun ist es also so weit«, sagte Dr. Fried und atmete schwer aus.
Er fühlte sich gut und er wusste, seiner Tochter ging es ebenso. Er drückte ihr einen dicken Kuss auf die Wange, als ein Rufen in seinem Rücken ertönte.
»Sind wir zu spät? Ihr habt doch noch nicht angefangen!« Es war Dr. Fried, Albert, der Notar, im Schlepptau seine Frau Victoria und sein Sohn Wilhelm. Er hatte ihn mit dem zweiten Vornamen seines Bruders benannt. Eines der wenigen Zeichen, dass zwischen ihnen beiden eine engere Verbindung bestand, als sie sich einzugestehen bereit waren.
Wilhelm war ein Nachzügler in der Familie Albert Fried. In Kürze würde er fünfzehn werden und hatte optisch wie charakterlich das meiste von seiner Mutter mitbekommen.
»Rauf mit dir!«, rief Dr. Otto Fried dem Neffen zu. Er war als Ministrant vorgesehen und Pater Anzelm wartete sicher schon auf ihn.
»Wir wollten deutlich früher hier sein«, entschuldigte sich Albert Fried und reichte seinem Bruder die Hand.
Der wandte sich zuerst Frau Dr. Albert Fried zu, begrüßte sie mit einem Handkuss und Küsschen links und rechts auf die Wange, dann griff er nach der kräftigen Hand seines Bruders. Sie blickten sich bei dem langen und festen Händedruck tief in die Augen, als ob jeder sich in der dahinterliegenden Seele des anderen wiedererkennen würde.
Wilhelm stürmte die Stufen hinauf, während die beiden Frieds und Amalia unten innehielten.
»Ich СКАЧАТЬ