Wiener Hochzeitsmord. Michael Ritter
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Wiener Hochzeitsmord - Michael Ritter страница 6

Название: Wiener Hochzeitsmord

Автор: Michael Ritter

Издательство: Автор

Жанр: Исторические детективы

Серия:

isbn: 9783839270127

isbn:

СКАЧАТЬ mir sicher nicht weniger als die angemessene Summe überreichen.« Er klopfte mit den Fingern auf den Umschlag. »Außerdem: Morgen ist ja auch noch ein Tag, und ich denke, die Kollekte bei der Hochzeitsmesse wird noch einiges bringen. Die Stanislauskapelle wird es Ihnen danken. Ich werde es Ihnen danken. Ach, was sage ich: Unser heiliger Stanislaus wird es Ihnen danken!«

      Sein Blick richtete sich hinauf gen Himmel, wurde jedoch abrupt abgebremst von der schmutzig weißen Decke des kleinen Zimmers, in dem die beiden Männer beisammensaßen.

      Drittes Kapitel:

      29. Juni, vormittags

      »Fräulein Dr. Amalia Wilhelmina Fried! Wollen Sie den hier anwesenden Herrn Ingenieur Maximilian Ritter von Becker zu Ihrem Gemahl nehmen, ihn lieben und ehren …«

      Amalia Fried träumte vor sich hin. Sie stand in ihrem Brautkleid vor dem Spiegel und betrachtete sich ausgiebig von vorne, von links, von rechts und drehte ihren Oberkörper in alle Richtungen. Ihre beiden besten Freundinnen Julia und Veronika waren in der Rolle der Brautjungfern bei ihr, und das Lachen, Kichern und die endlose Freude nahmen kein Ende. In wenigen, sehr wenigen Stunden würde sie Frau Becker sein.

      Das Collier ihrer verstorbenen Mutter trug sie um den Hals. Es lag auf dem züchtigen Ausschnitt und glänzte, als wäre es neu. Ihr Vater hatte es aufpolieren lassen. Eine dicke, hüfthohe Kerze stand neben dem Spiegel, weiß, mit der Aufschrift »Mama«. Amalia würde sie höchstpersönlich auf dem Altar platzieren und somit ihrer Mutter die Anteilnahme an ihrem bisher schönsten Lebensmoment ermöglichen. So hatte sie es sich immer in ihrer Fantasie ausgemalt, seinerzeit als Siebzehnjährige, bald nach Mutters Tod, und jetzt als neunundzwanzigjährige Frau mit einem abgeschlossenen Psychologiestudium. Sie hatte gelernt, als Frau ihren Mann zu stehen.

      Ihr Vater war stolz auf sie. Sie hatte sich in schweren Jahren ihres Lebens bewährt, sie war nicht untergegangen. Sie wusste sehr wohl, dass es seine Angst gewesen war, dass die junge Frau, noch Schülerin, abstürzen könnte. Ja, es hatte Irritationen gegeben. Sie hatte sich schwer getan mit dem Lernen, ganz plötzlich. Was ihr zuvor leicht von der Hand gegangen war, hatte sich nun schwierig, zäh und mühsam gestaltet. Doch ihr Vater hatte sie immer unterstützt und ihr gut zugeredet. Er war ein guter Vater gewesen. Und war es noch.

      Ihr Vater mochte Maximilian Ritter von Becker. Vielleicht sah er in ihm jenen Schutz und jene Sicherheit für seine Tochter, nach denen er immer gestrebt hatte. Ein klassisches Männer- und Ehebild. Sie nahm es ihrem Vater nicht übel, er gehörte schließlich einer anderen Generation an. Und sein Motiv war allemal ehrenhaft.

      Julia und Veronika schwirrten um Amalia herum und zupften hier und zupften da. Nicht mehr lange und das Automobil, das ihr Vater bestellt hatte, würde vorfahren. Es würde Amalia mit ihren Brautjungfern und ihrem Vater in nicht einmal zehn Minuten von zu Hause zur Stanislauskapelle bringen.

      »Idiotische Maschen!« Dr. Fried stapfte zornig in das Zimmer und unterbrach die flirrende Freude der jungen Frauen. »Das kann man einfach nicht binden!«, beklagte er sich und hielt Amalia die schwarze Schleife entgegen. Er weigerte sich standhaft, vorgebundene Fliegen anzulegen. Als Mann und Herr von Format hatte er gewisse Prinzipien.

      Amalia lächelte milde. Tante Lucia hatte ihr oft erzählt, wie sich ihr Vater damals vor der eigenen Hochzeit mit der Schleife eine wahre Schlacht geliefert hatte. Schweißgebadet war er schließlich vor den Altar getreten. Ihr Vater erzählte die Geschichte freilich anders, allerdings doch nur in kleinen Details abweichend.

      »Komm her, ich mach’ dir das!« Sie winkte ihn vor den Spiegel und band hinter ihm stehend geduldig eine wohlgeformte Schleife.

      »Sehr gut«, zeigte sich Dr. Fried zufrieden und bedankte sich mit einem Kuss auf die Stirn seiner Tochter. Nun konnte er sich in aller Ruhe die Manschettenknöpfe anlegen und die dunkelgraue Weste anziehen.

