Dichtung und Wahrheit. Johann Wolfgang von Goethe
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Название: Dichtung und Wahrheit

Автор: Johann Wolfgang von Goethe

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Klassiker bei Null Papier

isbn: 9783962818869

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СКАЧАТЬ Ein an­de­rer, glaub­te er, kön­ne das auch tun; er hat­te sich schon zu neu­er Ar­beit ein­ge­rich­tet: kurz, er woll­te nicht kom­men. Die Ab­sen­dung war vor der Türe, trock­nen soll­te es auch noch, je­der Ver­zug war miss­lich; der Graf, in Verzweif­lung, woll­te ihn mi­li­tä­risch ab­ho­len las­sen. Wir alle wünsch­ten, die Bil­der end­lich fort zu se­hen, und fan­den zu­letzt kei­ne Aus­kunft, als dass der Ge­vat­ter Dol­metsch sich in einen Wa­gen setz­te und den Wi­der­spens­ti­gen mit Frau und Kind her­über­hol­te, der dann von dem Gra­fen freund­lich emp­fan­gen, wohl ge­pflegt und zu­letzt reich­lich be­schenkt ent­las­sen wur­de. Nach den fort­ge­schaff­ten Bil­dern zeig­te sich ein großer Frie­de im Hau­se. Das Gie­bel­zim­mer im Man­sard wur­de ge­rei­nigt und mir über­ge­ben, und mein Va­ter, wie er die Kas­ten fort­schaf­fen sah, konn­te sich des Wun­sches nicht er­weh­ren, den Gra­fen hin­ter­drein zu schi­cken. Denn wie sehr die Nei­gung des Gra­fen auch mit der sei­ni­gen über­ein­stimm­te; wie sehr es den Va­ter freu­en muss­te, sei­nen Grund­satz, für le­ben­de Meis­ter zu sor­gen, durch einen Rei­che­ren so frucht­bar be­folgt zu se­hen; wie sehr es ihm schmei­cheln konn­te, dass sei­ne Samm­lung An­lass ge­ge­ben, ei­ner An­zahl bra­ver Künst­ler in be­dräng­ter Zeit einen so an­sehn­li­chen Er­werb zu ver­schaf­fen: so fühl­te er doch eine sol­che Ab­nei­gung ge­gen den Frem­den, der in sein Haus ein­ge­drun­gen, dass ihm an des­sen Hand­lun­gen nichts recht dün­ken konn­te. Man sol­le Künst­ler be­schäf­ti­gen, aber nicht zu Ta­pe­ten­ma­lern er­nied­ri­gen; man sol­le mit dem, was sie nach ih­rer Über­zeu­gung und Fä­hig­keit ge­leis­tet, wenn es ei­nem auch nicht durch­gän­gig be­ha­ge, zu­frie­den sein und nicht im­mer dar­an mark­ten und mä­keln: ge­nug, es gab, un­ge­ach­tet des Gra­fen eig­ner li­be­ra­len Be­mü­hung, ein für al­le­mal kein Ver­hält­nis. Mein Va­ter be­such­te je­nes Zim­mer bloß, wenn sich der Graf bei Ta­fel be­fand, und ich er­in­ne­re mich nur ein ein­zi­ges Mal, als See­katz sich selbst über­trof­fen hat­te und das Ver­lan­gen, die­se Bil­der zu se­hen, das gan­ze Haus her­bei­trieb, dass mein Va­ter und der Graf zu­sam­men­tref­fend an die­sen Kunst­wer­ken ein ge­mein­sa­mes Ge­fal­len be­zeig­ten, das sie an ein­an­der selbst nicht fin­den konn­ten.

      Kaum hat­ten also die Kis­ten und Kas­ten das Haus ge­räumt, als der frü­her ein­ge­lei­te­te, aber un­ter­broch­ne Be­trieb, den Gra­fen zu ent­fer­nen, wie­der an­ge­knüpft wur­de. Man such­te durch Vor­stel­lun­gen die Ge­rech­tig­keit, die Bil­lig­keit durch Bit­ten, durch Ein­fluss die Nei­gung zu ge­win­nen und brach­te es end­lich da­hin, dass die Quar­tier­her­ren den Be­schluss fass­ten: es sol­le der Graf um­lo­giert und un­ser Haus, in Be­tracht der seit ei­ni­gen Jah­ren un­aus­ge­setzt Tag und Nacht ge­trag­nen Last, künf­tig mit Ein­quar­tie­rung ver­schont wer­den. Da­mit sich aber hier­zu ein schein­ba­rer Vor­wand fin­de, so sol­le man in eben den ers­ten Stock, den bis­her der Kö­nigs­leut­nant be­setzt ge­habt, Miet­leu­te ein­neh­men und da­durch eine neue Be­quar­tie­rung gleich­sam un­mög­lich ma­chen. Der Graf, der nach der Tren­nung von sei­nen ge­lieb­ten Ge­mäl­den kein be­son­de­res In­ter­es­se mehr am Hau­se fand, auch oh­ne­hin bald ab­ge­ru­fen und ver­setzt zu wer­den hoff­te, ließ es sich ohne Wi­der­re­de ge­fal­len, eine an­de­re gute Woh­nung zu be­zie­hen, und schied von uns in Frie­den und gu­tem Wil­len. Auch ver­ließ er bald dar­auf die Stadt und er­hielt stu­fen­wei­se noch ver­schie­de­ne Char­gen, doch, wie man hör­te, nicht zu sei­ner Zufrie­den­heit. Er hat­te in­des das Ver­gnü­gen, jene so em­sig von ihm be­sorg­ten Ge­mäl­de in dem Schlos­se sei­nes Bru­ders glück­lich an­ge­bracht zu se­hen, schrieb ei­ni­ge Male, sen­de­te Maße und ließ von den mehr ge­nann­ten Künst­lern ver­schie­de­nes nach­ar­bei­ten. End­lich ver­nah­men wir nichts wei­ter von ihm, au­ßer dass man uns nach meh­re­ren Jah­ren ver­si­chern woll­te, er sei in West­in­di­en, auf ei­ner der fran­zö­si­schen Ko­lo­ni­en, als Gou­ver­neur ge­stor­ben.

