Название: Wiener Hochzeitsmord
Автор: Michael Ritter
Издательство: Автор
Жанр: Исторические детективы
isbn: 9783839270127
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Herr Johann war als Kellner aus dem alten Café Schrangl übernommen worden, das vor dem Abriss des alten Trattnerhofes Dr. Frieds Stammkaffeehaus gewesen war. Nun war es eben das Grabencafé in dem modernen Doppelbau, den sie auf dem altehrwürdigen Graben errichtet hatten. Ja, man musste mit der Zeit gehen, und so hatte Dr. Fried eines Tages für sich beschlossen, dass ihm die neue Architektur des Rudolf Krausz gefiel.
»Da hat uns der böhmische Architekt was dahergestellt«, hatte Dr. Fried sich kritisch gezeigt, als er das Café zum ersten Mal nach der Wiedereröffnung besuchte.
Herr Johann, zu dem er es sagte, hatte nur den Kopf geschüttelt und gemeint: »Hauptsach’, unser Café gibt’s noch!« Damit war eigentlich alles zum Ausdruck gebracht.
»Sofort, sofort«, klang Herrn Johanns Stimme nach, als er mit einigen Tassen und Tellern auf dem Unterarm um die Ecke verschwand. Klirren und Klingen von Porzellan und Besteck stach durch den Gästeraum. Dr. Fried griff noch einmal nach der Neuen Freien Presse, legte sie aber gleich wieder auf den Stuhl zurück, ohne sie geöffnet zu haben. Er konnte sowieso keinen anderen Gedanken mehr fassen als jenen an seine geliebte Tochter im weißen Kleid. Um den Hals das Collier, das er seinerzeit seiner Frau geschenkt hatte. Amalia hatte ihm versprechen müssen, es zu tragen.
Amalias Mutter war eine besondere Frau gewesen. Nicht nur, weil sie die oft ausufernden Arbeitszeiten ihres Mannes stoisch ertragen hatte. Umso bedauerlicher war es, dass sie es jetzt nicht mit ihm miterleben und genießen konnte, dass er als Vorgesetzter einer ganzen Truppe seine festen Bürozeiten hatte, und nicht, wie früher, in den Außendienst geschickt wurde, wann immer die Umstände danach riefen.
Dr. Fried hatte seine Frau geliebt. Bis zum letzten Atemzug, den sie vor nun schon über zehn Jahren in ihrem gemeinsamen Ehebett gemacht hatte. Er hatte den Arzt fortgeschickt, nachdem klar gewesen war, dass dieser nichts mehr für sie tun konnte. Ein alter Schulfreund war der Arzt, von der Anteilnahme selbst ziemlich mitgenommen, aber in seiner medizinischen Zuverlässigkeit unantastbar. Es ergab keinen Sinn, durch die letzten Stunden mussten sie alleine durch, der Ehemann und seine Frau. Die Tochter, die damals an der Schwelle zur jungen Frau stand, hatte er bei einer Tante untergebracht mit dem Versprechen, sie sofort zu holen, wenn es »so weit« war. So weit war es dann irgendwann tief in der Nacht gewesen.
»Sofort!« Herr Johann eilte an Dr. Fried vorbei, als wäre ein bissiger Hund hinter ihm her. Auf einem Tablett balancierte er ein Wiener Schnitzel mit dem obligatorischen Erdäpfel-Vogerl-Salat und ein großes Bier. »Gleich bei Ihnen, Herr Regierungsrat!«
Obwohl sich alles verändert hatte – der Häuserblock, das Kaffeehaus, ja die ganze Stadt –, war neben der Bedienung die Küche im Grabencafé die alte geblieben. Gut wie eh und je. Auch das hatte Dr. Fried die Umstellung und die Akzeptanz der neuen Zeiten erleichtert. Wien war ja längst nicht mehr das, was es noch vor wenigen Jahrzehnten gewesen war. Dr. Fried hatte die Stadt von Kindesbeinen an als sich stetig wandelnde Baustelle kennengelernt. Er war etwa zwei Jahre alt gewesen, als der inzwischen hochbetagte Kaiser die Stadtmauern hatte schleifen lassen. Baustellen sind Abenteuerplätze für Kinder, zugleich sind sie verbotene Zonen – zu gefährlich, wie einem die Eltern und die Obrigkeit mit der ernsten Miene der Untersagung sagten. Seit damals wuchsen eindrucksvolle Gebäude auf den frei gewordenen Flächen und auch vor dem Herzen der Stadt machte der Umbruch nicht halt. Ja, Dr. Fried hatte sich daran gewöhnt und wehrte sich zugleich innerlich dagegen – eine echte Wiener Seele eben.
»Herr Johann!«, rief er erneut, als der Kellner an ihm vorbeihuschte, diesmal ließ er seine Stimme etwas vorwurfsvoll klingen.