      »Max wird staunen!«, sagte er, als er das Zimmer wieder verließ. »Eine schönere Braut habe ich nie zuvor gesehen.« Und er dachte – ohne es auszusprechen – kurz an seine verstorbene Frau.

      Er fühlte längst keinen Schmerz mehr, schon seit fast ewig empfundenen Jahren nicht. Es war eher ein sentimental-schönes Gefühl, das in ihm hochstieg, wenn er sich an seine Frau erinnerte. Ein wärmendes Erinnern. Ein Erinnern, das ihm immer wieder zuflüsterte: »Es war gut, wie es war. Und gut ist es auch jetzt.« Wäre Dr. Fried ein tiefgläubiger Mensch gewesen, er hätte sich einreden können, dass es die Stimme seiner Frau aus dem Jenseits war, die ihm diese Erkenntnis einflüsterte. Natürlich hatte er ein »Recht«, erfüllt weiterzuleben; die »Pflicht« in Gestalt des ihm anvertrauten Kindes verließ mit dem heutigen Tag seinen Haushalt.

      Sein Leben würde sich massiv ändern. Es gab keine Amalia mehr, die sich um seine Wohnung, seinen Haushalt, seine alltäglichen Bedürfnisse kümmern würde. Sie hatte das immer getan, seinerzeit neben der Schule, später neben dem Studium und zuletzt neben ihrer Tätigkeit in der vor zwei Jahren gegründeten Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. Professor Freud persönlich hatte sie dem Präsidenten der Vereinigung, Carl Gustav Jung, als Mitarbeiterin vorgeschlagen und der hatte sie sofort mit offenen Armen aufgenommen. Und das, obwohl sie keine Jüdin war. Das fand Dr. Fried beachtlich. Nicht dass er antisemitische Haltungen vertreten würde, aber er wusste doch, dass die Juden gerne unter sich blieben.

      Dr. Fried erinnerte sich an den vor zwei Jahren verstorbenen Bürgermeister Dr. Karl Lueger und seinen berühmt gewordenen Ausspruch: »Wer ein Jud’ ist, bestimme ich.« Damit war eigentlich alles gesagt, fand Dr. Fried. Die Judenfrage war weder ein Problem noch ein politisches Thema, wozu manche Gruppierungen es machen wollten. Und ob man Juden mochte oder nicht, war eine ganz persönliche Entscheidung. Dr. Fried traf diese Entscheidung stets neu gegenüber einem jeden Individuum.

      Auf der Konsole im Vorzimmer lag eine längliche weiße Schachtel mit geöffnetem Deckel. Darin befand sich achtlos zusammengeknüllt weißes Seidenpapier. In dieses würden sie die Kerze einpacken und in der Schachtel behutsam zur Kapelle transportieren. Es würde eng werden zu viert.

      Dr. Fried fühlte sich wie im Staatsornat. Er hätte auch seine Paradeuniform anziehen können, aber schließlich war die Hochzeit kein offizieller Staatsakt, sondern ein privates Fest. Dementsprechend ging er in Zivil. Die weiße Nelke im Knopfloch seines Sakkos war das Einzige an Auszeichnung, was er zuließ: die Auszeichnung als Brautvater.

      »Wir wären so weit, Paps!«, erklang von hinten Amalias Stimme.

      Sie war noch nicht zu sehen, aber ihre beiden Freundinnen flatterten in ihren Brautjungfernkleidern wie Kolibris auf ihn zu. Dahinter tauchte wie ein Schemen Amalia auf. Mit beiden Händen umfangen trug sie die Kerze für ihre Mutter und ging zügig auf die Konsole zu. Gemeinsam mit Dr. Fried verpackte sie die Gedenkkerze und hielt kurz inne, einen festen Blick auf ihren Vater gerichtet. Der erwiderte den Blick, mild, bestimmt. Er nickte. Mehr nicht, das genügte. Es war der richtige Gedanke und es war die richtige Tat. Sie würden die Kerze nicht, wie den Blumenschmuck, in der Kapelle lassen, sondern zur anschließenden Festtafel mitnehmen. Am Ende würde Amalia sie in ihr neues Zuhause, in Max’ Wohnung, bringen und ihr dort einen angemessenen Platz geben.

      Max Becker hatte von Anfang an Verständnis für die Idee mit der Kerze gehabt. Er hatte Amalia sogar darin bestätigt. Er selbst hatte seinen Vater verloren, als er ein kleiner Junge war. Er hatte noch viele Erinnerungen an ihn, und oft tauschten er und Amalia ihre Erinnerungen aus. Als Amalia ihn gefragt hatte, ob er nicht ebenfalls eine Kerze für seinen Vater aufstellen wollte, hatte er nur den Kopf geschüttelt. Er hatte für einen Augenblick das Gesicht abgewandt – vielleicht um Tränen zu verbergen? Amalia hatte ihn innig umarmt und in dieser Umarmung, die er nie wieder lösen zu wollen schien, hatte er es ihr wie eine Beichte erzählt: Sein Vater hatte sich das Leben genommen.

СКАЧАТЬ