      So viel Un­be­quem­lich­keit uns auch die fran­zö­si­sche Ein­quar­tie­rung moch­te ver­ur­sacht ha­ben, so wa­ren wir sie doch zu ge­wohnt ge­wor­den, als dass wir sie nicht hät­ten ver­mis­sen, dass uns Kin­dern das Haus nicht hät­te tot schei­nen sol­len. Auch war es uns nicht be­stimmt, wie­der zur völ­li­gen Fa­mi­li­enein­heit zu ge­lan­gen. Neue Miet­leu­te wa­ren schon be­spro­chen, und nach ei­ni­gem Keh­ren und Scheu­ern, Ho­beln und Boh­nen, Ma­len und An­strei­chen war das Haus völ­lig wie­der her­ge­stellt. Der Kanz­lei­di­rek­tor Mo­ritz mit den Sei­ni­gen, sehr wer­te Freun­de mei­ner El­tern, zo­gen ein. Die­ser, kein ge­bor­ner Frank­fur­ter, aber ein tüch­ti­ger Ju­rist und Ge­schäfts­mann, be­sorg­te die Rechts­an­ge­le­gen­hei­ten meh­re­rer klei­nen Fürs­ten, Gra­fen und Her­ren. Ich habe ihn nie­mals an­ders als hei­ter und ge­fäl­lig und über sei­nen Ak­ten em­sig ge­se­hen. Frau und Kin­der, sanft, still und wohl­wol­lend, ver­mehr­ten zwar nicht die Ge­sel­lig­keit in un­serm Hau­se, denn sie blie­ben für sich; aber es war eine Stil­le, ein Frie­de zu­rück­ge­kehrt, den wir lan­ge Zeit nicht ge­nos­sen hat­ten. Ich be­wohn­te nun wie­der mein Man­sard­zim­mer, in wel­chem die Ge­s­pens­ter der vie­len Ge­mäl­de mir zu­wei­len vor­schweb­ten, die ich denn durch Ar­bei­ten und Stu­di­en zu ver­scheu­chen such­te.

      Der Le­ga­ti­ons­rat Mo­ritz, ein Bru­der des Kanz­lei­di­rek­tors, kam von jetzt an auch öf­ters in un­ser Haus. Er war schon mehr Welt­mann, von ei­ner an­sehn­li­chen Ge­stalt und da­bei von be­quem ge­fäl­li­gem Be­tra­gen. Auch er be­sorg­te die An­ge­le­gen­hei­ten ver­schie­de­ner Stan­des­per­so­nen und kam mit mei­nem Va­ter, bei An­lass von Kon­kur­sen und kai­ser­li­chen Kom­mis­sio­nen, mehr­mals in Berüh­rung. Bei­de hiel­ten viel auf ein­an­der und stan­den ge­mei­nig­lich auf der Zei­le der Kre­di­to­ren, muss­ten aber zu ih­rem Ver­druss ge­wöhn­lich er­fah­ren, dass die Mehr­heit der bei sol­cher Ge­le­gen­heit Ab­ge­ord­ne­ten für die Sei­te der De­bi­to­ren ge­won­nen zu wer­den pflegt. Der Le­ga­ti­ons­rat teil­te sei­ne Kennt­nis­se gern mit, war ein Freund der Ma­the­ma­tik, und weil die­se in sei­nem ge­gen­wär­ti­gen Le­bens­gan­ge gar nicht vor­kam, so mach­te er sich ein Ver­gnü­gen dar­aus, mir in die­sen Kennt­nis­sen wei­ter zu hel­fen. Da­durch ward ich in den Stand ge­setzt, mei­ne ar­chi­tek­to­ni­schen Ris­se ge­nau­er als bis­her aus­zu­ar­bei­ten und den Un­ter­richt ei­nes Zei­chen­meis­ters, der uns jetzt auch täg­lich eine Stun­de be­schäf­tig­te, bes­ser zu nut­zen.

      Die­ser gute alte Mann war frei­lich nur ein Halb­künst­ler. Wir muss­ten Stri­che ma­chen und sie zu­sam­men­set­zen, wor­aus denn Au­gen und Na­sen, Lip­pen und Ohren, ja zu­letzt gan­ze Ge­sich­ter und Köp­fe ent­ste­hen soll­ten; al­lein es war da­bei we­der an na­tür­li­che noch künst­li­che Form ge­dacht. Wir wur­den eine Zeit lang mit die­sem Qui pro Quo der mensch­li­chen Ge­stalt ge­quält, und man glaub­te uns zu­letzt sehr weit ge­bracht zu ha­ben, als wir die so­ge­nann­ten Af­fek­ten von Le Brun zur Nach­zeich­nung er­hiel­ten. Aber auch die­se Zerr­bil­der för­der­ten uns nicht. Nun schwank­ten wir zu den Land­schaf­ten, zum Baum­schlag und zu al­len den Din­gen, die im ge­wöhn­li­chen Un­ter­richt ohne Fol­ge und ohne Metho­de ge­übt wer­den. Zu­letzt fie­len wir auf die ge­naue Nach­ah­mung und auf die Sau­ber­keit der Stri­che, ohne uns wei­ter um den Wert des Ori­gi­nals oder des­sen Ge­schmack zu be­küm­mern.

      In die­sem Be­stre­ben ging СКАЧАТЬ