»Herr Regierungsrat wollen zahlen?«, fragte Herr Johann, machte aber keine Anstalten, an Dr. Frieds Tisch zu kommen.
»Jjjjjja«, schickte Dr. Fried seinen Wunsch gedehnt hinter dem schon wieder im Küchenbereich verschwindenden Kellner her.
Die Baustellen seiner Kindheit. Sie waren ihm Reiz und Gefahr zugleich gewesen. Vielleicht hatten sie ihn dazu gebracht, sich für den Beruf des Polizisten zu begeistern? Seine Eltern hatten sich zwar eine Beamtenlaufbahn für ihn vorgestellt, aber vielleicht nicht gerade so eine. Keine mit Kontakt zu kriminellen Elementen. Als Jurist in einem Ministerium, ja, das hätte seinem Vater gefallen. Und Dr. Fried wäre damit wohl eine genaue Kopie von ihm geworden. Aktenpapier auf Aktenpapier stapelnd.
Gut, inzwischen hatten seine Dienstjahre ihn in eine ähnliche Situation gebracht. Schreibtischakteur. Denker hinter den Berichten, die seine Kollegen aus dem Außendienst lieferten und aus denen er jene Schlüsse zog, die ihn die folgenden Schritte der Polizeibeamten anordnen ließen. Die Kriminalpolizei kann nicht ohne das Gehirn im Inneren funktionieren, das hatte er im Laufe der Jahrzehnte gelernt. Nun durfte er eines dieser Gehirne sein.
»Bitte, Herr Regierungsrat!« Herr Johann stand vor ihm und hatte seine große schwarze Geldtasche aufgefaltet. Die Erwartung eines anständigen Trinkgeldes war sein stetiger Begleiter.
»Mittagsmenü … Und dann eben die Jaus’n!«
Dr. Fried ließ seinen Blick über den kleinen Tisch schweifen, den Herr Johann schon bis auf das halb geleerte Glas Wasser frei geräumt hatte.
»Ja, wie immer also«, kommentierte der Kellner und überschlug hinter zuckenden Augenlidern die Summe, die er seinem Gast zu verrechnen hatte.
Dr. Fried legte ein Zwei-Kronen-Stück auf den Tisch. Der kahle Kopf des Kaisers glänzte ihm im Profil entgegen. »Stimmt so«, sagte Dr. Fried klar und deutlich.
»So großzügig heute, Herr Regierungsrat?« Strahlend steckte Herr Johann die Münze in die Geldtasche.
»An manchen Tagen soll man die eigene Freude an seine Mitmenschen weitergeben«, erklärte Dr. Fried und streckte den Rücken durch. »Meine Tochter wird morgen heiraten, das ist ein wahrer Grund zur Freude.«
»Ja, wenn der Herr Schwiegersohn ein anständiger Kerl ist …«, dachte Herr Johann laut nach. »Und wenn er dem Herrn Schwiegerpapa gefällt … Ja, dann schon.«
Herr Johann grinste breit und Dr. Fried grinste genauso zurück. Der Schwiegerpapa war zufrieden.
Langsam stand Dr. Fried auf und legte die Handflächen auf seinen Rücken. Ja, das Alter forderte da und dort bereits ein wenig Tribut. Außendienste waren da definitiv keine gute Idee mehr. Er musste unumwunden zugeben, dass das österreichische Beamtensystem eine ausgeklügelte Angelegenheit war. Besser konnte man es eigentlich nicht ausrichten. »Jetzt muss ich noch rüber zur Stanislauskapelle und nachsehen, ob alles in Ordnung ist. Man hat ja schließlich seine Vorstellungen. Wenn man schon alles bezahlt …«
Als Brautvater lag es an ihm, die Hochzeit auszurichten. Und es machte ihm nicht das Geringste aus. Zum einen, weil sowieso nur im engsten Kreis geheiratet wurde, zum anderen, weil die Familie des Bräutigams nicht sehr wohlhabend war. Maximilian Beckers Kapital lag in seinem Talent, die Früchte würden er und seine künftige Frau in einigen Jahren ernten.
»Ja, Herr Regierungsrat, so ist das eben: Heiraten kostet a Menge Geld.«
Herr Johann reichte Dr. Fried den Staubmantel und den Hut. Der warf den Mantel über den Arm und nahm den Hut bei der Krempe.
»Dann bis nächste Woche, Herr Johann!«
Der Kellner deutete eine Verneigung an und sah dem Stammgast nach, wie er das Lokal verließ und auf den Graben hinaustrat.
Die Sonne entfaltete jetzt ihre volle Kraft. Die Wettervorhersage war auch für den kommenden Tag ausgezeichnet, das Brautpaar würde in ihrem СКАЧАТЬ